Der durch die Volksproteste seit 2020 vorangetriebene Umbruch in Sri Lanka hat nun auch bemerkenswerte staatspolitische Auswirkungen: Anura Kumara Dissanayake von der marxistisch-leninistischen JVP wird neuer Präsident.
Colombo. Die marxistisch-leninistische “Volksbefreiungsfront” (Janatha Vimukthi Peramuna, JVP) konnte am 22. September bei den Präsidentschaftswahlen in Sri Lanka einen bemerkenswerten Erfolg verbuchen. Ihr Parteivorsitzender Anura Kumara Dissanayake, der auch vom Linksbündnis Nationale Volksmacht (NPP) unterstützt wurde, erreichte mit 42,3 Prozent der Stimmen den ersten Platz unter 38 Kandidatinnen und Kandidaten. Damit ist der 56-jährige Dissanayake gewählter Präsident, eine Stichwahl ist gemäß Verfassung und Wahlordnung nicht nötig.
Der amtierende Übergangspräsident Ranil Wickremesinghe von der konservativen Vereinigten Nationalpartei wurde deutlich abgewählt. Seine Partei sowie die anderen traditionellen Systemparteien Sri Lankas, darunter die rechtsnationale SLPP und die sozialdemokratische SLFP, sind seit den massiv Volksprotesten von 2022 nicht mehr allzu gut angeschrieben: Korruption, Bereicherung und Ungleichheit bei gleichzeitiger sozialer Bedrückung für die arbeitenden Menschen wurden unerträglich und die damalige Regierung verjagt. JVP-Vorsitzender Dissanayake, Ende der 1980er Jahre schon ein prominenter Studentenführer, positionierte sich und seine Partei als glaubhafte und konsequente Alternative, die auch bereit ist, mit dem bisherigen Parteien- und Machtsystem zu brechen. Sein überwältigender Wahlsieg ist dennoch eine Überraschung.
Dissanayakes Möglichkeiten in seiner fünfjährigen Amtszeit sind zunächst allerdings beschränkt, denn er verfügt über keine Mehrheit im Parlament. Dessen Zusammensetzung stammt aus dem Jahr 2020 und bildet noch nicht die – um es milde zu formulieren – “Wechselstimmung” im Land ab: Die SLPP stellt eine absolute Mehrheit der Mandatare, während die JVP nur drei von 225 Sitzen innehat. Somit stehen nun Monate einer Machtteilung an, bis (spätestens) im August 20025 auch das Parlament neu gewählt wird. Es bleibt zu hoffen, dass JVP und NPP dann auch in der Legislative deutliche Mehrheiten erhalten – die Chancen hierfür stehen gut.
Ergänzung: Zwei Tage nach der Präsidentschaftswahl wurde das Parlament aufgelöst und auch dessen vorzeitige Neuwahl angesetzt – nämlich bereits für den 14. November 2024.
Quelle: ORF / Peoples Dispatch