Wien. An 28 stark frequentierten Standorten Wiens wie dem Rathausplatz kostet der Gang zur öffentlichen Toilette 50 Cent, allerdings nur für jene, die eine Kabine benutzen. Wer ein Pissoir braucht, zahlt nichts. Die zuständige Magistratsabteilung 48 erklärt die Gebühr mit höherem Reinigungsaufwand in den Kabinen und dem Bedarf an Aufsichtspersonal; verlangt wird sie nur zu bestimmten Tageszeiten. Für die Betroffenen macht das den Unterschied nicht kleiner, sondern sichtbarer: Der kostenlose Zugang für Pissoirs privilegiert männliche Nutzung, während Kabinen – die Frauen, viele ältere Menschen, Kinder und zahlreiche Männer ebenso brauchen – zur Kasse gebeten werden.
Die Architektin und Genderexpertin Sabina Riss nennt das, was die Praxis belegt: Frauen sind oft mit kleinen Kindern unterwegs, begleiten ältere Personen und brauchen real öfter eine abschließbare Kabine; wenn Männer gratis urinieren können, Frauen aber zahlen müssen, produziert die Stadt eine „gewisse Ungleichbehandlung“. Die Planungsseite gibt den Kontext dazu: Wie viele Toilettenanlagen entstehen, bestimmt die Bauordnung, doch die Richtlinien ignorieren in der Praxis den tatsächlichen Bedarf. Dass es längst belastbares Wissen über unterschiedliche Nutzungsmuster gibt, führt offenkundig nicht zu zusätzlichen Anlagen für Frauen.
Und einmal mehr zeigt sich: Wer die Sorgearbeit trägt, zahlt auch die Gebühren. Die 50 Cent wirken klein, sind aber regressiv: Sie treffen Arbeiterinnen und Arbeiter, Pensionistinnen und Pensionisten, Alleinerziehende, Touristinnen und Touristen ohne Bargeld und Menschen ohne Obdach ungleich härter als den gut verdienenden City-Flaneur. Die Stadt verkauft das als Kostendeckung, doch die Verrechnung erzählt eine andere Geschichte: Pissoirs sind kostenfrei, Kabinen kostenpflichtig; der „höhere Reinigungsaufwand“ wird nicht als öffentlicher Auftrag begriffen, sondern als Argument, das Benutzen zu bepreisen.
Wer am Ende wirklich zahlt, zeigt der Alltag: Eltern mit Kindern, Frauen, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Beschäftigte im Freien, Lieferantinnen und Lieferanten, Obdachlose. Dass die Zahlungspflicht zeitlich begrenzt ist, ändert am Prinzip nichts, sondern macht es nur willkürlicher. Eine gerechte Stadt plant von den Bedarfen aus; sie baut Kabinen dort, wo Menschen sind, und finanziert Reinigung und Aufsicht aus dem Budget, statt Ungleichheit an der Türschwelle zu kassieren. Solange aber Pissoirs als „öffentlich“ gelten und Kabinen als „Service“, bleibt die Gebührenschranke eine Klassen- und Geschlechterlinie im Kleinformat.
Quelle: ORF