St. Pölten. 1,1 Millionen Mal mussten Menschen in Österreich im vergangenen Jahr bei der „Team Österreich Tafel“ Lebensmittel abholen – doppelt so oft wie vor zehn Jahren. Während das Rote Kreuz in Baden diese Zahlen präsentiert, sitzen die wahren Verursacherinnen und Verursacher der Misere in Ministerien, Vorstandsetagen und EU-Gremien. Und das Schönste daran: Der Staat muss dafür nicht einmal zahlen. Freiwillige übernehmen den Drecksjob, den die Politik längst an den Markt ausgelagert hat.
RK-Präsident Gerald Schöpfer spricht besorgt von einem „steigenden Andrang“. Aber in einem der reichsten Länder der Welt, in einem Land, in dem sich Konzerne über Rekordprofite freuen, während arbeitende Menschen zwischen Heizkosten, Miete und Lebensmitteln wählen müssen, ist Sorge längst zu wenig. Die Tafeln sind das soziale Feigenblatt eines Systems, das Menschen erst verarmen lässt, um ihnen danach Almosen als Akt der Humanität zu verkaufen. Sie platzen aus allen Nähten, weil Familien ihre Kinder nicht mehr satt bekommen – und Spitzenpolitikerinnen und ‑politiker derweil milde aus dem Dienstwagen lächeln.
42 Prozent derer, die in Niederösterreich anstehen, sind Kinder – geboren in einem Land, in dem Milliardäre steuerfrei Dividenden kassieren, während Eltern überlegen müssen, ob sie heizen oder essen sollen. Die „soziale Marktwirtschaft“ hat längst aufgehört, sozial zu sein. Sie ist nur noch kapitalistische Profitlogik, geschmückt mit karitativen Trostpflastern. Der österreichische Kapitalismus produziert Hungernde, noch bevor sie alt genug sind, um zu arbeiten – und der Staat schaut tatenlos zu, während er Ehrenzeichen für Freiwilligenarbeit verteilt.
Während das Rote Kreuz 3,4 Millionen Einsatzfahrten absolviert, um das Elend zu lindern, schaffen es dieselben Politikerinnen und Politiker, die diese Zahlen beklatschen, gleichzeitig Milliarden in Rüstung, Bankenrettungen und Steuererleichterungen für Konzerne zu pumpen. Doch all das ist keine Erfolgsgeschichte, sondern eine Anklage. Denn je mehr Not es gibt, desto stolzer beklatscht das System seine Helferinnen und Helfer. Der Kapitalismus liebt die Freiwilligkeit: Er lässt arbeiten, ohne zu zahlen.
Auch international zeigt sich das gleiche Muster: In Gaza fordert das Rote Kreuz 1.000 Lkw-Ladungen Hilfe pro Tag – weil der Westen Waffen statt Nahrung liefert. Österreichs Regierung beteuert derweil ihre „Solidarität mit Israel“, während im eigenen Land das Sozialsystem verrottet. Innen- und Außenpolitik reichen sich die Hand: Die einen schaffen Not, die anderen verteilen Pflaster.
Die sogenannte „Zivilgesellschaft“ stopft also weiter die Löcher, die der Kapitalismus produziert. Die Tafeln sind das Feigenblatt einer herrschenden Klasse, die Mitleid inszeniert, aber Armut kalkuliert. Und so bleibt alles beim Alten: Die Reichen spenden symbolisch, die Armen bedanken sich, und das Rote Kreuz kehrt die Scherben zusammen.
Der Kapitalismus hat gelernt, dass es billiger ist, das Elend zu verwalten, als es zu beseitigen. Und das nennt man dann Mitmenschlichkeit.
Quelle: ORF