Australien ließ verlautbaren, dass es Jerusalem nicht mehr als Hauptstadt Israels betrachtet. Die Erklärung hat keine praktischen Konsequenzen, unterstreicht jedoch die korrekte Haltung der internationalen Staatengemeinschaft.
Canberra/Jerusalem/Tel Aviv/Ramallah. Australiens Außenministerin Penny Wong von der sozialdemokratischen Labor-Regierung ließ mit einer interessanten Entscheidung aufhorchen: Die australische Regierung, so hieß es, erkenne (West-)Jerusalem nicht mehr als Hauptstadt Israels an.
Wer mit der Historie des so genannten Nahostkonflikts nicht allzu vertraut ist, könnte diese Erklärung zunächst für seltsam halten. Denn natürlich gilt Jerusalem gemeinhin als Hauptstadt des israelischen Staates, schließlich haben Regierung, Parlament und Präsident auch dort ihren Sitz. Und inwiefern soll eigentlich in Australien über die Hauptstadt Israels entschieden werden? Doch ganz so einfach ist es eben nicht.
Zum besseren Verständnis ein Blick in die Geschichte: Gemäß dem UNO-Teilungsplan für Palästina von 1947 sollte die Stadt Jerusalem einen Sonderstatus erhalten und unter internationaler Verwaltung verbleiben, um zu garantieren, dass Juden, Muslime und Christen gleichermaßen Zugang zu den heiligen Stätten erhielten. Der Teilungsplan wurde jedoch nie umgesetzt, da es im Gefolge der israelischen Unabhängigkeitserklärung von 1948 zum Krieg zwischen Israel und den arabischen Staaten der Region kam. Israel eroberte dabei weitaus größere Gebiete, als ihm zugestanden wären, und Jerusalem wurde im Ergebnis der militärischen Auseinandersetzung geteilt, in ein jüdisch-israelisches Westjerusalem und ein arabisches Ostjerusalem, das damals noch von Jordanien verwaltet wurde. Und Westjerusalem wurde von der Regierung und dem Parlament Israels zur Hauptstadt des jungen Staates erklärt.
Im Sechstagekrieg von 1967 eroberte die israelische Armee schließlich u.a. auch das Westjordanland inklusive Ostjerusalem, auf das die israelische Verwaltung ausgeweitet wurde, während in großer Zahl israelische Bürger angesiedelt wurden. Im Jahr 1980 verabschiedete das israelische Parlament das „Jerusalem-Gesetz“. Dieses fasste die Stadtteile sowie einige Umlandgemeinden zusammen und erklärte ganz Jerusalem zur untrennbaren Hauptstadt Israels. Kurz gesagt: Ostjerusalem wurde nach der militärischen Okkupation auch annektiert. Der UN-Sicherheitsrat erklärte dieses Gesetz und die völkerrechtswidrige Annexion mit der Resolution 478 für nichtig, mit 14:0 Stimmen (die USA enthielten sich). Zudem wurden alle UNO-Mitgliedstaaten, die ihre Botschaften in Jerusalem hatten – es waren ohnedies nur wenige –, aufgefordert, diese abzuziehen. Dem wurde auch entsprochen, seither befinden sich (fast) alle ausländischen Botschaften in Israel in Tel Aviv.
In der Zwischenzeit sind nur wenige Länder wieder ausgeschert. Im Jahr 2017 entschieden die USA, Jerusalem als Ganzes als Hauptstadt Israels anzuerkennen, 2018 wurde die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt. Diesem Beispiel folgten sodann Guatemala, Honduras und der selbst international nur teilweise anerkannte Kosovo. Alle anderen ausländischen Vertretungen – somit auch jene Österreichs – verbleiben in Tel Aviv.
Man kann also zusammenfassen, dass die UNO und die internationale Staatengemeinschaft bis auf wenige Ausnahmen Jerusalem nicht als Hauptstadt Israels anerkennen. Dies liegt darin begründet, dass Israel auf völkerrechtswidrigen Annexionen und illegalen Siedlungen beharrt, während nach allgemeiner Ansicht der Status von Jerusalem erst im Zuge einer endgültigen Friedenslösung geklärt werden kann. Die ursprünglich angestrebte Internationalisierung ist freilich längst vom Tisch, faktisch geht es nur um eine Teilung im Rahmen einer gerechten Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967, wobei Israel Westjerusalem als Hauptstadt bekäme und Palästina Ostjerusalem (ebenfalls als Hauptstadt, gegenwärtig Ramallah). Solange dies aufgrund der israelischen Ansprüche auf ganz Jerusalem, aufgrund der Okkupations‑, Siedlungs‑, Vertreibungs- und Unterdrückungspolitik nicht möglich ist, weigern sich die meisten Staaten der Erde, auch nur Westjerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen.
Und genau das ist es, was die seit Mai 2022 amtierende australische Labor-Regierung nun klargestellt hat, wobei eine gegenteilige Entscheidung der rechtskonservativen Vorgängerregierung aufgehoben wurde. Der israelische Ministerpräsident Jair Lapid kritisierte die Entscheidung natürlich und insistierte darauf, dass Jerusalem „die ewige und unteilbare Hauptstadt Israels“ bleibe. Die Palästinensische Autonomiebehörde begrüßte hingegen den Schritt Australiens und erklärte, „dass die Zukunft der Souveränität über Jerusalem von einer dauerhaften Lösung, basierend auf internationaler Legitimität, abhängt.“
Israel ist mit seiner völkerrechtswidrigen Siedlungs- und Annexionspolitik also isoliert. Die Vereinten Nationen und die Weltgemeinschaft – mit Ausnahme der USA – lehnen dieses Unrecht ab. Zumindest formell. Denn es ist doch erstaunlich, dass die Verbrechen und Rechtsverstöße Israels, die militärischen Aggressionen und Okkupationen sowie die einseitigen Annexionen noch nie zu Sanktionen gegen Israel oder zu Waffenlieferungen an die Palästinenser geführt haben…
Quelle: Der Standard