Vor 75 Jahren befreiten Partisaninnen und Partisanen Italien vom faschistischen Joch. Als Nationalfeiertag aber wird der 25. April von vielen politischen Richtungen zu Unrecht für sich vereinnahmt und für politische Zwecke missbraucht.
Italien. „Die Resistenza gehört nicht euch, sie gehört nicht den konservativen und reaktionären Kreisen. Die Resistenza war Kampf gegen den Faschismus, d.h. Kampf gegen die Gruppen des Monopolkapitals, gegen die obskurantistischen und am meisten rückschrittlichen Kräfte unseres Landes“, schrieb Pietro Secchia, ehemaliger Kommandant der Brigate Garibaldi und langjähriges Vorstandsmitglied der Kommunistischen Partei Italiens.
Seine Worte klingen, als wären sie erst vor kurzem geschrieben worden, da sie an Aktualität nichts eingebüßt haben. Nach der Niederlage des Faschismus und der Exekution Mussolinis, dessen Leiche bekanntlich auf dem Piazzale Loreto kopfüber aufgehängt wurde (eingedenk der 15 am 12. August 1944 ermordeten und auf diese Weise zur Schau gestellten Partisanen), war es für viele sehr einfach geworden, sich kurzerhand einen fortschrittlichen Anstrich zu geben. Wie durch Zauberhand waren aus glühenden Faschisten plötzlich alle zu konsequenten Antifaschisten geworden. Genauso wie damals, ist es auch heute nicht schwierig, sich bei günstiger Gelegenheit antifaschistisch zu schminken und Stimmen unter dem Slogan der Bekämpfung des gemeinsamen Feindes, dem Rechtsruck, zu sammeln. In Italien fährt die Partito Democratico sehr gut mit dieser Strategie: Erst vor kurzem gewann sie mit dieser Stimmungsmache in der Emilia Romagna gegen die Lega-Konkurrenz. Dass beide Richtungen dieselben Interessen zur Niederhaltung der arbeitenden Bevölkerung verfolgen, dass beide Parteien genauso EU- und kapitalhörig sind, hat das italienische Volk noch nicht verstanden.
„Es ist wahr, dass die Resistenza keiner Partei allein gehört, aber es ist genauso wahr, dass nicht alle Parteien daran in gleichem Maße mitgewirkt haben. Es ist wahr, dass alle sozialen Schichten, in jedem Land, am Widerstandskampf teilgenommen haben, aber nicht in gleichem Maße“, hebt Secchia in seiner 1949 gehaltenen Rede hervor. Es geht ihm hierbei um wichtige Differenzierungen. Tatsächlich war der Widerstand in Italien eine übermenschliche Kraftanstrengung der italienischen Arbeiterklasse.
Das Problem der Institutionalisierung
Die Institutionalisierung des 25. April als Feiertag, der auch von hohen politischen Würdenträgern mitgefeiert und mitorganisiert wird, die in der Praxis keine sich bietende Möglichkeit ausgelassen haben, die Arbeiterinnen und Arbeiter um jedes erkämpfte Recht zu foppen, nahm dem Tag der Befreiung seinen wahren Kern. Er wird seines revolutionären und opferreichen Vermächtnisses beraubt, entkleidet, bis nichts mehr bleibt, als ein allgemeines antifaschistisches Lippenbekenntnis. Das Blut der im waffentechnisch ungleichmäßigen Kampf gestorbenen Partisaninnen und Partisanen gerinnt so zu einem unwürdigen Klebstoff für das herrschende System.
Ein fahrlässiger Umgang mit der eigenen Geschichte aber gibt dem rechten Spektrum erst die Möglichkeit, an den wackeligen Stuhlbeinen so lange zu rütteln, bis der Stuhl ganz zusammenbricht. Zur Delegitimierung der Resistenza ist ihm jedes Mittel gerade recht: Die Partei Fratelli D´Italia fordert nun, den 25. April zum Gedenktag aller Gefallenen zu machen, außerdem auch der Coronavirus-Toten. Man spielt Tote gegen andere Tote aus, da der 25. April einen ausgrenzenden Charakter habe. Besser sei beispielsweise ein Tag nationaler Eintracht, der keinen Toten ausschließe.
Das kommt davon, wenn man einen weichgespülten Antifaschismus, der nicht zugleich Antikapitalismus bedeutet, jahrelang für politische Propaganda missbraucht.
Säulen des Widerstands
Systematisch verschwiegen wird, wer den Widerstand maßgeblich anführte und organisierte, wer die meisten Opfer zu beklagen hatte: Der Beitrag der Kommunistischen Partei Italiens und ihrer Jugendorganisation.
So lieferten die Brigate Garibaldi im antifaschistischen Kampf die größten Truppenkontingente, die entschiedensten Kämpferinnen und Kämpfer, die besten und organisiertesten Kader. Unter der Führung von herausragenden Gestalten wie Pietro Secchia und Luigi Longo wurden die Brigate Garibaldi zum tragenden Gerüst des gesamten Befreiungskampfs, der im 25. April seinen Höhepunkt fand. Ein Höhepunkt, der auf jahrelangem Kampf und organisatorischer Anstrengungen in der Illegalität basiert, jedoch auch auf Überzeugungsarbeit.
Den Kommunistinnen und Kommunisten ist es zu verdanken, dass der Widerstand mit der Waffe in der Hand und nicht etwa passiv geführt worden ist. Auch die Ausarbeitung der vielfältigen Kampfformen, des richtigen Zeitpunkts des Zuschlagens sowie der Taktik ist wesentlich dem Werk der Kommunistinnen und Kommunisten zuzuschreiben. Inspiration und Grundgedanken des bewaffneten Widerstands zogen sie aus der Französischen Revolution, den spanischen Guerrilleros, dem russischen Kampf gegen Napoleon, der Pariser Kommune, den russischen Revolutionen und dem italienischen Risorgimento. Secchia hebt diesbezüglich Karl Marx´ Kommentare zur Niederlage Piemonts in der Schlacht bei Novara von 1849 als besonders hilfreich hervor.
Kalter Krieg und Geschichtsrevisionismus
Die Kommunistische Partei wurde in der Nachkriegszeit nach und nach aus staatlichen Angelegenheiten rausgedrängt, während alte faschistische Funktionäre reintegriert wurden. Die Systemauseinandersetzung führte auch in Italien zur Logik des Kommunismus als Hauptfeind. Die Entnazifizierung verlief in Italien sehr ähnlich wie in der BRD.
Der Historiker Massimo Recchioni, der seit 2009 fünf Bücher zu verschiedenen Themen der italienischen Resistenza veröffentlicht hat, kritisiert in dieser Hinsicht den Geschichtsrevisionismus und das kurzgeratene Gedächtnis Italiens. Der Revisionismus diene letzten Endes der Selbstabsolution von den vom Faschismus begangenen Verbrechen: Es finden sich keine Geschichtsbücher neueren Datums, die etwa die Verbrechen des italienisch-faschistischen Heeres in Libyen 1930/1931 sowie in Äthiopien 1935–1937 thematisieren. Im Gegensatz dazu wurde 2004 ein unsäglicher Gedenktag für die italienischen „Opfer“ im jugoslawischen Partisanenkampf eingerichtet, der sog. Tag der Erinnerung am 10. Februar. Dass in Äthiopien am 19. Februar ebenfalls ein Gedenktag begangen wird, der an die halbe Million Opfer des italienischen Faschismus erinnern soll, davon spricht man in Italien kaum.
Nach der Befreiung wurde vonseiten mehrerer Staaten (u.a. Libyen, Somalia, Äthiopien, UdSSR, Griechenland, Jugoslawien und Frankreich) die Auslieferung von 2000 in diesen Ländern aktiv mordenden Kriegsverbrechern gefordert. Tatsächlich wurde kein einziger dieser Kriegsverbrecher ausgeliefert, Italien gab aber das Versprechen, diese Verbrechern vor Gericht zu stellen. Hierbei offenbarte sich die ganze Tragödie der Resistenza: Die Säuberung des öffentlichen Lebens und der Behörden von faschistischen Elementen war nicht erfolgt. Faschistischen Verbrechern standen faschistische Richter gegenüber, die wenig Mühen in die Wahrheitsfindung investierten.
Fazit
Die Kommunistische Partei (PC) und die Kommunistische Jugendfront (FGC) haben nach langer Analyse den Schluss gezogen, dass die Resistenza verraten worden sei. Für die Arbeiterklasse hat sich vor und nach dem Faschismus nichts geändert, nach wie vor ist sie der Willkür der ausbeutenden Klasse unterworfen. Nach wie vor schuftet sie für einen Hungerlohn und muss ständig Arbeitslosigkeit fürchten. Immer weniger Arbeiterinnen und Arbeiter haben Zugang zum Gesundheitswesen, zu Aus- und Hochschulbildung und einem allgemein lebenswürdigen Dasein. Dasselbe System, das historisch den Faschismus erst hervorgebracht hat, ist auch heute noch in Betrieb. Das Fazit lautet: Nicht für dieses Italien haben tausende Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer jahrelang gelitten. Nicht für dieses System haben tausende Partisaninnen und Partisanen ihr Leben gegeben.
Pietro Secchia beendete 1949 seine Rede vor dem Parlament mit folgenden Worten: „Wir selbst machen uns keine Illusionen; wir wissen, dass der Freiheitskampf Opfer und Leiden abverlangt; aber davor fürchten wir uns nicht, wir haben uns nie davor gefürchtet. Wir haben großes Vertrauen in unser Volk, in unser Land und in die Zukunft des Sozialismus. Ihr könnt machen, was ihr wollt: der Tag wird kommen an dem keine Gewalt, keine Willkür oder Kraft mehr verhindern kann, dass Italien erneuert wird. Davon sind wir überzeugt. Auf diesen Tag arbeiten wir hin, auf diesen Tag arbeiten alle Partisanen hin!“
Quellen:CNJ / Huffingtonpost / La Resistenza Tradita / FGC / Senza Tregua / La Riscossa