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Ein Privatissimum mit Alfred Verdroß für Bundeskanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg über die dauernde Neutralität Österreichs

Gastautor: Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i.R. für Geschichte an der Universität Innsbruck

Alfred Verdroß (1890–1980) hat 1980 als emeritierter Wiener Universitätsprofessor und Dr. jur. Dr. h. c. mult., als Ehrensenator der Universität Wien und Ancien Président et membre honoraire de l’Institut de droit international die Broschüre „Die immerwährende Neutralität Österreichs“ publiziert. Nach seiner historischen Darlegung der ersten Gedanken und Pläne über die Rolle einer in Europa friedensstiftenden neutralen Republik Österreich von Heinrich Lammasch (1853–1920) und anderen stellt Verdroß zuerst fest, dass das Moskauer Memorandum vom 15. April 1955 kein Vertrag zwischen der Sowjetunion und Österreich ist, vielmehr sei das Moskauer Memorandum nur eine Abmachung zwischen der Sowjetregierung und der österreichischen Regierungsdelegation. Die österreichische Regierungsdelegation habe schon rechtlich keine Verpflichtung über die österreichische Neutralität eingehen können. Diese wurde aber aufgefordert, bestimmte Maßnahmen dafür in die Wege zu leiten. „Dazu ist allerdings zu bemerken“, so Verdroß, „dass das österreichische Neutralitätsgesetz allein noch keine völkerrechtliche Verpflichtung der Republik Österreich begründet. Sie wurde erst herbeigeführt durch die von den anderen Mächten teils anerkannte, teils widerspruchslos zur Kenntnis genommene Notifizierung der dauernden Neutralität der Republik Österreich, da diese ein jenen Mächten gegenüber abgegebenes Versprechen bildet, eine immerwährende Neutralität zu beobachten. Durch die Annahme dieses Versprechens ist daher die im Moskauer Memorandum vorgesehene internationale Bindung der Republik Österreich nicht nur gegenüber der Sowjetunion, sondern auch gegenüber den anderen Mächten erzeugt worden. Dieses Versprechen ist zwar nur ein einseitiges Rechtsgeschäft, es hat aber dieselbe Rechtskraft wie eine in einem Staatsvertrag übernommene Verpflichtung, da auch die einseitigen, anderen Staaten gegenüber abgegebenen Versprechungen vom Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht werden und daher nur unter jenen Voraussetzungen abgeändert werden können, die auch für völkerrechtliche Verträge gelten“.

Das Bundesgesetz über die Neutralität Österreichs vom 26. Oktober 1955 analysiert Alfred Verdroß mit drei Punkten:

„1. Das Gesetz sagt zunächst, dass Österreich seine immerwährende Neutralität erklärt. Damit wird ausgesprochen, dass sich die Republik Österreich, ebenso wie die Schweiz, bei allen Kriegen, die in Zukunft ausbrechen sollten. neutral verhalten wird.

2. Das Gesetz erklärt ferner, dass Österreich seine immerwährende Neutralität >mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen wird<. Auch in dieser Hinsicht folgt unser Staat dem Schweizer Vorbild.

3. Schließlich bestimmt das Gesetz, dass Österreich auch in Friedenszeiten in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen wird. Dadurch hat Österreich nach dem Muster der Schweiz die Verpflichtung übernommen keine Bindungen einzugehen, die unseren Staat in einen Krieg verwickeln könnten“.

Verdroß betont, dass das Neutralitätsgesetz die Grund- und Freiheitsrechte der österreichischen Staatsbürger in keiner Weise beschränkt, die Neutralität verpflichte den Staat, nicht aber die einzelnen Staatsbürger. Das war ihm als einem der bedeutendsten Vertreter der bürgerlichen Rechtsphilosophie wichtig. Verdroß hat nach 1945 als Völkerrechtslehrer den Widerstandskämpfer Eduard Rabofsky (1911–1994) kennengelernt und ihm 1976 den Artikel „Soziale und bürgerliche Menschenrechte“ gewidmet. Eduard Rabofsky gehörte zur „Gruppe Soldatenrat“, die mitten im Vormarsch der deutschen Wehrmacht gegen den Osten im Oktober 1941 das hektografierte Flugblatt „Hitler hat den Krieg schon verloren“ verteilt hat und, wie sein Bruder Alfred Rabofsky (1919–1944), dafür einen blutigen Preis zahlen musste. Eduard Rabofsky hat sich in juristischen Fragen des öfteren mit dem Berliner marxistischen Rechtsphilosophen Hermann Klenner (1926) ausgetauscht. Rabofsky hielt es für gänzlich unzulässig, dass ein neutraler Staat einer Organisation angehören kann, die den Beitritt anderer Staaten ausschließt oder beschränkt. 

Bundeskanzler Nehammer und Außenminister Schallenberg werden sich denken, wer ist, denn dieser Alfred Verdroß, diesen Namen haben wir nie gehört, was zählt, sind allein die Machtverhältnisse der Gegenwart und diese verlangen nach allseitiger Unterstützung der NATO als Interventionsallianz. Sie sind dabei nicht allein und finden überall Applaus, auch dort, wo das nicht von vorneherein zu erwarten ist. Kardinal Christoph Schönborn (*1945) deklassiert im Wiener Boulevard die Neutralität Österreichs als 1955 zu zahlenden Preis für die Erlangung der Freiheit. Dass Neutralität aber ein Privileg für ein bündnisfreies „aktives Eintreten für die Sache des Friedens“ bedeutet, wie das Paul VI. (1897–1978) beim Empfang des österreichischen Botschafters 1969 definiert hat, ist auch diesem opportunistischen Spitzenkleriker fremd. 

BILDQUELLEPublic domain
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