Santiago de Chile. Eine wegweisende Entscheidung hat das chilenische Verfassungsgericht am 9. Jänner gefällt: Es erklärte Artikel 48 des Haushaltsgesetzes 2025 für verfassungswidrig, der die territorialen Ansprüche indigener Gemeinschaften auf die traditionelle Nutzung der Meeresküsten aushebeln sollte. Die betroffenen Völker und ihre Unterstützer bezeichnen das Urteil als Meilenstein für den Schutz ihrer Rechte und der Umwelt.
Das im Jahr 2008 in Kraft getretene Lafkenche-Gesetz sichert den indigenen Gemeinschaften – darunter die Mapuche-Gruppe der Lafkenche (Menschen des Wassers) – das Recht auf Verwaltung bestimmter Küstengebiete zu. Ein wesentliches Ziel ist es, indigene Gewohnheitsnutzung und Bräuche zu erhalten. Anträge auf diese Küstenrechte können gestellt werden, sofern keine kollidierenden Rechte Dritter vorliegen; die zuständigen Behörden bestätigen diese Ansprüche dann.
Mit dem nun für ungültig erklärten Artikel 48 wollte die ultrakonservative Partei Renovación (RN) jedoch durchsetzen, dass für das Haushaltsjahr 2025 weitere Anträge vorerst ausgesetzt werden. Zusätzlich sollten bereits laufende Verfahren, die nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten entschieden sind, automatisch abgelehnt werden. Die damit frei werdenden Mittel sollten für andere Maßnahmen im Staatshaushalt verwendbar sein.
Entsprechend groß war der Protest unter den betroffenen Völkern wie den Lafkenche, Kawésqar und Nomádes del Mar, für die – wie sie selbst betonten – „der Zugang zum Meer wesentlich für ihre Kosmovision und Lebensweise ist“. Schon im November hatten Fachanwälte wie Felipe Guerra und Christian Paredes Letelier Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Budgetbestimmung geäußert. Ihrer Ansicht nach dürfen jährliche Haushaltsplanungen nicht in dauerhafte Gesetze eingreifen und verstoßen damit sowohl gegen die nationale Verfassung als auch gegen internationale Abkommen wie jenes der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
„Der Finanzierungsweg des Haushaltsplans kann nicht für Innovationen genutzt werden, die im Gegensatz zu dauerhaften Gesetzen stehen.“
Artikel 48 verstoße gegen die „ausschließliche Initiative des Präsidenten der Republik in Bezug auf Angelegenheiten der Finanz- oder Haushaltsverwaltung des Staates“. Zudem verletze er die Gleichheit vor dem Gesetz und die Menschenrechte. Gleichzeitig, so das Gericht, sei der Kongress nicht befugt, im Zuge eines Haushaltsgesetzes bestehende Gesetze zu ändern – er dürfe lediglich Ausgaben kürzen oder umschichten, jedoch keine inhaltlichen Reformen erzwingen.
Gerade in Fragen, die indigene Völker direkt betreffen, verwiesen die Richterinnen und Richter auf das Abkommen 169 der ILO. Dieses garantiert Partizipationsrechte in sämtlichen Entscheidungen, welche die Gemeinschaften in ihrer Existenz und Kultur unmittelbar berühren. Auch der Versuch, mithilfe der jährlichen Budgetplanung ein dauerhaftes Schutzgesetz aufzuweichen, erklärte das Gericht für unrechtmäßig.
Dass das Lafkenche-Gesetz vielen industriellen Interessengruppen ein Dorn im Auge ist, zeigte sich bereits in der Vergangenheit. Fischerei-Industrie und andere Wirtschaftssektoren hatten die Regelungen immer wieder als „Bremse für Investitionen und ökonomische Entwicklung“ bezeichnet. Mit dem Versuch, den Haushalt 2025 als Vehikel zur Einschränkung indigener Küstenrechte zu nutzen, hofften sie auf eine weitere Schwächung der traditionellen Meeresnutzung.
Die RN-Abgeordneten begründeten ihren Vorstoß damit, „ein Zeichen für Organisation und Effizienz zu setzen“. Man wolle, so die Argumentation, „nie wieder Zeugen von Minderheiten werden, die Hektar um Hektar des Meeres wollen“. Dahinter steht jedoch deutlich das Interesse, indigenen Gemeinschaften das Mitspracherecht zu verweigern und ihre territorialen Ansprüche zu marginalisieren.
Für die Verteidigung indigener Rechte und den Umweltschutz ist das Urteil des Verfassungsgerichts ein bedeutender Erfolg. Es stärkt die Position der Mapuche und anderer indigener Gruppen, bestätigt die Verfassungsgrundsätze in Chile und schützt zugleich wichtige Ökosysteme, die von den traditionellen Nutzungsformen profitieren.
Quelle: Amerika21