HomeFeuilletonGeschichteVor 150 Jahren: Leipziger Hochverratsprozess gegen Bebel und Liebknecht

Vor 150 Jahren: Leipziger Hochverratsprozess gegen Bebel und Liebknecht

Am 26. März 1872 erging das Urteil im Hochverratsprozess gegen die Führung der deutschen Sozialdemokratie. August Bebel und Wilhelm Liebknecht fassten zwei Jahre Haft aus, doch die Klassenjustiz verfehlte ihr eigentliches Ziel.

In der letzten Märzwoche 1872 ging der Hochverratsprozess gegen die Führer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zu Ende: Die Reichstagsabgeordneten August Bebel (1840–1913) und Wilhelm Liebknecht (1826–1900) wurden zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt, während Adolf Hepner, Redakteur des Parteiorgans „Volksstaat“, freigesprochen wurde. Bebels Parlamentsmandat wurde ihm aberkannt. Was seitens des Deutschen Kaiserreichs als empfindlicher Schlag gegen die sozialistische Arbeiterbewegung gedacht war, führte jedoch zu gerade gegenteiligen Entwicklungen.

Die Anklage bezog sich auf die Tätigkeit von Bebel und Liebknecht während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71: Sie charakterisierten die militärische Auseinandersetzung als dynastischen Krieg, bei dem die Arbeiterklasse keine Seite unterstützen könne. Dementsprechend verhielten sich Bebel und Liebknecht als Abgeordnete des damaligen Norddeutschen Reichstags: Am 19. Juli 1870 enthielten sie sich bei der Abstimmung über die Bewilligung der Kriegskredite der Stimme, bei der Debatte über zusätzliche Gelder am 26. Oktober desselben Jahres gingen sie noch einen Schritt weiter. Sie votierten gegen die Gewährung weiterer Finanzmittel und brachten einen Antrag ein, der einen Friedensschluss ohne Annexionen vorsah. In den Augen des preußischen Militarismus und seiner „Justiz“ hatten sich die Sozialdemokraten damit endgültig als „Vaterlandsverräter“ erwiesen. Im Dezember 1870 wurden Bebel, Liebknecht und Hepner in Untersuchungshaft genommen, mit dem Ziel, einen Prozess wegen Landesverrats durchzuführen. Dazu kam es jedoch vorerst nicht: Auch durch öffentlichen Druck wurden die drei im März 1871 entlassen. Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs und dem Ende des Krieges gegen Frankreich war ein Landesverratsprozess eigentlich nicht mehr möglich.

Doch nicht zuletzt Reichskanzler Bismarck wollte unbedingt eine Verurteilung erreichen. Es erfolgte eine neue Anklage – nun wegen Hochverrats –, und am 11. März 1872 begann der Prozess vor dem Leipziger Schwurgericht. Der Staatsanwaltschaft war es freilich nicht möglich, konkrete Vorwürfe zu belegen, weswegen es zu einer rein politischen Verhandlung kam: Allerlei Zeitungsartikel, Korrespondenzen, die IAA-Mitgliedschaft, Bebels positiver Bezug auf die Pariser Kommune von 1871, ja sogar der Inhalt des „Kommunistischen Manifests“ von Marx und Engels sollten darlegen, dass es sich bei der SDAP um eine staatsfeindliche Organisation handelte. Die Klassenjustiz erreichte ihr Ziel, das notwendige Quorum von acht Geschworenen sprach Bebel und Liebknecht am 26. März 1872 schuldig, während Hepner allerdings einen Freispruch erhielt. Das Gericht verhängte eine zweijährige Haftstrafe, die von den Verurteilten in der Hubertusburg im sächsischen Wermsdorf abgesessen wurde.

Das größere Ziel Bismarcks wurde aber verfehlt: Man hatte sich eine nachhaltige Schwächung der sozialistischen Arbeiterbewegung erhofft, nachdem man diese quasi vorerst enthauptet hatte. Bebel und Liebknecht wurden in den Augen der Arbeiterklasse jedoch zu Märtyrern, die Nachwahl aufgrund des Mandatsentzugs für Bebel gewann dieser im Januar 1873 vom Gefängnis aus souverän – womit er abermals Reichstagsabgeordneter war. Der Aufschwung der Bewegung in Deutschland zeigte sich auch in der zunehmenden Verbreitung marxistischer Schriften und in einer wachsenden Anhänger- und Mitgliedschaft. Im Mai 1875 fand der Vereinigungskongress von Gotha statt, nach dem SDAP und ADAV gemeinsam die Sozialistische Arbeiterpartei bildeten. Wenngleich das Parteiprogramm lassalleanische Rückschritte beinhaltete, markierte dies den weiteren Aufstieg der Arbeiterbewegung, der auch durch das repressive „Sozialistengesetz“ von 1878 nicht mehr aufzuhalten war. 1891 erfolgte mit dem Erfurter Parteitag die Gründung der legalen Sozialdemokratischen Partei (SPD), die zunächst wieder eine marxistische Richtung einschlug, zur Massenpartei sowie zu einem der wichtigsten Mitglieder der II. Internationale wurde.

Das revolutionäre und konsequent antimilitaristische Erbe der einst marxistischen SPD, die in den Revisionismus und Sozialchauvinismus abglitt, verteidigte Wilhelm Liebknechts Sohn Karl, der am 2. Dezember 1914 – 44 Jahre nach seinem Vater – als einziger Abgeordneter im deutschen Reichstag gegen die Kriegskredite stimmte. Prompt wurde auch er 1916 von der Klassenjustiz wegen Hochverrats zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. In aller Konsequenz verließ Karl Liebknecht nach seiner vorzeitigen Haftentlassung die verkommene Sozialdemokratie und gründete zum Jahreswechsel 1918/19 gemeinsam mit Rosa Luxemburg und anderen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) – in der wahren ideologischen Tradition und Nachfolge von August Bebel und Wilhelm Liebknecht.

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