Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA), zum Stand der Corona‑, Wirtschafts- und Politikkrise
Nachdem Mitte Juni bereits ein Minimum von nur 300 Infizierten erreicht war, sind nun so viele aktive Corona-Fälle bekannt wie nie zuvor in Österreich. Der bisherige Peak vom 3. April wurde mit fast 8.400 gegenwärtigen Infektionen deutlich übertroffen. Zu diesen Zahlen ist allerdings zu sagen, dass endlich auch wesentlich mehr getestet wird als im Frühjahr, wodurch die bekannten Fälle gegenüber der vermutbaren Dunkelziffer ansteigen. Die letzten Monate haben auch verschiedene andere Daten hervorgebracht: Die Letalität bei den Erkrankungen blieb unter den Befürchtungen, die Belastungsgrenzen der Krankenhäuser und insbesondere der Intensivstationen waren in Österreich bislang nicht in Gefahr – und erst dies, eine tatsächliche Übersteigerung der vorhandenen Kapazitäten, wäre die potentielle Grundlage für einen massiven Anstieg der Todesfälle. In Sicherheit wiegen braucht man sich trotzdem nicht – im Gegenteil. Die aktuellen Infektionen betreffen einerseits vermehrt jüngere Menschen, weniger so genannte „Risikogruppen“, andererseits zeichnet sich ab, dass eine überstandene CoViD-19-Erkrankung nicht zwingend zu einer wenigstens mittelfristigen Immunität führt. Über Langzeitfolgen (auch bei mildem Verlauf) weiß man naturgemäß fast nichts. Diese Tatsachen sowie die markanten Steigerungsraten der letzten Wochen, in Österreich sowie in einigen Nachbarländern, werden eine Herausforderung für die medizinische Wissenschaft sowie das ärztliche und Pflegepersonal bleiben. Diese Menschen haben seit dem Epidemiebeginn Außerordentliches geleistet, was umso höher einzuschätzen ist, als die Bundes- und Landesregierungen ungeachtet der beteiligten Parteien seit Jahrzehnten das Gesundheitswesen kaputtsparen, was zu knappen personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen führt.
Rettung fürs Kapital, Krise für die Arbeiterklasse
Was die amtierende Bundesregierung aus ÖVP und Grünen geleistet hat, verdient hingegen weniger Anerkennung. Es war chaotisch und widersprüchlich, einige Verordnungen und viele Strafverfügungen erwiesen sich als gesetz- und verfassungswidrig. Handy-App und Corona-Ampel waren bizarre Rohrkrepierer. Viele notwendige Hilfestellungen kamen nicht oder zu spät an, während einige Konzerne zwar Steuergeld für das Kurzarbeitsmodell einsteckten, dann aber erst recht Angestellte kündigten – und dies wird sich mit Vertiefung der Krise fortsetzen. Dass im Zuge der ganzen erbärmlichen Performance der Regierung lediglich (und ausgerechnet) die Kulturstaatssekretärin den Hut nehmen musste, so etwas gibt es auch nur hierzulande: Rücktrittsreif wäre so ziemlich die gesamte Ministerriege, nicht zuletzt der Bundeskanzler, der offenbar kein anderes Interesse – und kein anderes Talent – als Medieninszenierung hat. Unterm Strich wird dann aber natürlich schon auch Substanzielles verfolgt: Lockdown und verschärfte kapitalistische Krise setzen den Unternehmen zu, der ökonomische Einbruch sucht seinesgleichen. Die Regierung des Kapitals macht das, wofür sie bezahlt wird: Die Konzerne und Großunternehmen retten, so weit möglich, die kleinen vernachlässigen und die Arbeiterklasse ignorieren. Corona- und Krisenpolitik wird auf dem Rücken der arbeitenden Menschen, der Arbeitslosen und der sozial Schwachen betrieben, die kapitalistischen Profite sollen in trockene Tücher gebracht werden. Die grundsätzlichen Mechanismen des Kapitalismus sind in der Krise nicht nur nicht anders, sondern sogar verstärkt wirksam.
Einschüchterung und Verunglimpfung der Bevölkerung
Daher hat die Regierung auch kein brauchbares Konzept zur Epidemie-Kontrolle und keines für die soziale und gesundheitliche Sicherheit der Arbeiterklasse und des Volkes. Natürlich soll der Mindeststand der Arbeitnehmer weiterhin für die Profitsicherheit schuften, ohne ausreichend Schutzmaßnahmen, mit allem, was dazu gehört: Massenproduktion, Massentransport, Massenkontakt in Betrieben und am Weg dorthin. Gleichzeitig werden die zur Kostenreduktion massenhaft freigesetzten Arbeiterinnen und Arbeiter mit weiterhin zu niedrigen Arbeitslosengeldern und Sozialleistungen abgespeist. Den Pleitewellen im KMU- und EPU-Bereich sowie den kommenden Privatinsolvenzen hat die Regierung nichts entgegenzusetzen, will sie auch gar nicht. Sie arbeitet stattdessen an den nächsten Clustern im alpinen Wintertourismus, denn mit diesem ist die ÖVP geradezu organisch verbunden. Einschränken sollen sich nach Ansicht der Herren Kurz, Mahrer und Nehammer, aber auch Kogler und Anschober nur die einfachen Menschen im persönlichen Bereich. Anstatt selbst politische Verantwortung zu übernehmen, werden die Lasten und die Schuld der Bevölkerung und deren Verhalten aufgeladen: jungen Menschen und ihrer Freizeitgestaltung, Urlaubern und natürlich Migranten. Der Pöbel sei eben zu blöd, um sich an Sicherheitsmaßnahmen zu halten, weswegen nun die zweite Welle (und Arbeitslosigkeit) komme. Diese Art von Diffamierung, Spaltung, Menschenfeindlichkeit, Heuchelei und Ablenkung vom eigenen Versagen der Regierung darf und braucht sich die Bevölkerung nicht bieten lassen. Wenn die Herren und Damen in der Regierung ihren viel zu hoch dotierten Job machen würden, dann müssten sie auch nicht überall nach Sündenböcken für ihre eigene Unfähigkeit suchen.
Auf Kriegsfuß mit demokratischen Rechten und Freiheiten
Die Regierung arbeitet aber nicht nur mit Täuschung, Beleidigungen und Abkanzelungen, sondern auch mit Repression. Nachdem die übertriebene Angst- und Panikmache von Herrn Kurz inzwischen niemanden mehr so recht einzuschüchtern vermag (wie auch umgekehrt seine vertröstenden Heilversprechungen für Sommer 2021 niemanden beruhigen), braucht es neue Gesetze. Diese liegen scheinbar in der Verantwortung des Gesundheitsministers, freilich in Wirklichkeit in jener des gesamten Ministerrats sowie der ihnen hörigen ÖVP- und grünen Parlamentsabgeordneten. Der neue Corona-Gesetzesentwurf enthält – neben durchaus sinnvollen Regelungen – wiederum ein paar bemerkenswerte und fragwürdige Punkte, darunter natürlich empfindliche Strafen für Privatpersonen oder verlängerten Hausarrest ohne automatische Gerichtskonsultation. Bei der Untersuchung oder Nachverfolgung von Infektionen bzw. Verdachtsfällen (!) durch die staatlichen Behörden schießt man aber den Vogel ab: Diese sollen ohne richterlichen Beschluss Zugang zu allen Räumlichkeiten und Einsicht in alle Dokumente erhalten, was etwa für Anwaltskanzleien oder Medienredaktionen schon ein starkes Stück ist. Aber natürlich gilt das potenziell auch für Vereine und politische Organisationen: Verwaltungsbehörden und polizeiliche Unterstützungskräfte sollen die Möglichkeit bekommen, ohne jede Einschränkung in den Räumlichkeiten und Unterlagen „verdächtiger“ Strukturen herumzuschnüffeln – hiermit würde Willkür, politischer Einflussnahme, Überwachung und Spionage Tür und Tor geöffnet, was denn doch ein massiver Angriff auf die Organisationsfreiheit, Datenschutz, Vertraulichkeit und Privatsphäre impliziert. Doch bei Weigerung setzt es Geldstrafen oder Zwangsmaßnahmen. Ob es nun abermals dem juristischen Dilettantismus in der Regierung geschuldet ist, oder ob tatsächlich autoritärer und repressiver Vorsatz vorliegt, ist einerlei, denn jedenfalls handelt es sich um Machtmissbrauch und demokratiefeindliche Ansinnen, die in einem Rechtsstaat untragbar sind: So etwas kann und darf nicht sein.
Und so ist unterm Strich klar: Die österreichische Bevölkerung muss ihre Gesundheit und ihre sozialen und existenziellen Rechte schützen und verteidigen, aber auch ihre demokratischen Bürger- und Menschenrechte. Immer deutlicher wird, dass dies nicht mit und durch die Regierung geschieht, sondern dass dies Widerstand gegen die Regierung des Kapitals bedeuten muss. Bundeskanzler Kurz ist der Babyelefant im Porzellanladen der bürgerlichen Demokratie, der Informationsfreiheit, des Rechtsstaates, des Sozialsystems und des Gesundheitswesens. Wenn man ihn nicht mitsamt seiner Herde hinausbefördert, wird er zum Problembullen anwachsen und ein Land in Scherben und Trümmern hinterlassen. Es gilt daher, die Epidemie und ihre Folgen, die Krise, die Regierung und den zugrundeliegenden Kapitalismus mit aller Konsequenz zu bekämpfen.