Ein Kommentar von Otto Bruckner, stellvertretender Vorsitzender der Partei der Arbeit (PdA)
Das, was Putin in der Ukraine macht, ist ein Angriffskrieg, der auf zwischenimperialistischen Widersprüchen basiert. Die Menschen in der Ukraine sind mehr oder weniger der Prellbock, auf dem die USA/NATO und Russland ihren Kampf um Einflusssphären austragen, mit verheerenden Auswirkungen.
Trotzdem kann man nicht so tun, als wäre vor dem Einmarsch der Russischen Armee in das Nachbarland nichts passiert. Seit 2014 ist mehr oder minder Bürgerkriegszustand in der Ostukraine. Die sogenannten Volksrepubliken Lugansk und Donezk, die als Reaktion auf die faschistischen Ausschreitungen in Kiew, die vom Westen gestützt wurden, und zum Sturz von Präsident Janukowitsch führten, gegründet wurden, standen unter Dauerbelagerung und Dauerbeschuss. An die 14.000 Menschen sollen in diesem Bürgerkrieg seit 2014 ums Leben gekommen sein. Die Infrastruktur ist kaputt, die Industrie, die früher das Herz der sowjetischen Schwerindustrie, des Bergbaus und der Metallurgie war, ist tot. Eine Beendigung dieses Zustandes ist den Bewohnern sowohl Kiew als auch Moskau schuldig geblieben, die beiden Abkommen der Friedenverhandlungen von Minsk wurden niemals auch nur ansatzweise umgesetzt.
Die 14.000 Toten in der Ostukraine waren dem ganzen „Wertewesten“ egal, in den Medien kam das bestenfalls als Kurzmeldung vor. Man war ja bestrebt, die Ukraine als Prellbock gegen Russland aufzustellen und Kiew eine Mitgliedschaft in der NATO und in der EU in Aussicht zu stellen. Man billigte alle nationalistischen Exzesse, wie zuletzt die Untersagung der russischen Sprache in der Öffentlichkeit und in den Medien. Man war an der Eskalation beteiligt und interessiert.
Jetzt, da der Krieg tobt, ist vieles zu spät, und wird manches sichtbar. Wie eine Verhandlungslösung aussehen kann, die diesen Krieg beendet, ist unklar. Klar sollte aber der Politelite in Kiew geworden sein, dass in den nächsten 10 bis 15 Jahren weder mit einem NATO- noch mit einem EU-Beitritt zu rechnen ist. Sie wurden in diesen Krieg getrieben und hereingelegt, daran ändert auch der Waffennachschub des Westens nichts.
Präsident Wladimir Putin hat mit diesem Krieg die „Brudervölker“, die er angeblich vereinen wollte, so weit auseinandergebracht, wie vielleicht noch niemals in der Geschichte und damit seine panrussischen Ambitionen selbst zu Grabe getragen. Seine vorgeblichen Kriegsziele „Entnazifizierung“ und „Entmilitarisierung“, zu denen er dann später auch noch „Dekommunisierung“ hinzufügte, wird er kaum erreichen. Am ehesten noch die „Dekommunisierung“, die in der Ukraine ohnehin schon stattfand, wo ebenso wie in Russland das vorherige sowjetische Volksvermögen von den Oligarchen gestohlen wurde und sich eine parasitäre Oberschicht etablierte. Auch punkto Antikommunismus braucht man der Ukraine nichts mehr beizubringen. Dort ist heute der Faschist Bandera ein Volksheld, und nicht die ukrainischen Helden der Roten Armee, die Europa vom Faschismus befreiten. Die tatsächlichen Nazis und Bandera-Faschisten hat Putin mit dem Krieg stärker gemacht, und auch die Entmilitarisierung wird wohl kaum gelingen, da vom Westen ständig neue Waffen nachgeliefert werden.
Eines muss aus kommunistischer Sicht klar sein: Putin führt keinen „antifaschistischen“ Krieg, und seine Armee ist nicht die Rote Armee, auch wenn sie manche Symbole dieser beibehalten hat, um die ältere Generation in Russland emotional bei der Stange zu halten. Russlands Hymne hat aus demselben Grund die Melodie der sowjetischen übernommen, ist in ihrem Text aber durchsetzt von reaktionär-völkischem und religiösem Pathos. Putin ist ein übler Antikommunist, wie er erst kürzlich mit seinen Auslassungen über Lenin bewiesen hat.
Freilich steht Putins Russland den Westmächten bei ihren imperialistischen Zielen im Weg, ebenso wie China und kleinere Länder, die sich nicht dem Westimperium unterordnen. Das macht aber aus einem Angriffs- keinen Befreiungskrieg und aus einem Regionalimperialisten wie Putin keinen Freiheitskämpfer.
Die Ukraine hingegen ist vom Westen 2014 übernommen worden, Rechtsradikale wurden in Staat und Armee integriert und die Diebe des Volksvermögens gaben in Kiew ebenso den Ton an wie in Moskau. Was als Wahlkampf verkauft wurde, war nur ein Wettstreit verschiedener korrupter Eliten und den hinter ihnen stehenden Oligarchen.
Es gibt in diesem Krieg einige Gewinner, vor allem das globale Finanz- und Rüstungskapital.
Und es gibt zwei große Verlierer: Die Völker der Ukraine und Russlands. Die Folgen dieses Krieges werden darüber hinaus aber die Unterschichten auf der ganzen Welt zu spüren bekommen. Nach oder während der COVID-Pandemie folgen gigantische Preiserhöhungen, verheerende Nahrungsmittelengpässe vor allem in armen Ländern und noch schärfere innerimperialistische Konfrontationen, die stets die Gefahr neuer Kriege bis hin zum Atomkrieg in sich bergen.
Der 1914 ermordete französische Sozialist Jean Jaures, nach dem in Wien-Favoriten ein Gemeindebau benannt ist, schmetterte den Kriegshetzern vor dem ersten Weltkrieg den berühmten Satz „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“ entgegen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Frieden, dauerhafter Frieden ist nur erreichbar, wenn der Kapitalismus gestürzt wird. „Schwarzer, Weißer, Brauner, Gelber enden ihre Schlächtereien, reden erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein“ heißt es in einem bekannten Arbeiterlied.