Auf den Färöer-Inseln wurde an einem einzigen Tag eine unglaubliche Zahl an Weißseitendelfinen abgeschlachtet – eine brutale und anachronistische Tradition, die abgeschafft gehört.
Tórshavn. Am vergangenen Sonntag stellte man in einem Fjord bei Skálabotnur auf Eysturoy, der zweitgrößten Insel der Färöer, einen fragwürdigen Rekord auf: Bei der traditionellen Treibjagd auf Delfine („Grindadráp“) wurden binnen weniger Stunden 1.428 Tiere mit Motorbooten in eine Bucht getrieben und dort mittels Haken und Messern im seichten Wasser abgeschlachtet. Ein Entkommen gab es nicht: Die Weißseitendelfine (Lagenorhynchus acutus) wurden eingekreist und dann einzeln per Hand getötet, indem sie mit Fanghaken in den Atemlöchern festgehalten wurden, um ihnen dann Rückenmark und Halsschlagader zu durchtrennen. Eine ganze, zahlenmäßig überdurchschnittlich große Schule der harmlosen Meeressäugetiere wurde im blutrot verfärbten Wasser vernichtet. Im Anschluss wurde das Delfinfleisch nach jahrhundertealtem Brauch an die Einwohner des Ortes und der Insel verteilt.
Von der Nahrungsversorgung zur anachronistischen „Tradition“
Das Grindadráp hat auf den Färöer-Inseln eine jahrhundertewährende Tradition. Der unwirtliche und karge Archipel im Nordatlantik, auf halbem Weg zwischen Norwegen und Island gelegen, hatte früher mit erheblichen Problemen bei der Nahrungsversorgung zu kämpfen, die Treibjagden auf kleine Wale und Delfine sollten dies kompensieren. Tatsächlich sorgte die solidarische Verteilung der Jagdbeute unter der Bevölkerung für das Überleben von Menschen, die ansonsten an Hunger zu sterben drohten. Im Jahr 2021 ist eine solche Situation freilich nicht mehr gegeben, die Versorgungslage auf den Färöer ist tadellos – niemand hungert, niemand ist auf das Grindadráp als Nahrungsquelle angewiesen. Dass dieses zum blutigen Ritual verkommene kollektive Jagdunternehmen immer noch durchgeführt wird, hat andere Gründe: Viele der rund 50.000 Färinger erachten die Delfinjagd und ‑schlachtung als Teil ihrer kulturellen Identität, die sie gegen moderne Einflüsse verteidigen wollen, darunter auch gegen jene aus dem „verweichlichten“ Dänemark, das trotz Autonomie die politische Oberhoheit über die „Schafsinseln“ innehat.
Keine wirtschaftliche Notwendigkeit für Gemetzel
Zeitgemäß sind derartige Massaker freilich längst nicht mehr, nicht nur deshalb, weil sie keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr haben. Die Methoden der Treibjagd und Massentötung sind darüber hinaus auch überaus brutal, von Tierwohl und Artenschutz halten die verantwortlichen Walfänger wohl auch nichts, obwohl selbst die färöische Regierung sogar schon zur Mäßigung aufgerufen hat. Wie man nun sieht, hatte dieser Appell keine Wirkung, im Gegenteil: Normalerweise werden in einem Kalenderjahr in den Fjorden der Färöer zwischen 500 und 800 Delfine getötet, nun kam es an einem einzigen Tag zu einem Gemetzel an über 1.400 Tieren. Auch bei der Opferwahl war man nicht zimperlich: Eigentlich zielt das Grindadráp auf die Delfingattung der Grindwale (Globicephala melas) ab, doch am vergangenen Sonntag waren es eben Weißseitendelfine, die ebenso als willkommene Beute dienten – von diesen gibt es zwar immerhin eine Gesamtpopulation von rund 100.000 Tieren rund um die Färöer, doch die Abschlachtung von einem Prozent derselben an bloß einem Sonntagnachmittag ist durchaus eine engagierte Dezimierung.
Es erscheint offensichtlich, dass dieses sinnlose Töten ein Ende haben muss. Mittelalterliche Wikingertraditionen sind – bei allem Respekt vor dem historischem Erbe – gewiss keine Rechtfertigung für ein derartiges Massaker an intelligenten und sensiblen Lebewesen – und die Nahrungssicherheit auf den Färöer-Inseln wäre durch eine Abschaffung des Grindadráp-Brauchs definitiv auch nicht gefährdet.