Die Zahl der Überschwemmungstoten in Libyen nimmt immer verheerendere Ausmaße an. Das Schlimme im Zusammenhang mit der Katastrophe ist, dass diese Opfer durch eine Wartung der Dämme wahrscheinlich hätten verhindert oder zumindest die Zahl verringert werden können.
Derna. Die Zahl der Todesopfer der verheerenden Überschwemmungen, die die Stadt Derna im Osten Libyens heimgesucht haben, nimmt alptraumhafte Ausmaße an.
In der Stadt mit etwa 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern stieg die Zahl der Todesopfer auf 11.300, teilten die Vereinten Nationen (UN) mit. Weitere 10.100 Menschen werden nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten vermisst. Die Stadt wurde durch das Wasser, das sie verschlang, buchstäblich platt gemacht, als zwei Dämme in der Gegend brachen.
Überall Ruinen und der Geruch des Todes.
Die Hoffnung, Überlebende zu finden, schwindet, nachdem einige Tage seit der Katastrophe vergangen sind. Der libysche Journalist Johr Ali, der mit Überlebenden gesprochen hat, sagte: „Man hört Babys unter der Erde schreien. Man weiß nicht, wie man zu ihnen kommt. Mit Schaufeln graben die Menschen die Leichen der Opfer unter der Erde aus. Andere benutzen ihre eigenen Hände. Alle sagen, es sei wie der Tag des Jüngsten Gerichts.“
Kasim Mahjoub, der für den Roten Halbmond in der Gegend von Derna arbeitet, denkt, dass es schwierig sein wird, die Stadt nach den Überschwemmungen wieder aufzubauen. „Leider glaube ich, dass es für einige Jahre nicht wieder möglich sein wird, in der Stadt zu leben. Das Stadtzentrum ist zerstört“, sagt er.
Hinzu kommt, dass aufgrund der zerstörten Infrastruktur Hilfe nur mühselig vor Ort gebracht werden kann, da das Gebiet schwer zu erreichen ist. Nach Angaben der UN-Migrationsorganisation in Libyen sind nur zwei von sieben Routen nach Derna einigermaßen funktionsfähig.
Mangelnde Wartung
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten bereits vor einer solchen Katastrophe gewarnt. In diesem Zusammenhang wird ein Forschungsbericht des Hydrologen Abdelwanees Ashoor aus dem Jahr 2022 zitiert. In diesem weist er darauf hin, dass die saisonalen Überschwemmungen im trockenen Flussbett von Derna eine Gefahr für die Bevölkerung der Stadt darstellten. Er schlug außerdem bereits 2022 eine sofortige Wartung der beiden jetzt gebrochenen Dämme vor und schätzte diese auch als erforderlich ein.
Der Bürgermeister der Stadt bestätigte, dass keiner der beiden Dämme, die durch die Überschwemmungen gebrochen waren, seit 2002 gewartet wurde. Auch andere Infrastrukturen in der Stadt wurden vernachlässigt und trugen zu der Katastrophe bei. Das verdeutlicht wieder einmal, wie im Kapitalismus an allen Ecken gespart wird und Katastrophen wie die in Libyen eben System gemacht sind. Die Wartung von Infrastruktur schafft eben keine Profite und ist somit offenbar vernachlässigbar.
Im speziellen libyischen Fall darf man zudem darauf hinweisen, dass erst der völkerrechtswidrige NATO-Angriff auf Libyen im Jahr 2011 ein gut funktionierendes Staatswesen zerstört hat. Die Regierung des damals gestürzten Präsidenten Muammar al-Gaddafi hatte zuvor die Erdöleinnahmen dafür verwendet, für nordafrikanische Verhältnisse vorbildhafte Lebensbedingungen für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Doch das NATO-Bombardement, der von Barrack Obama forcierte Regime-change und der andauernde Bürgerkrieg, in den verschiedene imperialistische Fraktionen involviert sind, haben einen „failed state“ hinterlassen – und dies mit Absicht. Diese Verantwortung liegt bei den USA und ihren Verbündeten.
Das UNO-Nothilfebüro (OCHA) äußerte sich inzwischen, nach den verheerenden Überschwemmungen, besorgt über zwei weitere Dämme, hinter denen sich große Wassermengen stauen sollen. Die Zuständigen im Staat kalmieren jedoch und betonen die Lage sei unter Kontrolle.