HomeFeuilletonLouis Fürnberg und das „Echo von links“ (1932-1938)

Louis Fürnberg und das „Echo von links“ (1932–1938)

Gastautor: Peter Goller, geb. 1961, Univ.-Doz. Dr. und Archivar an der Universität Innsbruck

Louis Fürnberg (1909–1957) trat 1928 der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei bei. Er arbeitete im antifaschistischen Kampf für die „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“ (AIZ), für die Prager „Rote Fahne“. Mit Mühe der Gestapo-Haft entkommen emigrierte er 1940 nach Palästina, dort vor allem in Kontakt mit Arnold Zweig stehend. 1946 kehrte er nach Prag zurück, um dann die letzten Lebensjahre in Weimar, in der DDR zu verbringen.

Aus in der Zeit der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise 1929 brüchig werdenden bürgerlichen Verhältnissen stammend gehörte Fürnberg als gescheiterter Gymnasiast in den 1920er Jahren mehreren „freijugendlichen“ Kreisen von Bohemiens an, in denen über Friedrich Nietzsche, Stefan George oder Hugo Hoffmannsthal gestritten wurde.

In einem im Exil in Palästina entstandenen Romanfragment „Der Urlaub“ erinnert sich Fürnberg im Weg seiner literarischen Figur, des Dichters und Dorfschullehrers Franz Kassner aus der Sicht von 1936 angesichts des drohenden Nazi-Einmarsches in das Sudetenland an die eigenen Anfänge im Umfeld eines jugendbewegten Schopenhauer‑, vor allem aber Nietzsche-Kults, in den Oswald Spengler, Ernst Jünger und ähnliche Vordenker des „Stahlbades“ hineinspielen.

Während das in Kassners Elternhaus hängende Marx-Bild als bieder und spießig abgetan wird, hängt der sich als geistige Auslese verstehende Intellektuellenzirkel um Kassner dem „Kettensprenger“, dem „Einsiedler von Sils-Maria“, dem Dichter von „Ecce homo“ an: „Nietzsches ‚Der Wanderer und sein Schatten‘, schwang man sich selbst zur Abhaltung dionysischer Monologe auf. So schritt man durch Gewirr und Gestrüpp. Urwaldgänger der Seele, zunehmend begeistert, je tiefer man in den Dschungel geriet.“ Kassner sieht ein gutes Jahrzehnt später 1936, dass die meisten dieser jungen Nietzsche-Zarathustra-Verehrer sich bei den sudetendeutschen Nazis verdingt haben, „schlechte Gedichte“ in Henlein-Blättern veröffentlichen und „Georges Verse gegen Reitstiefel“ eingetauscht haben, „um Henleins Ordnertrupp zu machen“. In einem Fürnberg-Begleitwort merkte Egon Erwin Kisch 1947 zu diesen scheinrebellisch „antibürgerlichen“ Intellektuellen an: „Ihr Bestreben, avantgardistisch und modern zu sein, schützt sie nicht vor Rückfällen in die nationalistischen und antisozialen Vorurteile des Altliberalismus“, des Irrationalismus und des antisozialistischen Faschismus. Kassner selbst hat seine Lektüre mittlerweile revidiert. Nietzsche oder George verschwinden aus seinem Blick. Er liest nun Ernst Toller, Johannes R. Becher, Erich Weinert, Friedrich Engels‘ „Bauernkrieg“ und Lenins „Staat und Revolution“.

An Rainer Maria Rilke, seinem frühen Vorbild, hat Louis Fürnberg hingegen zeitlebens festgehalten. Er grenzt ihn aus Anlass eines Rilke-Abend in Jerusalem, wo er auch auf die verarmte Else Lasker-Schüler trifft, deutlich von der neuromantischen „Hoffmannsthal“-, von der „George-Dekadenz“ ab. Er sieht in Rilke den gesellschaftsflüchtigen pazifistischen Humanisten, wenngleich in „Welteinsamkeit“ fern allen sozialen Kämpfen. Schon dem Kriegsjubel von 1914 begegnet Rilke „in unendlich zweideutigen, durchaus pazifistischen Versen, makabren Visionen (…), während des Krieges verstummt er fast ganz. Das Kriegspressequartier, Unterschlupf und Jageplatz fast der gesamten deutschen Literatur seiner Zeit, kann ihn zu nichts haben als zum endlosen Linieren von Briefblättern.“ Der von seinen Epigonen missverstandene Rilke ahnt nach 1918 trotz des eigenen Weges in einen weltscheuen Mystizismus den Anbruch einer neuen deutschen Barbarei. Bei der Reaktion ist Rilke als Freund von Revolutionären und Pazifisten verhasst. Bayerische Freikorps, die „Vorgänger der Braunhemden“, verwüsten auf der Suche nach Ernst Toller seine Wohnung.

An Karl Kraus erinnert Louis Fürnberg in Exiltagen 1941/42 im Widerspruch, verehrt als der „streitbare Moralist“, als Verfasser der „Blutschronik ‚Die letzten Tage der Menschheit‘“, als der Kämpfer gegen den rechtsautoritär gewalttätigen Wiener Polizeipräsidenten Schober im Jahr 1927, als der Gegner des sprachlich verluderten bürgerlichen Feuilletons (der „Neuen Freien Presse“), der „Burgtheaterkultur“. Auf der anderen Seite Karl Kraus, der Verfasser von oft dümmlichen, im Stil von Herrenstammtischen gehaltenen Aphorismen über Frauen, und vor allem der sich von den antifaschistischen Kämpfen als „trauriger Ritter Don Quichote“ verabschiedende Karl Kraus, der sich Dollfuss-Starhemberg annähert, mag dies auch aus Verzweiflung über das Vordringen der nazistischen Barbarei geschehen sein.

Seit den frühen 1930er Jahren hatte sich Fürnberg für die sozialistische Literatur seiner Heimat, etwa für den sowohl im tschechischen als auch im deutschen Proletariat bekannten Franz Carl Weiskopf eingesetzt. Zu Rudolf Fuchs, 1939 aus der CSR ins englischen Exil vertrieben, notiert Fürnberg: „Er schrieb eines der wirkungsvollsten sozialen Dramen, eine der stärksten Anklagen gegen die Klassenjustiz, das Max-Hölz-Drama ‚Aufstand im Mansfelder Land‘.“ Fürnberg kooperiert eng mit dem 1933 aus Deutschland geflüchteten Dichter Kuba und dessen Arbeiterspieltruppe „Roter Stern“. Er trat für die schon vor 1938/39 in Böhmen kaum mehr geduldeten „kulturbolschewistischen“ Komponisten ein, für die „Neutöner“ Ernst Krenek, Hermann Scherchen und Hanns Eisler oder für den Maler Rudolf Swoboda mit seinen Bildern von „verplagten Händen“, von erschöpften proletarischen „Runzelgesichtern“, mit seinem Gorki-Porträt.

Im antifaschistischen Kampf mobilisierte Louis Fürnberg 1935/36 gegen den „Sudeten-Blubo“ all der vielen Bruno Brehm oder Wilhelm Pleyer, auch gegen eine völkisch rassistische Literatur, wie sie vom Prager, später Münchner Germanistikprofessor Herbert Cysarz unter dem Titel „Dichtung im Daseinskampf“ auf der Ebene Rosenbergscher Naziideologie, des ‚Mythus des 20. Jahrhunderts‘, propagiert wurde.

In der nach 1940 in Palästina entstandenen, zeitlich im Frühjahr 1936 spielenden „Urlaubs“-Erzählung reflektiert Louis Fürnberg, der in jenem Jahr wegen seiner schwer angeschlagenen Gesundheit in Lugano Erholung suchte, die eigene Entwicklung und Position an Hand des westböhmischen Dorfschullehrers Franz Kassner, der ebenfalls zu einer mehrwöchigen Lese- und Kur-Reise in die Schweiz eingeladen wird: Kassner, verarmter Lehrer und Schriftsteller, KPC-Genosse, reist mit Gedanken an Thomas Manns Zauberberg-Welt durch die Schweiz. Er denkt an Gottfried Keller, zitiert aus der Erinnerung Friedrich Hölderlins Abschied von der Schweiz.

Der Rosa Luxemburg lesende Kassner, ein „Stehkragenprolet“, keine „Hans-Castorp-Figur“ will den Gesundungsurlaub erst gar nicht antreten, sieht er darin doch gar eine Desertion, da er nicht nur die Parteiarbeit zurücklassen würde, sondern auch dadurch, dass in seiner Abwesenheit ein nazistischer Lehrer, irgendein „Henleinfrüchtel“, die Schulkinder irreführt.

In Lugano begegnet Kassner seinem Gastgeber, dem Maler Reinhard Colon, einer kränklichen geistesaristokratisch agierenden „Tonio-Kröger-Figur“, die auf die (antifaschistische) „Simplizität eines Dorfschullehrers“ herabsieht. Colon spricht Kassners asketisch sachlichen Gedichten die formale Schönheit ab, er schreibe aus einer „schönheitsfeindlichen Einstellung“ heraus.

Für Colon sind die kommunistischen Emigranten eigentlich nur aus der Zeit gefallene Fanatiker, Savonarola-Figuren, „rote Kardinäle“, „rote Spießbürger“, jesuitisch-bolschewistische Loyola-Existenzen, so wie sie Thomas Mann im „Zauberberg“ in der Figur des Leo Naphta zeichnet: „‘Kennst Du die Büste Savonarolas? Du hast denselben Zug wie sie. (…) ‚Alle Ketzer sind Pfaffen. Wenn ich dich male, bekommst du ein weißes Chorhemd und ein purpurrotes Käppi und dann schreib ich darunter, ‚Der rote Kardinal‘.“

Colon, für die experimentelle Avantgarde plädierend, die rein formal poetische Form anbetend, für eine von politischer Tendenz freie Kunst eintretend, verachtet den sozialistischen Realismus, da komme kein Manet, kein Cézanne unter sowjetischen Bedingungen hervor, Colon direkt gegen Kassner: „Wenn die Künstler nur Tendenzkunst schaffen wollten, und darauf liefe Kassners Ansicht und Absicht ja heraus, so würden sie sich eben sterilisieren. Ein bisschen Verantwortungslosigkeit gehöre sich schon zum wirklichen Kunstwerk, die Freiheit nämlich, tun und lassen zu können, was man wolle. (…) Seinem Gefühl nach hätten Kunst und Politik so wenig miteinander zu tun wie Feuer und Wasser. Die eine könne nur die andere stören, nichts sonst! Politik sei Realität, Kunst aber irrational, mit anderen Worten: Politik sei und bleibe diesseitig, die Kunst habe weit mehr den Sternen zu dienen als dem Leben.“

Allseits der vormarschierende Faschismus, da kann Kassner wenig Verständnis für die Künstlerkolonie in Ascona, für den surrealistischen Monte-Verità-Rummel als Ausdruck eines exaltierten Snobismus aufbringen: „Ein harmloser Spaß, wenn die Bourgeoisie dem Geist die Zähne ausbricht, so dass er schön ungefährlich ist und nur gerade noch zum dummen August in der Manege taugt.“

Kassner, der Freund realistischer und politischer Volkskunst, einer Kunst für die Volksmassen, eben jener, die von der Moderne, von der „verschmockten“ Avantgarde verachtet wird, stellt sich ironisch – „mit listigem Lächeln“ und etwas diabolisch dialektisch – als einen provinziellen, „heillosen Ignoranten in Sachen der bildenden Kunst“ dar. „Dafür gehe ihm einfach das Gefühl ab. Beweis dessen, stelle derselbe Böcklin, von dem die Gebildeten nichts wissen wollten, sein malerisches Ideal dar. (…) Ihm behage nur das Natürliche, das Urwüchsige, das Gemütvolle, das Grobe wie bei Defregger und Egger-Lienz. (…) Er dachte an eines oder das andere Bild von Egger-Lienz, die er einstmals in der Stube eines Jugendfreundes gesehen hatte: einen starken Eindruck hatten sie schon auf ihn gemacht; ebenso die Kohlezeichnungen der Käthe Kollwitz (…).“

Gegen Colons Ästhetizismus stellt Kassner die politische Literatur von Lessing, Schiller, Heine. Er erinnert an den Bauernkrieg, an die Lieder vom armen Konrad, und mit Jakob Burckhardt auch an die Renaissance: „Was waren die Bauernkriege denn anders als eine dieser furchtbar-herrlichen gesellschaftlichen Eruptionen? Und wann greifen sie dir stärker ans Herz als im Gleichnis des Isenheimer Altars und in den Florian-Geyer- und Kunrad-Liedern? Nimm die italienische Renaissance! Nimm sie politisch nur so, wie sie etwa Burckhardt sieht!“ Die Sowjetmalerei mag den formalen Ansprüchen der westlichen Avantgarde nicht entsprechen, aber ihre politische Kraft ist ungebrochen, spiegelt den Heroismus der Arbeiterklasse.

Kassner begegnet in der Schweiz 1936 auch dem der Gestapo-Folter, dem KZ Börgermoor entkommenen kommunistischen Emigranten Schwerin. Schwerin will eine Solidaritätskampagne für deutsche politische Gefangene, für das antinazistische Deutschland organisieren. Sie sprechen über die Hoffnungen, die an Georgi Dimitroff, an die anlaufende Volksfront-Bewegung geknüpft sind: „Da ging [Schwerin] und erzählte von seinen Erlebnissen in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern Hitlers, und man selbst lungerte hier herum und vergaß und tat so, als läge dieses Deutschland und seine bestialische Gegenwart aus der Zeit oder hinter dem Mond. (…) Er hatte eine Erfahrung von größter Wichtigkeit aus dem Zuchthaus Hitlers mitgebracht. Sie betraf die Wirkung, welche die Mobilisierung des Weltgewissens auf das Hitlerregime ausgeübt hatte: die Wirkung, die größer war, als man annahm, und deren Erfolg verstärkt ausgenützt werden musste. So berichtete Schwerin, dass er an dem Verhalten seiner Peiniger im Gefängnis immer genau festzustellen wusste, welchen Grad, welchen Umfang die seinetwegen in der Welt durchgeführten Massenaktionen, Sympathiekundgebungen, Proteste usw. erreicht hatten. Aktionen also, die ja nicht nur ihm persönlich galten, sondern allen Opfern des Naziterrors. (…) Er erzählte von der Nervosität, die sich des Hitlerregimes unter dem moralischen Druck der Massen in der Welt bemächtigt hätte (…).“

Schwerin berichtet von den Schwierigkeiten beim Darstellen der erlebten NS-Greuel. Wie die Wahrheit über die NS-Barbarei vermitteln? Man muss sich fast selber anschwindeln, belügen, um etwas zu vermitteln, erinnernd an Bertolt Brechts „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“: „Schwerin erzählte, wie er kurz nach seiner geglückten Flucht in die Schweiz Thomas Mann in dessen Exil in Küßnacht am Zürichsee einen Besuch abstattete und wie ihr Gespräch schließlich auf Willi Bredels Erlebnisroman ‚Die Prüfung‘ kam, ein Buch, das nach Schwerins Dafürhalten nicht seinesgleichen hatte an Ernst, Solidität und innerer Größe. Dennoch habe Thomas Mann, bei aller Achtung, die er vor dem Buch empfand, geäußert, dass er es nur mit Mühe und größter Anstrengung hatte zu Ende lesen können, da er die Schilderung der Grausamkeiten, den düsteren Ton des Buches einfach nicht mehr ertrug. Im Gegensatz hierzu führte er [Wolfgang] Langhoff’s ‚Moorsoldaten‘ an, (…).“ Bei Langhoff leuchte nämlich gelegentlich der „Humor der Häftlinge“ auf, auch „das Menschliche kurzum, ohne das es eben keine Hoffnung gäbe“.

Im Sommer 1936 in das Egerland zurückgekehrt beteiligt sich Kassner an der Volksfrontagitation. Kassner und Genossen setzen im Sommer 1936 große Hoffnungen in den Wahlsieg der französischen front populaire. Sie lassen sich von der einheitsfrontfeindlichen Haltung der rechten Sozialdemokratie nicht beirren, auch nicht davon, dass das Gift des nationalen deutsch-tschechischen Zwiespalts immer wieder in die Arbeiterbewegung eindringt. Kassner soll politisch isoliert werden, indem er an eine von nazistischen Lehrern beherrschte Schule, eine Henlein-Bastion, versetzt wird. In innerparteilichen Kulturdebatten vertritt Kassner die Position, es bedürfe keiner sozialistischen Kunstexperimente, guter Agitprop sei ausreichend, wenngleich oft selbst von Genossen belächelt. Verfeinerte Bühnentechniken seien für das Arbeiterschauspiel ohnedies allein aus Kostengründen unerreichbar.

So wie seine Kassner-Figur arbeitet auch Louis Fürnberg für die „Erzgebirgshilfe“ im Kampf gegen das von deutschen Kapitalherren verursachte Arbeitslosenelend in den fast völlig „wegrationalisierten“, deindustrialisierten nordböhmischen Bezirken, im „Hungergebirge“.

1932 hatte Louis Fürnberg gemeinsam mit einem halben Dutzend Genossen – wohl auch in Kenntnis der Piscator-Bühne, von Brechts „epischem Theater“ oder von Maxim Vallentins „Rotem Sprachrohr“ – die Schauspielgruppe „Echo von links“ organisiert. Diese pflegte als Spielform die szenische Kantate: „Was ist diese szenische Kantate, an deren Vervollkommnung wir auch heute arbeiten? Die Darstellung und Erläuterung einer bestimmten politischen Aktion einzig durch die Macht des Wortes und der Musik. Kein Theater, sondern Agitation und Propaganda durch den rhythmischen Chor, die gebundene Rede, den erläuternden Song und das revolutionäre Massenlied. Keine Kulissen, keine Kostüme, keine Bühnenschminke, keine eingelernte, kommandierte Bewegung, sondern Anwendung der primitivsten Bühnenmittel, die in der Klarheit der Ausdrucksform und der hier politischen, ideologischen Durchdrungenheit der Spieler bestehen.“

Das „Echo von links“ will eine sozialistische „Menschheitskultur gegen die Barbarei, gegen Lohnraub, Unterstützungsentzug, Zwangsarbeitsdienst, Aussperrung, Arbeitslosigkeit, Kriegsrüstung für imperialistische Raubzwecke, Massendrill“ stellen.

Für die rund 300mal aufgeführte Kantate „Die Feststellung“ schrieb „ein bekannter junger sudetendeutscher Komponist, Hans Walter Süßkind, die Musik“: „Lieder und Songs daraus, wie ‚Der Song von der Riviera‘, das ‚Lied von der Demokratie‘, ‚Das Lied von der Solidarität‘ sind sehr populär geworden.“ Das „Echo von links“ wollte „neue und bis dahin wenig bekannte Kampflieder“ massenwirksam verbreiten. Das traditionelle lyrische Ich wird vom Auftritt der Massen abgelöst. Neben der Kantate, Ballade, Moritat, der satirischen Kurzform findet sich der hymnische Chorgesang der Massen, das Arbeitermarschlied. In einem „Truppenlied“ wurde das Ziel des „Echo von Links“ festgelegt:

„Unser Spiel, es soll kein Spielen,
unser Spiel soll Kämpfen sein!
Unser Wort spricht zu den Massen
im Betrieb und auf den Straßen:
Brüder, schließt die roten Reihen!“ (LFW 1, 29)

Den hauptsächlichen Mangel sah Fürnberg darin, „dass wir über der proletkünstlerischen Arbeit die praktische politische Schulungsarbeit zu sehr in den Hintergrund rückten“.

Rezitiert wurden auch Fürnbergs Streik- und Demonstrationslieder (in einigen Zügen an Heinrich Heines „Schlesische Weber“ erinnernd), bekannt das Duxer Demonstrationslied, das Brüxer Streiklied, entstanden im Umfeld einer Arbeiterbewegung mit langer in die Zeit der großen Bergarbeiterstreiks der 1890er Jahren zurückreichender militanter Kampftradition. Das Duxer Gedicht erinnert an eine Demonstration ausgesperrter Bergarbeiter, die 1930 auf Wunsch des Grubenbarons Petschek blutig – mit mehreren Todesopfern – niedergeschlagen wurde. Im nahen Brüx streikten im Frühjahr 1932 rund 50.000 Bergarbeiter gegen Lohnraub und Entlassungen in einer geschlossenen Einheitsfront, die von rechten sozialdemokratischen Funktionären wie Ludwig Czech oder Frantisek Soukup unterlaufen wurde. Fürnberg spricht darin auch die Polizeiübergriffe auf Arbeitslosendemonstrationen, auf Lohnkämpfe in den Orten Kossuth, Freiwaldau, Falkenau oder in Radotin nahe Prag an – jeweils mehrere Verwundete und Tote fordernd.

Fürnbergs Lieder gegen die vom Austrofaschismus übernommene päpstliche Sozialideologie von „Quadragesimo anno“ trugen ihm den Beinamen „Nuntius“ ein. Zahlreiche Lieder richtete Fürnberg gegen den passiven sozialdemokratischen Ministerialismus:

„Wir kennen keine Hungersnot,
wir kennen keine Klassen,
denn zwei Minister sitzen jetzt
auf den Ministerstühlen.“ (LFW I, 46)

1935 traten sechs Mitglieder des „Echo von links“ eine Rundreise an, über die sie täglich in der Prager „Roten Fahne“ berichteten. In Summe traten sie vor rund 70.000 Zuschauern und Zuschauerinnen auf, unter diesen nicht nur KP-Genossen, sondern auch viele sozialdemokratische Arbeiter, auch politisch Indifferente. Rund 2000 neue Abonnenten konnten für die „Rote Fahne“ gewonnen werden: „Wir spielen für die ‚Rote Fahne‘!“

Die „Echo von links“-Gruppe bot Chorrezitationen, Songs, Lieder, Volkslieder, Mundartlieder. Sie singen „auf egerländisch“, werden aber trotzdem verstanden. Neu bearbeitet bieten sie Erich Mühsams „Revoluzzer“, eine frühe böse Abrechnung mit der reformistisch zögerlichen Sozialdemokratie.

Sie bieten „Wir warten“ aus Lion Feuchtwangers in Reaktion auf Krieg und 1918er-Revolution entstandene Erzählung „Thomas Wendt“ oder kurze Szenen aus dem Werk von Anton Endrich, einem verhungernden, soeben früh verstorbenen tschechischen Arbeiterdichter. Im Repertoire fanden sich auch Texte von Bertolt Brecht, Erich Weinert, Kurt Tucholsky oder von Johannes R. Becher.

Ein Teil der Kampagne führt 1935 in den nordböhmischen Reichenberger Bezirk. Erste Stationen sind Tannwald, Neustadt an der Tafelfichte, Friedland, dann Reichenberg selbst, jene Stadt, die soeben Heinrich Mann das Bürgerrecht verwehrt hat. Diese Orte waren allesamt frühe Kampfstätten der sozialistischen Arbeiterbewegung seit den 1870er Jahren. Die erste Veranstaltung in Tiefenbach in der Nähe von Tannwald wird gleich verboten: „Es seien da gewisse Sachen im Repertoire mit ausgesprochenem Antikriegscharakter“, so jene von Feuchtwanger. Manch weiterer Auftritt wird untersagt, u.a. weil aus Gründen der „öffentlichen Ordnung“ Henlein-Veranstaltungen vorgehen. Mancher Auftritt wird von völkischen Trupps gestört.

Dann geht es weiter nach Neustadt an der Tafelfichte. Die Schauspieler sprechen mit den Genossen über die zögerlichen Fortschritte in der Einheitsfrontfrage mit der Sozialdemokratie: „Hier stand die Wiege der nordböhmischen Arbeiterbewegung. Von hier entwickelte sich der gewaltige Kampffaktor der nordböhmischen Konsumvereine. Es ist genau vierzig Jahre her. (…) Die Neustädter Arbeiter standen in allen Kämpfen an der vordersten Front. Sie führten gewaltige Streiks, sie wurden persekutiert, geschlagen, verhöhnt. Sie ließen nicht nach. Sie standen zur Klasse, sie hielten die Fahne der Befreiung.

Die Verhältnisse, unter denen sie leben, sind niederdrückend. Hier werden nicht Halsketten gefädelt, wie wir das in Tannwald gesehen haben. Hier werden Tuch- und Stoffstücke ausgenäht. Zehn bis fünfzehn Kronen werden von den Heimarbeitern in der Woche verdient. Der kleine Ort hat achthundert Arbeitslose, von denen viele nicht einmal mehr die ‚Czech-Karte‘ [eine elende Lebensmittelzuteilung] bekommen.

Die Not ist groß, aber der Wille, sie zu besiegen, ist größer. Die Einheitsfront macht von Tag zu Tag Fortschritte; die Volksfront gegen das Elend, gegen den Faschismus in jeder Gestalt – und die Neustädter kennen ihn tatsächlich in jeder Gestalt – wächst.“

Dank der „Echo von-links“-Agitation können viele verelendet demoralisierte Arbeiter vor der Desertion in Richtung der Henlein-Demagogie bewahrt werden. Die Spieltruppe erlebt die soziale Krise überall, die Zunahme der Selbstmordrate aus Verzweiflung. Sie erleben die Aktivitäten von Gestapo-Agenten, die Emigranten über die Grenze locken, verschleppen, um sie zu foltern, zu ermorden, manchmal auch vor Ort ermorden, so den Philosophen Theodor Lessing 1933 in Marienbad: „Auf einer Wand am Grenzwege lesen wir in großen Buchstaben die Worte: ‚Nacht über Deutschland. Furchtbarer Terror wütet. Verstärkt den Kampf gegen den braunen Henker Hitler und seinen hiesigen Agenten Henlein!‘“

Auch in Gablonz im Isergebirge erfährt die Fürnberg-Truppe große Hilfsbereitschaft: „Dabei führen die Gablonzer Genossen einen schweren aufreibenden Kampf um das nackte Leben. Die Arbeitslosigkeit lastet schwer auf ihnen, und die wenigen, die noch in den Betrieben sind, arbeiten bei Hungerlöhnen, von denen man sich keine Vorstellung machen kann. Die Gablonzer Industrie liegt seit Jahren schwer darnieder. Das verfaulende kapitalistische Wirtschaftssystem löscht die Öfen, lässt die Gebäude zerbröckeln und die Maschinen rosten. Dennoch gibt es noch viel Luxus in dieser Isergebirgsstadt. Luxus, der sich aufreizend vor all dem Elend ausbreitet. Verschwendung, die brutal die Armut provoziert. Das sogenannte gute Bürgertum, sich rekelnd in der Sonne seines Henlein, wird nicht müde, immer neue Schikanen und Gemeinheiten gegen das notleidende Volk zu erfinden. (…) Am Vormittage, nachdem wir spielten, fand die Exmittierung einer arbeitslosen Familie aus einem der Gemeindehäuser statt. Exmittierungen sind an der Tagesordnung.“

Die den Henlein-Faschismus finanzkräftig unterstützenden Industriebarone tragen durch ihre gewinnträchtigen Betriebsdemontagen und ‑verlagerungen zum Elend bei, zu jenem Elend, das dann in antisemitischer Demagogie von eben jenen Henlein-Faschisten ausgenützt wird.

Dasselbe Bild in Nixdorf, „der Ägide der Henleinfabrikanten: Rosche, Grohmann, Herschel, Rodig & Co.“: „Kunstblumen, Stahlwaren, Textilien werden hier gemacht. Miserable Löhne dieser Volksgemeinschaftspropagandisten, dieser Unternehmer ‚neuen Typs‘; die Heimarbeiter schuften die ganze Woche, basteln Kunstblumen und ‚verdienen‘ gerade den Wert einer ‚Czech-Karte‘.“ Das Bild wiederholt sich in der Textilmetropole Rumburg: „Hier wie überall das gleiche Lied. In den Betrieben Schundlöhne, zweitausend Arbeitslose, Elend, Hunger, Not.“

In Warnsdorf, dem „henleinreichsten Ort“, dem „Reich der Strümpfe“, in dem nazisympathisierende Fabrikanten deutschsprachige und tschechische Arbeiter ausbeuten und durch Rationalisierung dem Arbeitslosenelend aussetzen, streift auch die Henlein-Partei die sozialdemagogische Hetzdividende ein, indem „die Juden“ für das Unglück verantwortlich gemacht werden, so der Textilindustrielle Kunert, der die Henlein-Bande mitfinanziert: „Hier ist das ‚Reich der Strümpfe‘ des Herrn Kunert, des Besitzers der am besten durchrationalisierten Betriebe überhaupt, und wenn die Arbeiter früher in vierzehn Tagen sechshundert bis achthundert Kronen bei normaler Arbeit verdient haben, so müssen sie jetzt ganz gewaltig schuften, um knappe einhundertzwanzig bis fünfhundert Kronen nach Hause zu bringen. Sie sind also aufs äußerste ausgebeutet, vollkommen nach dem Rezept der ‚Volksgemeinschaft‘, demzufolge ja die Arbeiter, eben weil sie mit ihrem Klassenfeind ein Bündnis geschlossen haben, mit ‚Liebe‘ und noch schöneren Worten genährt werden und darum weniger Lohn brauchen.“

In Zwickau treffen Fürnberg und seine Mitspieler auf einen „wahren Industriefriedhof“: „Grenzenlose Not. Nicht ein einziger größerer Betrieb ist im Gange. Ja die Fabriken sind zum Teil gänzlich abgebrochen worden.“

Aus dem Zyklus „Echo von links“

Duxer Lied

Da ziehen sie durch das Duxer Revier,
viel hundert Männer und Frauen.
Wir haben Hunger! Drum kommen wir
und pochen mit Fäusten an eure Tür!
Ihr sollt unser Elend schauen! 

Wir haben kein Geld und wir haben kein Brot
und ihr habt uns die Arbeit gestohlen.
Und über uns droht der kalte Schlot,
doch wir wollen Brot und die Wintersnot
treibt uns zu euch, es zu holen!

Ja, stellt nur eure Gendarmen her,
die graubehelmten Schrecken!
Ein jeder zeigt seinen Pendreck her
und sein Bajonett und sein Gewehr!
Wir wollen nicht verrecken!

Der Petschek in seiner Villa in Prag
und all die anderen Drohnen
fressen soviel der Ranzen mag
und von goldenen Schüsseln Tag für Tag!
Für uns gibt’s blaue Bohnen!

Der Petschek schnipst den Finger und spricht:
Was zögert ihr? Lasst schießen!
Mich scheren Fraun und Kinder nicht!
Hinein damit ins Kreisgericht!
Die Bande wird es büßen!

Ihr schreckt uns nicht! Tut was ihr wollt!
Schießt uns nur alle nieder!
Schießt uns mit Kugeln aus euerm Gold!
Wir kommen, bis euch der Teufel holt,
immer und immer wieder! (LFW 2, 66f.)

Aus: Zum Brüxer Streik (Frühjahr 1932)

Millionen von euch sind arbeitslos.
Millionen von euch haben nichts zu fressen,
der Staat hat für sie einen Schuss, einen Stoß,
habt ihr Dux, habt ihr Kossuth vergessen?
Denkt ihr an die Toten von Freiwaldau?
An Radotins Osterschießen?
An alle, die um Arbeit und Brot
und Leben ihr Arbeit ließen?

(…)

Die Bergarbeiter im Brüxer Revier,
die wissen, worum es diesmal geht.
Die stehen im Streik wie ein einziger Mann,
Genossen! Das ist Solidarität!
Den Brüxer Kumpels macht keiner was vor,
die kennen in ihrer Not kein Verbot,
die zogen zu siebentausend heran,
man schoss in sie rein. Zwei waren tot,
mehr als zwanzig schwer verletzt!
(…) (LFW 1, 36f.)

Aus: Zum fünfzigsten Todestage Karl Marx‘ (1933)

Indem wir die Einheitsfront schmieden,
eingedenk deines Worts:
Proletarier, aller Länder, vereinigt euch!
Indem wir deine Lehre tragen über Stadt und Land,
in die Dachkammern der Arbeiter und Städte,
in die Hütten der Dörfer,
in die endlosen Säle der Betriebe,
in die dunkelsten Tiefen der Bergwerke,
in die Baracken der Ausgesteuerten,
in die Massen vor den Stempelstellen,
überall, überallhin,
eingedenk deines Worts:
Die Idee wird zur materiellen Gewalt,
wenn sie die Massen ergreift!

Wenn am heutigen Tage,
da sich zum fünfzigsten Male
jährt der Tag, an dem
du dahingesunken
und die Gedanken Unzähliger
sich vereinen in diesem
großen Gedächtnis an dich,
wollen wir auch derer gedenken,
die als unsterbliche Opfer
sanken für Freiheit und Recht,
all derer, die fielen,
bis in unsere Tage,
da in Deutschland Hitlers
braune Mordbestie rast.
Und wir wollen gedenken
der proletarischen Gefangenen,
die mit zerschundenen Gliedern
in den Gefängnissen leiden,
Opfer ihres Verlangens
nach Freiheit, Arbeit und Brot. (LFW 1, 31)

Aus: Weihnachtslied 1932

Elend, Hunger, Not und Jammer,
lichtlos kalte, leere Kammer,
Kinderkörper ohne Kleid.
In den Kirchen von den Kanzeln
Predigen die Hockewanzeln:
‚O du schöne Weihnachtszeit!‘

Für die Banken Millionen
für die Armen blaue Bohnen,
jedem das, was ihm gebührt.
Ferner werden die Gehälter
kleiner Angestellter
weihnachtsfreundlich reduziert. (LFW 1, 58)

Literatur

Nach Henri Poschmann: Louis Fürnberg. Leben und Werk, Volkseigener Verlag Volk und Wissen, Berlin 1981.

Der Briefwechsel zwischen Louis Fürnberg und Arnold Zweig. Dokumente einer Freundschaft, hrg. von Rosemarie Poschmann und Gerhard Wolf, Berlin-Weimar 1978.

Die Zitate sind entnommen aus:
Louis Fürnberg: Gesammelte Werke in sechs Bänden, hrg. von der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik, Aufbau-Verlag, Berlin 1964–1973 (kurz: LFW):

  • Louis Fürnberg: Gedichte 1927–1946, in: LFW 1: im ersten Band der LFW, 29–186 ist der Zyklus „Echo von links 1932–1938“ zusammengezogen abgedruckt!
  • Louis Fürnberg: Gedichte 1946–1957, in: LFW 2: hier ist 66f. das „Duxer Lied“ abgedruckt!
  • Louis Fürnberg: Der Urlaub (entstanden im Exil in Palästina), in: LFW 3, 66, 86, 102, 110–113, 164–168, 272f., 287.
  • Louis Fürnberg: Einleitung zu einem Rilke-Abend [zwischen 1941–1946], in: LFW 5, 102–110.
  • Louis Fürnberg: Vorrede zu einem Karl-Kraus-Abend (1942), in: LFW 5, 46–53.
  • Louis Fürnberg: Über sudetendeutsche proletarische Schriftsteller (1934), in: LFW 5, 7–9.
  • Louis Fürnberg: Kuba. Ein junger Dichter des Proletariats (1937), in: LFW 5, 23–26.
  • Louis Fürnberg: Abschied von Rudolf Fuchs (1942), in: LFW 5, 39–41.
  • Louis Fürnberg: Die Karlsbader Kulturschande. Zur Verlegung des internationalen Musikfestes von Karlsbad nach Prag (1935), in: LFW 6, 26–28. 
  • Louis Fürnberg: Zum „Sudetendeutschen Antlitz“ (1935), in: LFW 6, 18–20.
  • Louis Fürnberg: Sudeten-Blubo (1936), in: LFW 6, 50–54.
  • Louis Fürnberg: „Echo von links“. Eine deutsche proletarische Spieltruppe in der Tschechoslowakei (1935), in: LFW 5, 13–15.
  • Louis Fürnberg: Mit zwölf Augen. „Echo von links“ hat seine sudetendeutsche Rundreise für die „Rote Fahne“ angetreten (1935), in: LFW 6, 29–44.
  • Louis Fürnberg: „Echo von links“ – Bilanz 1935, in LFW 6, 45–49.
  • Louis Fürnberg: „Das neue Leben“. Die proletarische Spieltruppe aus dem Erzgebirge, in: LFW 6, 55f.
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