Im „ZIB Spezial“ zum 75. Jahrestag der Befreiung trafen die beiden ehemaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) und Wolfgang Schüssel (ÖVP) aufeinander. Das Gespräch entpuppte sich als reine Propagandashow für Großmachtchauvinismus.
Die Gäste
Motiv für die Einladung ausgerechnet dieser beiden Herren soll gewesen sein, dass Vranitzky seinerzeit als Kanzler eine Rede hielt, in der eingeräumt wurde, dass auch Österreicher und Österreicherinnen an NS-Verbrechen beteiligt waren, und dass in der Regierung Schüssel gewisse NS-Opfergruppen erstmals finanzielle Entschädigungen erhielten, mit 60 Jahren Verspätung freilich. Überfällige Selbstverständlichkeiten sind für den ORF offenbar Qualifikation genug, jemandem ein Podium zu bieten. Schüssel also, der vor zwanzig Jahren eine Regierungskoalition aus den politischen Erben des Austrofaschismus und des NS-Faschismus in die Wege leitete.
Die Analyse
Die Äußerungen über Faschismus und Antifaschismus blieben allgemein und vor allem: verzerrend. Gemäß Vranitzky sei den Politikern (also „vor allem Männern“, wie er betont) nach 1945 zu danken, während er die Wiederaufbauarbeit von Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern und die antifaschistische Aufklärungsarbeit, die vor allem durch die Arbeiterbewegung geleitet wurde, völlig außer Acht lässt. Dass die Rolle des antifaschistischen Widerstandskampfes während der NS-Zeit oder etwa die wichtige Rolle der österreichischen Kommunistinnen und Kommunisten bei der Entwicklung der österreichischen Nation ebenfalls geflissentlich übergangen wurden, ist wenig überraschend, aber bezeichnend.
Die Frage der Moderatorin, wie es denn sein könne, dass im heutigen Österreich laut Studien 81% der Schülerinnen und Schüler keine oder nur eine falsche Definition von Antisemitismus geben könnten, interessierte weder Vranitzky noch Schüssel. Schüssel wischte die Frage mit der Antwort beiseite, Information sei eben auch eine Holschuld. Und ohnehin gebe es nichts zu befürchten: „Ich glaube nicht, dass irgendeiner eine Chance hätte in Österreich, wenn er mit antisemitischen oder rassistischen Vorurteilen glaubt, politische Karriere machen zu können.“ Über die Vergangenheit befand Vranitzky bereits zu Beginn des Gesprächs: „Wir haben das alles aufgearbeitet, wir haben es überwunden, wir haben uns dieser Aufgabe gestellt“, und angesichts der „wirklichen Zukunftsaufgabe“, die EU zu stärken, „brauchen wir nicht lang zu reden, ob jetzt in den Schulen die Schüler Antisemitismus definieren können oder nicht“.
Womit wir beim Thema wären, über das die „glühenden Europäer“ Vranitzky und Schüssel viel lieber reden als über Faschismus und Antifaschismus, nämlich: über die EU. Das „Friedensprojekt EU“ sei nämlich die „Antithese zu Krieg, Faschismus, Not und Nationalismus“ und müsse viel mehr gefeiert werden. Seit Gründung der EU habe es innerhalb Europas keine Kriege mehr gegeben. Dass auch der Balkan und die Ukraine zu Europa gehören und die Kriege in diesen Ländern maßgeblich durch EU-Staaten befeuert wurden, dass die EU-Staaten außerhalb Europas munter Kriege führen und in vielfältiger Form an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt sind, das wird dabei im jahrzehntelang geübten Message-Control-Duktus unter den Tisch gekehrt.
Schüssel und Vranitzky gehen denn auch im Einklang über in großmachtchauvinistische Schwärmerei. Vranitzky appelliert: „Wir müssen uns in Europa so zusammenschließen, dass wir unsere Kräfte bündeln und von China, von Amerika, von Russland nicht geschlagen geben dürfen. Und das muss weiterhin der Grundsatz dieser europäischen Einigung sein.“ Ansonsten würde man „untergehen“. Schüssel schloss daran an, dass die EU-Staaten zusammengerechnet die stärkste Handelsmacht seien, „und wir sollten daher diese Stärke und diese wirtschaftliche Macht auch politisch umsetzen“.
Das ist laut Vranitzky und Schüssel also die Quintessenz des 8. Mai: Ein Appell an das Streben, wieder Teil einer Großmacht zu werden.