Wien. Am gestrigen Montag kam es im durch die sozialpartnerschaftliche Kompromisskultur auf dem Rücken der Arbeiterklasse geprägten Österreich zu gleich zwei Streiks. Beide Arbeitsniederlegungen waren angekündigt und es scheint, als wäre ein Chaos ausgeblieben. In Berichten und auch bei Augenschein auf den Bahnhöfen wurde deutlich, dass zumindest die privaten Bahnkundinnen und ‑kunden auf den Streik vorbereitet waren: Es herrschte gähnende Leere. Lediglich einige Touristinnen und Touristen dürften sich auf die Bahnhöfe verirrt zu haben. Auch das befürchtete Verkehrschaos bliebt vielerorts aus.
Schuldige werden ausgemacht
Wer am Dienstag Zug fährt, kann feststellen, dass offenbar das Hochfahren gut funktioniert hat, es kommt zwar zu geringfügigen Verspätungen, aber diese sind spätestens seit dem Sommer ohnehin nicht mehr unüblich. Die ÖBB lassen es sich jedoch nicht nehmen, in diesem Zusammenhang klar die Schuldigen auszumachen. Ausnahmsweise ist es keine Verspätung aus dem Nachbarland, heute in der Früh waren die Schuldigen selbstverständlich die Streikenden. Subtile oder auch offensichtlichere Stimmungsmache gegen die gerechtfertigten Forderungen der Kolleginnen und Kollegen scheint hier wohl zum guten Ton zu gehören, um nach Möglichkeit Frust auszulösen und Unmut gegen die Streikenden.
ÖBB-Chef fehlt jedes Verständnis
Bereits gestern warnte der ÖBB-Chef Andreas Matthä vor Ausfällen am Dienstag, für die er den Streik als Grund benannte, und äußerte Unverständnis für den Streik. Der Vorstandsvorsitzende betonte den vermeintlichen Imageschaden. Er schimpfte im Morgenjournal: „Wir verspielen uns das Vertrauen und gute Image“. Weiter hieß es: „Unsere Aufgabe ist es, das Land am Laufen zu halten.“ Aber eine entsprechende Bezahlung und genügend Personal, um das Land am Laufen zu halten, braucht es wohl nicht.
Matthä befindet das Handeln der Gewerkschaft und der Beschäftigten für nicht verhältnismäßig. Er hält fest, dass ihnen das beste Angebot aller Branchen vorgelegt worden sei. „Man kann am Schluss nicht mehr geben, als im Börserl drinnen ist“, behauptet der ÖBB-Chef. „Mir „fehlt jedes Verständnis für diesen Streik.“ – Wohlgemerkt, Herr Matthä ist Mitglied der SPÖ.
40 Prozent mehr Lohn seit 2018 für die Chefetage – ganz ohne Streik
Der Bahn-Chef selbst zahlt sich ein sattes Jahresgehalt von 630.000 Euro aus. So kann man auch verlangen, das Land am Laufen zu halten, denn man selbst spürt die Teuerung zwar, aber so schlimm ist es ja nicht. Selbst Der Standard berichtete 2019 von der wundersamen Gehaltserhöhung im ÖBB-Management. Für das Führungsduo im ÖBB-Holding-Vorstand, Andreas Matthä und Josef Halbmayr (Ende März 2019 ausgeschieden), brachte 2018 einen deutlich kräftigeren Einkommenschub ganz ohne Streiks.
Das Jahreseinkommen pro Person im Holding-Vorstand stieg von 451.600 um 40 Prozent auf 633.100 Euro (im Schnitt). Wenn man solche Lohnerhöhungen bei einer damals verhältnisweise niedrigen Inflation und ganz ohne Streiks bekommt, kann man den Klassenkampf der Arbeiterklasse selbstverständlich nicht nachvollziehen und macht den Schuldigen für die Probleme bei den ÖBB somit schnell aus.
Aber auch die Westbahn kennt die Schuldigen, nämlich ebenfalls die ÖBB-Streikenden. So einfach ist das Spiel im Kapitalismus, man versucht die Klasse zu spalten. Dabei sollte klar sein, wer tatsächlich Schuld trägt an den ausfallenden Zügen: Der Kapitalismus und die Profitlogik, die eben den wenigen viel gibt und die Arbeiterklassen maximal ausbeutet; die Bosse, die sich hierdurch die Taschen voll machen und kein Verständnis haben, dass diejenigen, die für diese Profite arbeiten, eben auch leben wollen und müssen
Quelle: Heute/Der Standard