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Vor 40 Jahren: Grönland entscheidet sich für EG-Austritt

Vor 40 Jahren stimmte die Bevölkerung Grönlands in einem Referendum als erste Nation für den EG-Austritt – ein historischer Akt des Antiimperialismus und der Selbstbestimmung.

Am 23. Februar 1982 fand in Grönland eine Volksabstimmung über den Verbleib in den Europäischen Gemeinschaften (EG) statt. Über 53 Prozent der teilnehmenden Stimmenberechtigten sprachen sich damals für den Austritt Grönlands aus den EG aus. Dieser erfolgte offiziell mit dem 1. Januar 1985. 1993 wurden die EG in die „Europäische Union“ (EU) umgewandelt, die Grönländer, zu 88 Prozent Inuit, sehen sich seither in ihrer Entscheidung bestätigt. Die Ablehnung der EG war in Grönland ein bewusster antiimperialistischer Akt und bedeutete die teilweise Konsolidierung der nationalen Selbstbestimmung.

Europäischer Kolonialismus in Grönland

Grönland kann auf eine fast tausend Jahre währende Kolonisationsgeschichte zurückblicken, welche die Unterdrückung durch europäische Nationen und Staaten bedeutete. Diese Geschichte begann im Jahr 982, als Erik der Rote aus Island fliehen musste und sich nach Grönland absetzte. Von Grönland aus erreichte dessen Sohn, Leif Eriksson, um das Jahr 1000 als erster Europäer das nordamerikanische Festland. Aus dieser Zeit stammt auch der Name „Grönland“. Diese doch etwas beschönigende Bezeichnung als „grünes Land“ sollte willige Kolonisten anziehen – was sie auch tat: es begann damals die erste großflächige europäische Landnahme auf der größten Insel der Welt. Aber Grönland war zur vorletzten Jahrtausendwende natürlich nicht unbesiedelt, sondern war seit etwa dreieinhalbtausend Jahren Heimat verschiedener Inuit-Kulturen. Diese autochthone Bevölkerung wehrte sich gegen die Eindringlinge aus Island und Skandinavien, gegen die größer werdenden Jagd- und Agrargemeinden im eisfreien Küstenland und gegen die offensive christliche Missionierung. Tatsächlich wurden bis zum Jahr 1550 alle europäischen Kolonisten wieder vertrieben, durchaus in einem regelrechten, lange andauernden und gewaltsamen Befreiungskampf der grönländischen Inuit. In keinem anderen Land der Erde konnte die indigene Bevölkerung eine organisierte europäische Kolonialmacht in ähnlicher Weise besiegen. Bis 1721 blieb Grönland vom europäischen Kolonialismus befreit.

In diesem Jahr aber, 1721, wurde Grönland abermals von Skandinaviern in Beschlag genommen und in weiterer Folge von der dänisch-norwegischen „Königlichen Grönlandhandelsgesellschaft“ verwaltet und ausgebeutet: diese erhielt 1776 ein kommerzielles Verwaltungsmonopol, das bis 1950 Bestand haben sollte. Grönland erlangte aus europäisch-kapitalistischer Sicht zunächst große Bedeutung für den Walfang, die sonstige Fischerei und die Robbenjagd, führend waren hierbei – ebenso wie bei der diesmal erfolgreichen protestantischen Missionierung der Inuit – neben Dänen und Norwegern vor allem Deutsche und Niederländer. Als 1814 die dänisch-norwegische Personalunion aufgelöst wurde, fiel Grönland an Dänemark – ein Zustand, an dem sich trotz zwischenzeitlicher innerimperialistischer Zwistigkeiten bis heute nichts geändert hat. Grönland ist immer noch ein Teil Dänemarks und sein Staatsoberhaupt ist folgerichtig die dänische Königin Margrethe II.

Von der Kolonie zur beschränkten Autonomie

Im Zweiten Weltkrieg errichteten die USA erstmals Militärbasen auf Grönland, nach Kriegsende wurde im „Kalten Krieg“ ein NATO-Militärgebiet geschaffen. Bei der Errichtung der US-Air-Base bei Thule wurden 1953 alle dort ansässigen Inuit Opfer einer Zwangsumsiedelung. Im selben Jahr trat jedoch auch das neue Grundgesetz Dänemarks in Kraft, wodurch Grönland seinen Status als Kolonie verlor. Von diesem Jahr an war Grönland eine „normale“ Provinz des dänischen Staates und entsendet seither zwei Abgeordnete ins Kopenhagener Parlament. Zu Beginn der 1960er Jahre entwickelte sich in Grönland eine nationale Freiheitsbewegung, die nach dem Ende der dänischen Fremdherrschaft strebte. Diese Bewegung blieb zunächst ohne Erfolg, der Konflikt verschärfte sich jedoch 1973, als Dänemark (und damit zwangsweise Grönland) den EG beitrat. Bei der Volkabstimmung über diesen Beitritt sprachen sich in Grönland über 70 Prozent der Stimmberechtigten dagegen aus – die „Ja“-Stimmen aus dem dänischen Zentralland übertrafen jedoch die „Nein“-Stimmen aus dem dünn besiedelten Grönland problemlos, denn in ganz Grönland leben kaum mehr Menschen als z.B. in St. Pölten. Gegen den eindeutig bekundeten Wunsch des grönländischen Volkes wurde ihr Land auf diese Weise Mitglied der EG.

Der Widerstand der grönländischen Bevölkerung gegen die EG hatte gute Gründe. Die industriellen Fischfangflotten aus den EG-Staaten, nicht zuletzt aus der BRD, waren für die Überfischung der grönländischen Gewässer verantwortlich, europäische Konzerne wollten der Insel die vorhandenen und die vermuteten Bodenschätze rauben. Hinzu kam der west- und nordeuropäische Kulturimperialismus, der die Inuitgemeinschaften sukzessive zu zerstören drohte, und erschwerend war dabei die damit „begründete“ soziale Benachteiligung der Grönländer gegenüber den dänischen Eliten auf Grönland. Abermals setzten sich die Grönländer zu Wehr. 1975 erreichte Grönland, dass eine paritätisch besetzte grönländisch-dänische Kommission gebildet wurde, die ein Autonomiestatut für Grönland, nach Vorbild der seit 1949 autonomen Färöer, erarbeiten sollte. Das Verhandlungsergebnis wurde 1978 im dänischen Parlament genehmigt, 1979 entschieden sich die Grönländer in einer Volksabstimmung mit überwältigender Mehrheit für das Autonomiegesetz. Am 1. Mai 1979 trat das Gesetz in Kraft, seither ist Grönland zum Teil selbst verwaltet, verfügt über innere Autonomie, ein eigenes Parlament und eine Regierung. Weiterhin in dänischer Hand blieb jedoch die Militär- und Außenpolitik Grönlands.

Der EG-Austritt, die nationale und soziale Frage

Selbstbestimmung wurde Grönland jedoch auch in Bezug auf die EG-Mitgliedschaft gewährt. Auf Basis des Autonomiegesetzes von 1979 wurde am 23. Februar 1983 in Grönland eine Volksabstimmung über die Mitgliedschaft in den EG abgehalten, bei der sich eine Mehrheit für den Austritt fand: 53,02 Prozent der Stimmen entfielen auf das „Nein“ in Bezug auf die fortgesetzte EG-Mitgliedschaft, 46,98 Prozent dementsprechend auf das „Ja“. Dem Austritt, der mit 1. Januar 1985 in Kraft trat, war ein intensiver Kampf der grönländischen Volksbewegung gegen die EG vorangegangen. Seither ist Grönland ein mit den EG bzw. der EU „assoziiertes Überseeland“.

Der Kampf um die grönländische Souveränität, um tatsächliche Selbstbestimmung, war und ist aber damit noch nicht zu Ende. Weiterhin kämpf ein relevanter Teil der grönländischen Linken für mehr Autonomie bzw. sogar für die vollständige Unabhängigkeit von Dänemark, während sich die liberalen und Rechtsparteien fest an Kopenhagen binden wollen und mitunter selbst den EU-Beitritt befürworten. Der Kampf um völlige Unabhängigkeit und tatsächliche Selbstbestimmung Grönlands ist die offensive Seite des antiimperialistischen Befreiungskampfes der grönländischen Nation. Die Defensive besteht gegenwärtig u.a. im Widerstand gegen die Errichtung US-amerikanischer Militärbasen. In ökonomischer Hinsicht muss sich Grönland gegen Bestrebungen der EU verteidigen, die Fischerei- und Jagdrechte für die EU-Flotten auszuweiten. Um in wirtschaftlicher Hinsicht eine materielle Basis für die komplette Unabhängigkeit zu erhalten, bemüht sich Grönland außerdem um eine ökologische, d.h. bewusst begrenzte Erschließung der eigenen Bodenschätze, die freilich auch die EU- und US-Konzerne in die Hand bekommen wollen. 

Der Kampf ist letztlich nicht nur einer gegen die Ansprüche Dänemarks, der EU und der USA, sondern überhaupt ein antiimperialistischer. Auch und gerade im grönländischen Fall zeigt sich, dass Antiimperialismus in Bezug auf Europa und in Europa mit dem Widerstand gegen die EU beginnt. Erst ohne diese Ketten besteht für souveräne Nationen die Möglichkeit, sich dem imperialistischen System nachhaltig zu widersetzen und im Inneren eine soziale Gesellschaft und eine wirkliche Demokratie zu errichten. Es ist dies, der Kampf gegen den Imperialismus, der Ausgangspunkt für den Kampf gegen den Kapitalismus und für eine sozialistische Gesellschaft.

Quelle: Auszug aus: Tibor Zenker, „Der Imperialismus der EU 2“, Wien 2010 (redigiert und aktualisiert)

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