Seit Jahrzehnten wird in Österreich über die Zukunft der Sonderschulen gestritten. Was in vielen Ländern längst politischer Konsens ist, bleibt hierzulande ein ungelöstes Konfliktfeld: die Frage, ob Kinder mit Behinderungen gemeinsam mit anderen Kindern lernen sollen oder weiterhin in separaten Einrichtungen beschult werden. Zwar dürfen Eltern seit 1993 wählen, ob ihr Kind eine Sonderschule oder eine inklusive Volksschulklasse besucht. Doch die Entwicklung der letzten Jahre zeigt eine alarmierende Tendenz: Statt die Trennung abzubauen, feiert das segregierende System ein Comeback.
Vom Reformversprechen zum politischen Stillstand
Bereits 2013 forderten die Neos das Aus für Sonderschulen, 2014 kündigte die damalige rot-schwarze Bundesregierung an, den getrennten Unterricht bis 2020 zur Ausnahme zu machen. Doch geblieben ist davon wenig – außer der Erkenntnis, dass der politische Wille nicht ausreichte, um strukturelle Barrieren zu überwinden.Während Italien bereits in den 1980er Jahren alle Sonderschulen abschaffte, kehrt Österreich nun zu einem gespaltenen System zurück. Beispiele aus Oberösterreich, der Steiermark und Wien zeigen, dass Sonderschulen sogar wieder wachsen.
Historische Verwurzelung eines selektiven Systems
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Das österreichische Schulsystem war nie auf Gleichheit ausgelegt. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert entstanden spezialisierte Einrichtungen für taube, blinde oder „lernschwache“ Kinder – jedoch meist in Städten, oft auf Initiative einzelner engagierter Pädagoginnen und Pädagogen. Auf dem Land dagegen blieben Kinder mit Lernschwierigkeiten ohne Förderung und wurden einfach in die bestehenden Klassen integriert, allerdings ohne pädagogische Konzepte oder staatliche Unterstützung.1962 institutionalisierten SPÖ und ÖVP mit der großen Schulreform schließlich die Sonderschule als flächendeckende Schulform. Elf eigene Sonderschulsparten mitsamt spezifischen Lehrplänen zementierten eine Trennung zwischen Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf. Was damals als Fortschritt galt – ein verbrieftes Schulrecht für Kinder mit Beeinträchtigungen –, wurde später zum größten Hindernis für Inklusion: Separate Lehrpläne schaffen getrennte Realitäten.
Die Logik der Elite – und die politische Weigerung, sie aufzugeben
Der Bildungshistoriker Wilfried Göttlicher bringt es auf den Punkt: Der deutschsprachige Bildungsdiskurs war stets von der Idee geprägt, dass es „unterschiedliche Bildungsangebote“ für unterschiedliche Kinder braucht. Dahinter steckt das hartnäckige Verständnis von Bildung als Instrument zur Reproduktion einer sozialen Elite – sichtbar am Festhalten am Gymnasium, das seit jeher Kinder nach ihrer sozialen Herkunft selektiert.
In sozialistischen Ländern sah und sieht dies ganz anders aus, hier hat Bildung eine andere Funktion und das System ist durchlässiger und es gab bereits historisch mehr Teilhaber echte für Menschen mit Behinderung als in der kapitalistischen Staaten.
Ein Schritt nach vorne – zwei Schritte zurück
Das aktuelle Regierungsprogramm von ÖVP, SPÖ und Neos verschärft diese Entwicklung: Unter dem Schlagwort der „verkehrten Inklusion“ sollen Sonderschulen künftig für gemeinsamen Unterricht geöffnet werden. Inklusion wird damit nicht als Abbau separierender Strukturen verstanden, sondern als Erweiterung der Sonderschulen selbst. Das ist keine Inklusion – das ist ihre Umkehrung.
Gleichzeitig erklärt Bildungsminister Christoph Wiederkehr, die konkrete Ausgestaltung sei Sache der Bundesländer. Damit wird Verantwortung weiter delegiert und verschoben, während die strukturellen Probleme unangetastet bleiben.
Ein inklusives Bildungssystem braucht politische Entschlossenheit
Echte Inklusion ist kein pädagogisches Nischenprojekt, sondern eine soziale Frage. Sie scheitert nicht an den Kindern, nicht an den Lehrkräften, sondern an einem System, das von Auslese und Konkurrenz geprägt ist. Ein sozial gerechtes Bildungssystem würde allen Kindern gemeinsame Lernräume bieten und Ressourcen dort einsetzen, wo sie gebraucht werden.
Doch ein Bildungssystem, das auf die Reproduktion sozialer Klassenverhältnisse ausgerichtet ist, hat kein Interesse daran, Barrieren abzubauen. Die Rückkehr der Sonderschulen ist daher kein pädagogisches Missverständnis, sondern Ausdruck politischer Prioritäten.
Der Weg zu echter Inklusion führt über ein anderes Verständnis von Gesellschaft: eines, das Gleichheit nicht als Belastung, sondern als Grundprinzip begreift. Solange soziale Gerechtigkeit in Österreich kein handlungsleitendes Ziel ist, bleibt Inklusion ein leeres Versprechen – und die Trennung unserer Kinder bittere Realität.


















































































