Zum Jahreswechsel 1941/42 verfasste der österreichische Dichter und kommunistische Widerstandskämpfer Richard Zach (1919–1943) das Gedicht „Ein neues Jahr?“. Es ist ein Aufruf, sich nicht Illusionen hinzugeben oder Unterdrückung hinzunehmen, sondern den konsequenten Kampf gegen Kapitalismus und Faschismus, für Frieden und die Befreiung der Arbeiterklasse und der Völker aufzunehmen. Nur ein Jahr später wurde Zach von den Nazis ermordet.
Ein neues Jahr? (1941/42)
Ein neues Jahr? Das ist nicht wahr!
Noch immer beugt ihr eure Nacken
und trottet schweigend in der Schar,
keiner ein Funke, alle Schlacken.
Noch immer betet ihr zu Gott,
dass er euch Glück und Frieden schenke
und gütig euer Schicksal lenke -
und werdet stets als Sklaven tot.
Noch immer werft ihr eure Leiber
als Dünger auf ein fremdes Gut.
Wozu gebären eure Weiber?
Die Willkür peitscht euch bis aufs Blut!
Doch ihr – ihr fürchtet euch zu sterben,
für eine Welt, die euch gehört,
und meidet den, der sich empört;
und müsst ein Leben lang verderben!
Noch immer predigt ihr Geduld
und kriecht im Staub vor starren Götzen,
verkündet Demut, bettelt Huld,
dient blind den blutbespritzten Klötzen!
Noch immer schreckt ihr vor der Tat,
versperrt euch zag in euren Kammern
und liebt das tatenlose Jammern;
- und zeugt die nächste Sklavensaat.
Ein neues Jahr? Ein Sklavenjahr!
Es wird den vielen andren gleichen,
die ihr schon schleppt, der Freiheit bar
und wird genau so leer verstreichen,
ein Massengrab von Stundenleichen,
die erste wie die letzte schal.
Ein bloßes Mehren einer Zahl.
Ein müdes, ungenütztes Schleichen.
Doch feiert heute rasch ein Fest!
Der Tag ist eines Festes wert!
Berauscht, vergnügt euch, lärmt, vergesst,
dass nur die Sklaverei sich jährt!
Tut so, als wäre eure Zeit
ein sinnenfroher Jahresreigen
und nicht ein ewig feiges Beugen!
Berauscht, vergnügt euch, taumelt, schreit!
Ein neues Jahr? O eitler Wahn!
Ein neuer Kreis von Hungertagen.
Ein neues Jahr beginnt erst dann,
wenn ihr den Mut habt zuzuschlagen!
Wenn ihr die alte Willkür brecht!
Wenn eure Hände endlich wagen,
die Zuchthausmauern abzutragen!
Wenn ihr erkennt: Ihr seid das Recht!
Quelle: Christian Hawle, Richard Zach – „Gelebt habe ich doch!“, Wien 1989, S. 146–147