HomeFeuilletonGeschichteNR-Präsident Sobotka für „Kanzlerdiktatur“ statt Austrofaschismus

NR-Präsident Sobotka für „Kanzlerdiktatur“ statt Austrofaschismus

Nach dem Ibiza-U-Ausschuss ist Wolfgang Sobotka ins Sommerloch gefallen: Er verwehrt sich gegen den Begriff Austrofaschismus, hat aber mehr mit Dollfuß gemein, als man denken würde.

Waidhofen an der Ybbs/Wien. Der ÖVP-Politiker Wolfgang Sobotka ist Nationalratspräsident und studierter Historiker – und immer wieder ein Quell bizarrer Ungeniertheit. Aktuell will er den Austrofaschismus abschaffen, nämlich als Begriff. Er würde die Zeit 1933/34–1938 lieber als „Kanzlerdiktatur“ bezeichnen. Freilich: Der damals amtierende Bundeskanzler Engelbert Dollfuß schaltete im März 1933 das Parlament und dann den Verfassungsgerichtshof aus, illegalisierte sozialdemokratische und kommunistische Organisationen und Einrichtungen, zerbombte im Februar 1934 den antifaschistischen Widerstand in den Wiener Gemeindebauten mit Bundesheerartillerie, ließ ein paar Arbeiterführer aufknüpfen und etablierte mit 1. Mai 1934 den ersten faschistischen Staat auf österreichischem Boden. Doch es ist ein alter Trick der bürgerlichen „Geschichtswissenschaft“ und Politik, den faschistischen Diktator zum alleinigen Täter und alle anderen Mittäter für unschuldig zu erklären, hier nämlich die ÖVP-Vorläuferorganisation der Christlichsozialen Partei, die katholische Kirche, das Großkapital und den Grundbesitz – sie alle haben das austrofaschistische Regime geschaffen und aufrechterhalten.

Davon will Sobotka nichts wissen, er meint, die Zeit der „Kanzlerdiktatur“ brauche zwar noch mehr Erforschung, doch Dollfuß habe jedenfalls „die christlich-soziale Idee sehr schwer beschädigt“. In Anspielung auf das im Zuge der Parlamentsrenovierung endlich aus den ÖVP-Klubräumlichkeiten entfernte und ans Niederösterreichische Landesmuseum verliehene Dollfuß-Porträt fügt er hinzu: „Daher soll er auch im Museum bleiben.“ Lustiger Weise hat die ÖVP auch ein solches für ihren großen Kanzlerdiktator errichtet: In Texing im Mostviertel, unweit von Sobotkas Heimatgemeinde Waidhofen/Ybbs, wurde 1998 das „Dr. Engelbert Dollfuß Museum“ im Geburtsort des faschistischen Mörders eröffnet – feierlichst und unter Anwesenheit des ÖVP-Landeshauptmannes Erwin Pröll, „Gewidmet dem großen Bundeskanzler und Erneuerer Österreichs“. Finanziert von Landesregierung (Finanzlandesrat ab 1998: Sobotka), Bundesministerium für Unterricht und Kunst sowie ÖVP-Bauernbund, erhalten von der Gemeinde Texingtal. Nun, das geht für Herrn Sobotka offenbar in Ordnung. Ist aber kein Wunder, schließlich ist er Ehrenmitglied der CV-Burschenschaft Rudolfina zu Wien – wie auch ein gewisser Engelbert Dollfuß. Zufälle gibt’s!

Quelle: Der Standard

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