Das dunkelrote Graz

Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)

In der steirischen Landeshauptstadt konnte die KPÖ am vergangenen Sonntag ein sensationelles und historisches Wahlergebnis erreichen: Mit knapp 29 Prozent der Stimmen ist man nun stärkste Partei im Grazer Gemeinderat, stellt drei Stadträte und hat nach allem Usus Anspruch auf das Bürgermeisterinnenamt; hinzu kommen entsprechende Resultate und Mandate in den Bezirken. Dieser Erfolg einer kommunistischen Liste oder überhaupt einer Formation links der SPÖ ist einzigartig in Österreich und seiner Geschichte. 

Für die KPÖ Graz handelt es sich um einen neuerlichen Durchbruch, der nicht vom Himmel gefallen ist. Er ist das Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit, die gezielt, konsequent, fleißig und planmäßig erfolgt ist. Die Grazer KPÖ hat nicht nur den Gorbatschowismus und seine Folgen übertaucht, sondern danach auch ein kommunales Erfolgskonzept entwickelt, das sie als sozialpolitisch renommierte, verlässliche und ehrliche Partei an der Seite der Bevölkerung etabliert hat – und Basis für den Ausbau dieser Position bis hin zum nunmehrigen Wahlsieg war. Insofern ist es nicht einfach ein überraschendes Wahlergebnis, zu dem man der KPÖ Graz gratulieren muss, sondern es ist eine ganze Strategie mit seriösen, konzentrierten Etappenzielen, die aufgegangen ist. Hierzu mögen spezielle Voraussetzungen, die andernorts nicht vorlagen oder vorliegen, beigetragen haben, doch unterm Strich ist es die kontinuierliche und engagierte Arbeit, die sich bezahlt gemacht hat. Dies verdient Respekt und Anerkennung.

Der KPÖ ist es in Graz gelungen, nicht nur in die Fußstapfen der SPÖ zu treten, die keine zehn Prozent der Stimmen mehr erreicht, sondern auch bürgerliche Schichten anzusprechen und gleichzeitig die FPÖ relativ klein zu halten. Das hat viel mit Moral und Ehrlichkeit zu tun, im Umkehrschluss mit dem Verlust selbiger Eigenschaften bei den anderen Parteien. Dass sich die frühere Bürgermeisterpartei SPÖ in Graz einerseits selbst zerstört hat, andererseits nun, selbst wenn sie sich besinnen würde, von der KPÖ nachhaltig ausgebremst wurde, ist beiderseitig verdient. Damit erscheint die KPÖ zunächst als „Ersatz-Sozialdemokratie“, doch darf man nicht vergessen, dass sie bereits 2003 über 20 Prozent der Stimmen erreicht hatte – und damals kam die SPÖ immerhin noch auf 26 Prozent. Inhaltlich kann man natürlich sagen: Das, was die KPÖ Graz tut, entspricht dem, was man sich von einer anständigen SPÖ erwarten würde; oder dem, was eine Sozialdemokratie aus längst vergangenen Zeiten vollbrachte und in Wien zumindest ansatzweise noch vorhanden ist, wo allerdings vieles ebenso längst falsch läuft.

Die Medien beeilen sich, der KPÖ Graz „Pragmatismus“ zu versichern, sie sei eben die KahrPÖ, keine ideologische Partei, im Gegensatz etwa zur verbohrten Wiener KPÖ. Das könnte natürlich nicht falscher sein. In Wirklichkeit sind die Defizite in marxistischer Theorie, Ideologie, Strategie und Klassenstandpunkt bei den Wiener Genossinnen und Genossen viel gravierender. Auch sonst hat man nicht allzu viel gemein: Die bedingungslose Wahlbündnislotterie der Wiener und Bundespartei macht man in Graz nicht mit, hat’s aber auch nicht notwendig. Der letztjährige Bezirkswahlerfolg im Sog der „Links“-Kandidatur in Wien ist ein punktuelles Produkt, die Bastionen der KPÖ nicht nur in Graz, sondern auch in einer ganzen Reihe von steirischen Gemeinden sind be- und gefestigte Ergebnisse beharrlicher, langer Arbeit. Trotzdem: In der Praxis beruht diese Arbeit auf dem Konzept der „nützlichen Partei für das tägliche Leben“, auf Beratung und Service, auf karitativer Ausrichtung. Das ist keineswegs verwerflich – im Gegenteil –, doch der „Kompass des Marxismus“, den man sich in Graz früher gelegentlich rhetorisch selbst attestierte, liegt inzwischen offensichtlich tief in irgendeiner Schublade vergraben. Eine marxistisch-leninistische Kampfpartei ist die KPÖ natürlich nicht.

Das muss sie ja auch nicht sein, wenngleich das K‑Wort im Namen normalerweise solcherart Assoziationen weckt. Klassenkampf, sozialistische Revolution und Kommunismus sind freilich keine Dinge, die der KPÖ Graz über die Lippen kämen oder irgendwie in ihrer Tätigkeit angelegt wären. Wenn man dies zur Kenntnis nimmt, dann kann man auch aus marxistisch-leninistischer Sicht einen unaufgeregten Blick auf die Grazer und steirischen KPÖ-Organisationen werfen: Es ist eine anständige und bürgernahe Sozialpolitik, inklusive konkreter Hilfe und Reformbestrebungen, die durchaus per se ihren Wert haben. Das mag nun weder kommunistisch im eigentlichen Sinn noch revolutionär sein, sondern reformistisch und sozialdemokratistisch, doch wenn man solche Ansprüche nicht ungefragt an andere stellt oder in sie projizieren möchte, dann sollte man damit tadellos leben können. Und man kann sich sogar über jeden Wahlerfolg links der SPÖ freuen.

Insofern ist es auch nicht Aufgabe der marxistisch-leninistischen Partei der Arbeit Österreichs (PdA), die KPÖ Graz mit irgendwelchen ideologischen Belehrungen zu bedenken, denn jeder muss seinen eigenen Weg festlegen. Und so bleibt nur, objektiv festzustellen, dass es eben unterschiedliche Wege sind, mit unterschiedlichen Zielen und Methoden. Die PdA ist gegenüber der KPÖ (Graz) eine sehr unterschiedliche Angelegenheit, erstrecht angesichts bürgerlicher Wahlen. Ist man sich dessen bewusst, so kann man sich erstens darauf konzentrieren, was man selbst zu tun hat, und zweitens unverkrampftere Verhältnisse pflegen. Die Aufgabe der KPÖ Graz ist es nun, in führender Regierungsverantwortung in der zweitgrößten Stadt Österreichs die Kapitalismusverwaltung zu organisieren; die Aufgabe der PdA ist es weiterhin, eine bundesweite und international vernetzte revolutionäre Kampforganisation für den Sturz des Kapitalismus aufzubauen.

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