Die widrigen Umstände nötigten ihn immer wieder dazu, seine Gesundheit für die Sichtbarmachung äußerster Ungerechtigkeit zu opfern.
Ramle. Khader Adnan, einer der bekanntesten palästinensischen Häftlinge unserer Zeit, verstarb nach einem fast dreimonatigen Hungerstreik. Wärter fanden ihn am Dienstagmorgen in seiner Zelle, still und ohne Bewusstsein. Die Ärzte stellten später im Krankenhaus nur mehr seinen Tod fest. Es war nicht das erste Mal, dass Khader Adnan mit seiner Gesundheit für israelisches Unrecht bezahlen musste.
Seit mehr als 20 Jahren wird Khader Adnan immer wieder grundlos mit Repressionen des israelischen Regimes bedacht, immer wieder muss er zum einzigen Mittel greifen, das ihm noch bleibt, um die ihm täglich angetane Unbill nicht ganz unbeachtet verstreichen zu lassen. Ohne Anklage für unbestimmte Zeit in Verwaltungshaft gesteckt, verzichtet er auf Essen. Mit seinen Hungerstreiks wird sein Name über die Landesgrenzen hinaus populär, und mit ihm die palästinensische Sache.
Bäcker von Beruf
Zum Zeitpunkt seines Todes ist Khader Adnan gerade einmal 45 Jahre alt. Er wird am 24. März 1978 in der Stadt Arraba in der Nähe von Dschenin im besetzten Westjordanland geboren. Von Beruf war er Bäcker, denn er besaß eine Bäckerei in der Stadt Qabatiya, südlich von Dschenin. Sein Mathematikstudium schloss er an der Universität Bir Zait ab, danach studierte er Wirtschaftswissenschaften.
In seinen Studentenjahren kommt er mit der Organisation Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ) in Berührung und wird darin politisch aktiv. Ab 2000 fungiert er als deren Sprecher, zeit seines Lebens bleibt er dem bewaffneten Arm der Organisation jedoch fern.
Ein Jahr zuvor gelangt er zum ersten Mal in seinem Leben für vier Monate in israelische Gefangenschaft, acht Monate darauf wird er von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verhaftet, weil er eine Studentendemonstration gegen den damaligen französischen Premierminister Lionel Jospin (PS) angeführt hatte. Bei der Demonstration bewarfen Studenten Jospin während seines Besuchs in Bir Zait mit Eiern und Steinen, da er die militärischen Aktionen der Hisbollah gegen die israelische Besatzung als „Terrorismus“ bezeichnet hatte.
Hungerstreik 2012
Am 17. Dezember 2011 wird Adnan, nun 33-jährig, in seinem Haus in Arraba verhaftet, 18 Tage lang verhört und Berichten zufolge von israelischen Sicherheitskräften gefoltert und gedemütigt. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung ist Randa, seine Frau, die er 2005 geheiratet hatte, gerade mit dem dritten Kind schwanger. Seine zwei kleinen Töchter erlebten die Verhaftung mit. Die Verwaltungs- oder Administrativhaft erlaubt, Verdächtige ohne Angabe von Gründen und allein mit Verweis auf eine Sicherheitsgefährdung für sechs Monate einzusperren. Verwaltungshaft kann jedoch unbegrenzt verlängert werden und Beweise müssen von der Anklage nicht präsentiert werden.
Khader Adnan beginnt aus Protest gegen diese schreiende Ungerechtigkeit einen Hungerstreik, der rund 66 Tage andauern sollte. Dieser traurige Rekord verschaffte seiner Notlage größere Sichtbarkeit und Solidarität von vielen Seiten. Der US-amerikanische Singer-Songwriter David Rovics widmete ihm etwa den Song Khader Adnan, Bobby Sands, in welchem er Parallelen zum Hungerstreik des nordirischen Revolutionärs Bobby Sands zog und auf die Gemeinsamkeiten eines Lebens unter brutaler Besatzung hinwies. Daneben setzten sich Amnesty International, Human Rights Watch und sogar die EU-Außenpolitik-Beauftragte Catherine Ashton für seine Freilassung ein.
Natürlich löste sein Hungerstreik auch Solidaritätsproteste im Westjordanland und im Gazastreifen aus. Nachdem im Februar 2021 endlich eine Einigung mit den israelischen Behörden erzielt worden war, beendete er seinen Hungerstreik.
Sein letzter Hungerstreik
Khader Adnan wurde insgesamt zwölfmal in seinem Leben verhaftet, manchmal in der zuvor genannten Verwaltungshaft, zuweilen wiederum mit dem Vorwurf „sicherheitsgefährdender Aktivitäten“, er verbringt die Hälfte seines Lebens im Gefängnis. 2014 wurde er verhaftet und zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt, die später verlängert wurde, woraufhin Adnan in einen 56-tägigen Hungerstreik trat, der erst am 12. Juli 2015 mit seiner Freilassung endete.
Am 5. Februar 2023 kam es zu seiner letzten Verhaftung. Zuhause warten seine Frau Randa und die inzwischen auf neun Kinder angewachsene Familie vergebens auf seine Rückkehr. Diesmal wird er vor einem israelischen Militärgericht angeklagt, unter anderem wegen Verbindungen zu einer verbotenen Gruppe und Anstiftung zur Gewalt. Aus Protest gegen seine Inhaftierung ohne Anklage verweigert er nach Angaben der Palästinensischen Gefangenengesellschaft rund 87 Tage lang die Nahrungsaufnahme. Eine Medizinerin der NGO Ärzte für Menschenrechte Israel, die Adnan diese Woche im Gefängnis besucht hatte, warnte davor, dass er „unmittelbar vom Tod bedroht“ sei, und forderte, dass er „dringend in ein Krankenhaus verlegt“ werden müsse.
„Wenn er dort gewesen und überwacht worden wäre,“ bestätigte Hadas Ziv der Süddeutschen Zeitung gegenüber, „hätte es eine bessere Chance gegeben, sein Leben zu retten.“
Und Khader Adnan überlebt tatsächlich sein letztes Martyrium nicht. Er stirbt allein in seiner Zelle und mit ihm auch die Möglichkeit, etwas am israelischen Apartheidsystem mit friedlichen Mitteln ändern zu können. Er stirbt nicht für sich allein, sondern um der Hoffnung willen, dass andere Väter nicht aus völlig willkürlichen Gründen ihrer Familie fernbleiben und im Gefängnis sterben müssen. Sein Tod steht als Beweis für das Willkürsystem des israelischen Rechts und für den Sadismus des israelischen Gefängnissystems.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Addameer befinden sich zurzeit etwa 4.900 Palästinenserinnen und Palästinenser in israelischen Gefängnissen. Die meisten von ihnen verbüßen von israelischen Gerichten auferlegte Strafen oder werden zum Verhör festgehalten, sind angeklagt oder warten auf einen Prozess oder stehen vor Gericht. Weitere 1.016 befinden sich nach Angaben von Addameer in Verwaltungshaft.