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Frieden. Geschenk oder Aufgabe? Ein Buch von Helga E. Hörz & Herbert Hörz

Gastautor: Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i.R. für Geschichte an der Universität Innsbruck

Emil Fuchs (1874–1971), evangelischer Theologe und als solcher einer der ersten Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der Weimarer Republik, hat die Jahre der Verfolgung im Hitlerfaschismus mit seinem Enkel Klaus Fuchs-Kittowski (*1934) gerade noch überlebt. Im Herbst 1949 hat er sich entschlossen, von Westdeutschland in die Demokratische Republik Deutschland (DDR) zu übersiedeln und eine Professur an der Theologischen Fakultät Leipzig anzunehmen. In einem sechs Seiten langen, maschinegeschriebenen Brief vom 21. Dezember 1956 erläutert Emil Fuchs seinem in Zürich lebenden sozialdemokratischen Freund Hugo Kramer (1890–1969) die Beweggründe. Nicht nur das Erbe der Naziherrschaft sollte in der DDR überwunden werden, sondern es sollten die Erfahrungen und Einsichten aus Jahrhunderten deutscher und europäischer (Kriegs-) Geschichte zur Grundlage eines völlig neuen gesellschaftlichen Systems der Solidarität werden.[1] Anstoß zu seinem Brief war für Emil Fuchs ein mit dem „Triumph des Antikommunismus“ eingeleiteter Artikel von Hugo Kramer über die Ereignisse in Ungarn und die damit verknüpfte Heuchelei des Westens.[2] Emil Fuchs schreibt: „Wir sind ein Häuflein, das sich beauftragt fühlt, Frieden zu schaffen und dem Geiste der Gewalt, des Machtbegehrens und der Habsucht entgegenzustehen, wo wir auch immer sind und wirken können oder müssen. Wir haben aber zu wirken in einer Menschheit, deren Massen und führende Schichten glauben, das Mittel der Gewalt, sei es zum Schutze, sei es zum Erreichen >berechtigter< Ansprüche anwenden zu dürfen, ja zu müssen. Der Kommunismus in seiner marxistischen Form teilt mit uns die Überzeugung, dass Gewalt des Menschen unwürdig ist, glaubt aber gleichzeitig, dass dieser Glaube erst verwirklicht werden könne, wenn die Umwandlung der Gesellschaftsordnung erreicht ist, die den von dort ausgehenden Zwang zur Gewaltübung unnötig macht. So ist die kommunistische Welt auf dem Wege der Gewalt geboren und hat dies Schicksal weiter zu tragen auch da, wo sie nun daran arbeitet, es zu überwinden. Aber sie lässt keinen Zweifel darüber, dass sie gewillt ist, ihr Dasein mit jedem Mittel der Gewalt zu verteidigen. [..] Ich für meinen Teil bin nach dem Osten gegangen, weil ich glaube, dass diese neubeginnende Weltgestaltung das Notwendige tut, das der heutigen Menschheit aufgetragen ist – vom Schicksal – Gottes Schicksal – eine Gestaltung zu beseitigen, die ohne Zweifel diese Menschheit in unaufhörliche Kämpfe stürzen muss, weil ihr Wesen Kampf ist und nicht Liebe. […] Mitten in einer solchen Welt einen neuen Weg zu suchen ist schwer. Es kommt dazu, dass ja die Fehler, die korrigiert werden müssen, sehr viel Unheil über Menschen brachten, die nun aufbegehren und Recht fordern oder Strafe. Es ist gar keine Frage, dass auch in der DDR solche Fehler und Rücksichtslosigkeiten begangen wurden. Wir müssen allerdings auch sagen, dass zu unserm Glück unsere Regierung [mit Walter Ulbricht (1893–1973)] schon seit einigen Jahren daran arbeitet, neue Wege zu gehen und Menschen zu erziehen, die das leisten können, was da erfordert ist. – Es liegt ja immer auch daran, dass man unter den Ausführenden die rechten Menschen hat und die sind nicht so zahlreich, wenn es gilt, eine neue Gestaltung zu bauen und nicht einfach alte Gewohnheiten weiterzutragen. […]“.

Helga E. Hörz (*1935) und Herbert Hörz (*1933) sind Kriegskinder mit schrecklichen Erlebnissen und sind mit ihren Biographien von jenen Hoffnungen auf einen neuen Weg des deutschen Volkes geprägt, die Emil Fuchs mit der Grundidee der DDR verbunden und in seinem Brief deutlich angesprochen hat. Sie haben nicht nur den ihnen in der DDR ermöglichten neuen Weg begonnen, sondern sie haben vorbildhaft durchgehalten. Ihr jetzt gemeinsam geschriebenes Buch nimmt die Erfahrungen und das Wissen ihres jahrzehntelangen Weges auf und versucht diese für die Gegenwart und die Zukunft nützlich zu machen. Ihr Buch ist in der Sprache des Friedens geschrieben. Diese unterscheidet sich von der bis herauf in die Gegenwart in der Bundesrepublik immer wieder zur Geltung kommenden deutschen Kriegssprache. Helga Hörz, Ethikerin und Kämpferin für Frauenrechte, und Herbert Hörz, Philosoph und Wissenschaftshistoriker, haben ihren Arbeiten stets den materialistischen Humanismus zugrunde gelegt. Sie sind überzeugt, dass die aus den Eigentumsverhältnissen resultierende Herrschaft des Reichtums nicht mehr Wohlstand auf die Welt bringt, sondern nur massenhafte Opfer und unsägliches Leid durch Unterdrückung, Kriege und Versklavung nach sich zieht.

Papst Franziskus spricht in seiner neuen Enzyklika[3], dass unsere Gegenwart gekennzeichnet ist von einem „dritten Weltkrieg in Abschnitten“. Das verwundere freilich nicht, weil es an Horizonten fehle, die „uns zur Einheit zusammenführen“. Auch Wladimir I. Lenin (1870–1924), den Albert Einstein (1879–1955) unter die „Hüter und Erneuerer des Gewissens der Menschheit“ zählte,[4] hat die Frage des Friedens als die aktuellste, die alle bewegende Frage bezeichnet.[5] In jedem Krieg werde, so Papst Franziskus, „das Projekt der Brüderlichkeit“ zerstört. Gemeinsame Solidarität muss die Grundlage der Humanisierung werden, was Helga Hörz und Herbert Hörz wissenschaftlich begründen. Sie nehmen in einem zentralen Abschnitt ihres Buches zu den aktuellen Debatten um Krieg und Frieden Stellung und erörtern die Frage, ob es gerechte und ungerechte Kriege geben kann. „Die Frage ist kurz so zu beantworten: Es gibt ungerechte politische, soziale, ökonomische, kulturelle Verhältnisse, gegen die vorzugehen ist“. Es gehe darum, „ungerechte Verhältnisse abzuschaffen, doch wie das geschehen kann und soll, ist im Interesse der Menschheit genau zu prüfen“. Nirgends wird in dem Buch dieser beiden Friedensaktivisten zur Gewaltanwendung als Reaktion auf diese von den Herrschenden verursachte Welt des Leids argumentiert, aber eindeutig bleibt ihre Aussage, dass der gesellschaftliche Ursprung der Gewalt durch mit Friedensarbeit verknüpfte befreiende Gewalt beseitigt gehört. Denn der Friede wird sich nicht allein durchsetzen, er muss erkämpft werden. „Will man Kriege aus dem Leben der Menschen verbannen“, so Helga Hörz und Herbert Hörz, „dann bedarf es vieler Aktionen von Friedensanhängern, um sich gegen die interessengeleiteten Kriegsursachen zu wenden“. Differenziert werden in diesem Kontext die Widersprüche zwischen Rhetorik und praktischem Verhalten von Barack Obama (*1961) erörtert. 2009 hat Obama den Friedensnobelpreis erhalten und in seiner Rede schamlos behauptet, dass die Kriege der USA „gerechte Kriege“ seien.[6] Die illegalen Kriege der USA und der NATO hat Obama mit den verbrecherischen Drohnenkriegen (Jemen!) erweitert und systematische Folter zugelassen. 

Das Buch von Helga Hörz und Herbert Hörz gliedert sich in elf Abschnitte, die für sich allein lesbar sind: 1. Leben als Kriegskinder und ein interessanter Briefwechsel – 2. Weitere Lebensstationen als Erfahrungsbasis philosophischer Studien – 3. Problemsichten herausragender Denker in Vergangenheit und Gegenwart – 4. Zu aktuellen Debatten um Krieg und Frieden – 5. Frauen gegen Krieg – 6. Lehren aus der Vergangenheit und aktuelle Friedensaktivitäten – 7. Erfolgs- und Gefahrenrisiken moderner Technologien bei militärischen Aktionen – 8. Demokratie, Diktatur und Krieg – 9. Wissenschaft in der Verantwortung – 10. Militärische Konflikte und der Friedensnobelpreis 2009 und, mit den drei Fragen von Immanuel Kant (1724–1804) schließend, 11. Zukunft als Gestaltungsraum: Wissen, Hoffen, Gestalten. Das Buch regt zum Nachdenken nach vorne an, nicht im Sinne eines Wartens auf den Selbstlauf der Geschichte, sondern darüber, wie der Beitrag des einzelnen Menschen für den Frieden ausschauen kann. Dem Verlag ist für seine Drucklegung sehr zu danken.

Hörz, Helga E. / Hörz, Herbert: Frieden – Geschenk oder Aufgabe? Erfahrungen, Analysen, Aktionen. trafo Wissenschaftsverlag (Dr. Wolfgang Weist) Berlin 2020, 474 S., ISBN 978–3‑86464–013‑1. 29,80 EUR.


[1] Original. Sozialarchiv Zürich., Nachlass Hugo Kramer.

[2] Neue Wege 50 (1956), Heft 13, S. 1–23.

[3] file:///C:/Users/Acer/Downloads/papa-francesco_20201003_enciclica-fratelli-tutti.pdf

[4] Zitiert nach Siegfried Grundmann: Einsteins Akte. Einsteins Jahre in Deutschland aus der Sicht der deutschen Politik. Springer Verlag 1998, S. 331.

[5] Rede über den Frieden 26. Oktober (8. November) 1917. W. I. Lenin, Werke Band 26, Berlin 1974, S. 239–243, hier S. 239. 

[6] Vgl. Daniele Ganser: Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien. orell füssli Verlag 5. A. 2017.

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