Moskau/Kiew/Ankara/Tiraspol. Die älteste russische Gasroute nach Europa, die Urengoi-Pomarja-Uschgorod-Pipeline, wurde am 1. Jänner geschlossen. Diese Pipeline hatte seit über 40 Jahren Gas aus Russland durch die Ukraine in die Slowakei transportiert, wo es weiter nach Tschechien und Österreich verteilt wurde. Die Entscheidung markiert nicht nur eine Zäsur in der Energieversorgung Europas, sondern ist auch ein Symbol für die tiefen geopolitischen Spannungen zwischen Russland, der Ukraine, den USA und der EU.
Ein geopolitisches Schachspiel um Energie
Die Unterbrechung des Gastransits ist der vorläufige Höhepunkt eines längeren Konflikts um Energie und Einfluss. Russland und die Ukraine konnten sich nicht auf eine Verlängerung ihres letzten Fünfjahresvertrags einigen. Während Moskau weiterhin Gas durch die TurkStream-Pipeline in die Türkei und weiter nach Ungarn und Serbien liefert, hat die Ukraine den Transit russischen Gases durch ihr Territorium vollständig eingestellt.
Die Entscheidung Kiews, kein neues Abkommen mit Gazprom zu verhandeln, wird als strategischer Schachzug gewertet, der die Unterstützung der USA und ihrer Forderung nach einer Reduzierung der europäischen Abhängigkeit von russischem Gas widerspiegelt. Dieser Schritt stärkt gleichzeitig die Rolle der Ukraine als potenzielles Tor für amerikanisches Flüssigerdgas (LNG) in den europäischen Markt.
Eine neue Energieordnung in Europa
Russisches Gas machte einst rund 35–40 Prozent des europäischen Energiebedarfs aus. Doch seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 haben europäische Länder ihre Importe drastisch reduziert. Im Jahr 2024 beliefen sich die Gaslieferungen durch Pipelines in die EU auf nur noch 32,1 Milliarden Kubikmeter – ein Bruchteil früherer Liefermengen. Die USA haben diese Lücke gefüllt und stellen mittlerweile rund 50 Prozent der LNG-Importe nach Europa. Allein 2023 exportierten die USA 63 Milliarden Kubikmeter LNG in die EU.
Diese Verschiebung wurde von europäischen und US-amerikanischen Politikern als strategischer Sieg gefeiert. Der ukrainische Energieminister German Galuschenko bezeichnete das Ende des Gastransits durch die Ukraine als „historisches Ereignis“, das Russland wirtschaftlich schwächen werde. Ähnlich äußerte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der von einer der größten Niederlagen Moskaus sprach.
Die Türkei als Schlüsselakteur
Während Russland auf dem europäischen Markt an Bedeutung verliert, wird die Türkei zu einem immer wichtigeren Spieler. Durch die TurkStream-Pipeline erhält die Türkei russisches Gas und verkauft es weiter an Länder wie Bulgarien, Ungarn und Nordmazedonien. Zudem verhandelt Ankara erfolgreich Ausnahmeregelungen mit den USA, um trotz Sanktionen Zahlungen an Russland für Gasimporte zu leisten.
Die Türkei könnte künftig eine noch größere Rolle als Energie-Drehscheibe spielen, wenn die Kapazitäten der Verbindungen nach Europa ausgebaut werden. Diese Entwicklung stärkt die Position der Türkei sowohl als Partner der EU als auch als Akteur, der zwischen Russland und dem Westen balanciert.
Die Krise in Transnistrien
Besonders kritisch ist die Situation in Transnistrien, einer Region Moldawiens mit starker russischer Prägung. Diese Region bezieht traditionell rund zwei Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr über ukrainische Pipelines. Mit der Schließung der Gasroute sieht sich Transnistrien mit Versorgungsengpässen konfrontiert, die bereits zu Einschränkungen bei der Strom- und Wärmeversorgung geführt haben.
Während Moldawien auf alternative Energiequellen aus Rumänien und anderen EU-Staaten zurückgreift, lehnt Transnistrien jede Unterstützung der prowestlichen Regierung in Chișinău ab.
Ein Blick in die Zukunft
Die Unterbrechung der russischen Gaslieferungen durch die Ukraine hat weitreichende Folgen. Sie symbolisiert nicht nur den Verlust russischer Dominanz auf dem europäischen Energiemarkt, sondern treibt auch die Umgestaltung der globalen Energiearchitektur voran. Während die USA ihre Marktanteile in Europa weiter ausbauen, versucht Russland, neue Allianzen mit Ländern wie der Türkei und Ungarn zu schmieden.
Quelle: 902.gr