HomeFeuilletonGeschichteErnst Wimmer: Lehren des Februar 1934

Ernst Wimmer: Lehren des Februar 1934

Im Februar 1934 kam es zum kurzen österreichischen Bürgerkrieg. Teile der revolutionären Basis des sozialdemokratischen Schutzbundes und der Arbeiterklasse gingen zum bewaffneten Widerstand gegen die Durchsetzung des Austrofaschismus über – und scheiterten. Wir bringen im Folgenden eine Einschätzung zu den Ereignissen, Hintergründen und Folgen von Ernst Wimmer.

Der Februar 1934 zog einen blutigen Strich unter die Illusion von der Überwindung des Kapitalismus mittels Stimmzettels, mittels Reformen. Nach der Außerordentlichkeit des „Roten Wiens“ erwies sich seine Widerrufbarkeit. Diese Erfahrung sorgte für ein außerordentliches Ereignis: Die Kommunistische Partei wurde in der Illegalität zur Massenpartei. Tausende Sozialisten entschlossen sich zu diesem schweren Schritt, zu dem Eintritt in eine viel kleinere Partei, nachdem sie erkannt hatten: die Größe der Partei verbürgt keineswegs die Richtigkeit ihrer Politik. Wenig nützt organisatorische, bei Wahlen beschworene Einheit, hinter der sich ärgste Uneinigkeit über Ziele, Zwecke, Aufgaben und Mittel, über Interessen und Erwartungen verbirgt. Für das Ausmaß der Diskreditierung „der“ Sozialdemokratie zeugt, daß damals die Kraft, die organisiert in der Illegalität wirken wollte, sich zur Distanzierung vom Reformismus demonstrativ „Revolutionäre Sozialisten“ nannte.

Sozialdemokraten rühmen sich heute, ihre Bewegung habe immer zu den Verteidigern der Demokratie gehört. Gemeint war und ist stets die bürgerlich-parlamentarische. Eine sozialistische Demokratie hat die Sozialdemokratie nie gewollt oder gewagt, haben nicht wenige ihrer Repräsentanten verteufelt und damit – durch das Miesmachen der sozialistischen Alternative – sogar der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie gegen die äußerste Reaktion geschadet.

Zu einer Einschätzung der Sozialdemokratie in Österreich gehört unbedingt die historische Tatsache: Sie war nicht imstande, auch nur die parlamentarisch-bürgerliche Demokratie erfolgreich zu verteidigen. Die Ehrenrettung in jener Bewährungsprobe haben ihre Führenden jenen Kämpfenden überlassen, von denen sich nicht wenige nach dieser Prüfung von der Partei wegen der großen Phrasen und der noch größeren Niederlagen in ihrem Gefolge trennten, ja die sogar mit ihrem mutigen Akt eines bewaffneten Widerstands noch Weisungen und Befehlen von Instanzen dieser Partei zuwiderhandelten.

Die größte Katastrophe der Sozialdemokratie

Eine Katastrophe solcher Ausmaße ereilte die größte, auf ihre Weise wirklich kaum vergleichbare sozialistische Partei der Welt. Eine, die sich – etwas ganz außerordentliches – auf einen bewaffneten Arm stützen konnte: den Republikanischen Schutzbund, der bis zu 80.000 Mitglieder zählte. Eine Arbeiterpartei, die sich für so allumfassend hielt, daß sie erklärte, eine Aktionseinheit der Arbeiterklasse mit anderen gar nicht zu brauchen, weil diese Einheit ja schon in ihr selber verwirklicht sein. Die „vernichtenden Schläge“, die sie immer wieder für die „nächste Provokation der Reaktion“ fürs „nächste Mal“, wenn ihre Geduld endgültig erschöpft sei, in Aussicht stellte, wurden nie geführt. Was als Umsicht, als Verantwortungsbewußtsein, als „höhere Strategie“ gelten wollte, entpuppte sich als Unentschlossenheit, als Unfähigkeit zu handeln, als Abgrund zwischen Versprechungen, Programmatik und Wollen.

Diese dunkle Zeit der Unterdrückung der Arbeiterbewegung, die bezeichnenderweise mit dem Verbot der Kommunisten begann, die Jahre bitterer Ernüchterung wurden auch zu Jahren des Nachdenkens, des Abrückens von manchen lange hartnäckig behaupteten sozialdemokratischen Positionen. Damals schrieb Max Adler über die „folgenschwere Tatsache“, die sich „aus dem Reformismus“ ergibt, daß „die Taktik der Sozialdemokratischen Partei den ganz veränderten und neu entstandenen Machtverhältnissen im Staat längt nicht mehr entspricht und vor allem an neue Kampfmöglichkeiten und Kampfmittel überhaupt nicht gedacht hat, geschweige denn sie vorbereitet und organisiert hätte“.

Die Selbstkritik Otto Bauers, von der man heute nichts wissen will

Max Adler vermerkte zum sozialdemokratischen Einheitsfetischismus, zu dem Aberglauben, daß Einheit an sich, nicht in der Sache, stark machen müßte: das Prinzip der Parteieinheit habe eine notwendige Grenze, nämlich dort, „wo man auf eine solche Anschauung und Gesinnung in der Partei stößt, die selbst bereits unrevolutionierbar ist, weil sie eben nur mehr dem Namen nach eine sozialdemokratische, in Wirklichkeit aber längst nur mehr eine bürgerlich-demokratische Parteistellung geworden ist.“ (Austromarxismus, S. 222/223, 229.)

Damals, nach den desillusionierten Erfahrungen darüber, wie ernst das Kapital Spielregeln der parlamentarischen Demokratie nimmt, wenn es fürchtet, daß seine Macht, Kommandohöhen oder auch „nur“ die Profitrate auf dem Spiel stehen, bezeichnete Max Adler die Frage des Reformismus, bei wieviel Prozent Stimmenmehrheit die „Machteroberung“ beginne, ob bei 51 oder bei 75%, als „lächerliches Vexierproblem“. Die Frage, bemerkte er bissig, kann nur dort auftauchen, „wo man politische Demokratie auf die parlamentarische zusammenschrumpfen lässt“. (Austromarxismus, S.255). Also wenn man obrigkeitsgläubig, verspießert alles ausschließt, von den Eigentumsverhältnissen in der Ökonomie, den Verhältnissen in den Apparaten des Staates bis zu den Kräfteverhältnissen im Klassen- und Kulturkampf, was letztlich Inhalt und Spielraum von Demokratie bestimmt.

Otto Bauer, der viele Jahre hindurch Demokratie als „klassenneutral“ betrachtet hatte, kam, geschockt durch die Wirklichkeit, zu dem Schluß: „Wenn es sich um das Letzte und Äußerste, um ihr Eigentum, ihren Profit handelt, dann unterwirft sich die die kapitalistische Klasse, den Spielregeln der Demokratie nicht mehr. Dann hängt es von den konkreten geschichtlichen Umständen ab, in welchem Maß sich die Gesellschaft zeitweilig von den Spielregeln der Demokratie emanzipieren muß, um sich von der Herrschaft des Kapitals zu emanzipieren“. (Zwischenzwei Weltkriegen?, S. 206.)

„Visionen“ im Angesicht des Faschismus

Auch Otto Bauer hatte damals eine „Vision“. Für jene, die heute nach Visionen rufen, wäre sie völlig unstatthaft. Nämlich die eines „integralen Sozialismus“, einer „neuen, höheren Synthese“ durch „Überwindung und Vereinigung der sozialdemokratischen These und der kommunistischen Antithese“. Damals mündete Max Adlers leidenschaftliche Kiritk am „Sumpf des Opportunismus“ in eine vage Hoffnung: in ein „Vielleicht“: den „Versuch eines ganz neuen einheitlichen Aufbau des Proletariats“. Allerdings, auch der damals geschärfte Wirklichkeitssinn von Otto Bauer, von Max Adler reicht nicht, um zu erkennen, daß Revolutionäre sich nie der Konstruktion einer „Einheit“ unterwerfen können, die jeweils von Rechten und noch Rechteren benutzt werden kann, um den Ton anzugeben und im Namen von „Disziplin“ und „Einheit“ unentwegt weiter nach rechts zu führen.

Die gesamte seitherige Geschichte der Sozialdemokratie ist sicherlich nicht allein auf eine solche Rechtsentwicklung zu reduzieren. Aber diese ist unbestreitbar der vorherrschende Zug. Ein Vergleich der damaligen unverkennbar selbstkritischen Überlegungen Otto Bauers über Staat und Demokratie, also über zentrale Kategorien der Politik, mit den heute in der Sozialdemokratie vorherrschenden Theroiechen vom Staat als angeblich klassenneutraler Wahrnehmer gesamtgesellschaftlicher Interessen und „Problemlöser“ veranschaulicht die Rasanz dieser Rechtsentwicklung, die Tiefe des Absturzes, der mit dem Verzicht auf Instrumente des Marxismus, auf jeglichen Klassenstandpunkt in der Weltanschauung erfolgte.

Quelle: „Ernst Wimmer: 100 Jahre Hainfeld – 70 Jahre KPÖ – Rückblick und Ausblick“, herausgegeben von der KPÖ, Wien 1988, Seiten 20–23. Originalrechtschreibung beibehalten. Ernst Wimmer (1924–1991) war ein kommunistischer Journalist, Politiker und marxistisch-leninistischer Theoretiker. Er gehörte von 1970 bis 1990 dem Zentralkomitee der KPÖ an und galt lange Zeit als deren „Cheftheoretiker“. Bis zu seinem Tod kämpfte er gegen das Abgleiten der kommunistischen Bewegung in die weltanschauliche Beliebigkeit.

- Advertisment -spot_img
- Advertisment -spot_img

MEIST GELESEN