Vor dem High Court in London hat einer der größten Zivilprozesse Großbritanniens begonnen: Mehr als 1,6 Millionen Klägerinnen und Kläger werfen internationalen Autoherstellern wie Mercedes-Benz, Ford, Nissan, Renault, Peugeot und Citroën vor, Diesel-Abgastests manipuliert zu haben. Der Prozess, der voraussichtlich bis 2026 dauert, gilt als richtungsweisend für die gesamte Autoindustrie.
London. Am Montag hat vor dem High Court in London einer der größten Zivilprozesse in der britischen Rechtsgeschichte begonnen. Über 1,6 Millionen Kläger werfen mehreren internationalen Autoherstellern vor, Diesel-Abgastests manipuliert und damit gegen Umweltgesetze verstoßen zu haben.
Vorwurf: „Lieber betrügen als sich ans Gesetz halten“
Die Kläger richten ihre Sammelklage gegen Mercedes-Benz, Ford, Nissan, Renault sowie die zu Stellantis gehörenden Marken Peugeot und Citroën. Sie werfen den Unternehmen vor, in Fahrzeugen, die zwischen 2012 und 2017 hergestellt wurden, illegale „Abschalteinrichtungen“ verwendet zu haben. Diese Systeme sollen erkannt haben, wenn die Fahrzeuge getestet wurden, und die Stickoxid-Emissionen (NOx) dann künstlich niedrig gehalten haben.
Nach Angaben der Klägeranwälte lagen die tatsächlichen NOx-Werte im Straßenbetrieb deutlich höher – teilweise bis zu zwölfmal über den gesetzlichen Grenzwerten. Dadurch sei die Umwelt geschädigt worden, und die Verbraucherinnen und Verbraucher hätten Anspruch auf Entschädigung. Einer der Klägeranwälte, Tom de la Mare, sagte, die Hersteller hätten bewusst entschieden, „lieber zu betrügen, als sich an das Gesetz zu halten“.
Hersteller bestreiten Vorwürfe
Die beklagten Autohersteller weisen alle Anschuldigungen zurück. Sie halten die Klagen für grundlegend fehlerhaft und argumentieren, es gebe technische und sicherheitsrelevante Gründe, warum Abgaskontrollsysteme unter verschiedenen Bedingungen unterschiedlich arbeiteten.
Zudem lehnen sie Vergleiche mit dem sogenannten „Dieselgate“-Skandal von Volkswagen ab, der 2015 öffentlich wurde. Renaults Anwalt Alexander Antelme erklärte, die Klägerinnen und Kläger gingen fälschlicherweise davon aus, dass die Praktiken von VW in der gesamten Branche üblich gewesen seien.
Prozess mit Signalwirkung
Der laufende Prozess konzentriert sich zunächst auf 20 Diesel-Fahrzeuge der fünf betroffenen Hersteller. Das Gericht soll feststellen, ob diese Modelle verbotene Abschalteinrichtungen enthalten. Sollte das der Fall sein, wird in einem weiteren Verfahren über mögliche Entschädigungen entschieden.
Das Urteil, das voraussichtlich Mitte 2026 fallen wird, wird auch auf etwa 800.000 weitere ähnliche Klagen ausgeweitet, darunter Verfahren gegen BMW sowie die Stellantis-Marken Vauxhall und Opel.
Hintergrund: VW-Skandal als Auslöser
Der Prozess steht im Schatten des VW-Dieselskandals, der 2015 ans Licht kam und den deutschen Konzern mehr als 32 Milliarden Euro an Nachrüstungen, Strafen und Rechtskosten kostete. Der damalige VW-Chef Martin Winterkorn sollte sich in Deutschland strafrechtlich verantworten, sein Prozess wurde jedoch kürzlich aus gesundheitlichen Gründen ausgesetzt.
Auch andere Hersteller und Zulieferer sahen sich in den vergangenen Jahren mit Ermittlungen und Strafzahlungen wegen Diesel-Emissionen konfrontiert, insbesondere in den USA.
Die aktuelle britische Klagewelle gegen mehrere große Automarken hat nach Schätzungen der Klägeranwälte einen Gesamtwert von rund sechs Milliarden Pfund (etwa 6,9 Milliarden Euro).
Quelle: Reuters