Linz. Vor zwei Wochen starb in Oberösterreich eine 55-jährige Frau, weil kein Krankenhaus in der Lage war, sie rechtzeitig zu behandeln. Ein Einriss der Hauptschlagader – ein medizinischer Notfall, bei dem jede Minute zählt. Doch die Hilferufe des Rohrbacher Spitals blieben unbeantwortet. Die auf Herzchirurgie spezialisierten Kliniken in Linz, Wels, Salzburg und St. Pölten lehnten, Berichten der Krone Zeitung zufolge, ab: keine Kapazitäten, alle Intensivbetten belegt. Nach zwei Stunden Kampf mussten die Ärztinnen und Ärzte in Rohrbach den Tod der Frau bestätigen.
Was wie ein tragischer Einzelfall klingt, ist in Wahrheit ein Symptom eines kranken Systems. Die Schlagzeilen der letzten Jahre über Pflegenotstand, überfüllte Notaufnahmen, geschlossene Betten und überarbeitete Beschäftigte sind keine zufälligen Begleiterscheinungen, sondern Ausdruck einer seit Jahrzehnten betriebenen Politik der Ökonomisierung, der Kürzungen und der Privatisierung. Die Frau aus dem Mühlviertel starb nicht an einem unglücklichen Zufall, sondern an einem System, das längst selbst auf der Intensivstation liegt.
Seit Jahren wird das österreichische Gesundheitssystem nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien geführt. Was einst als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge galt, ist heute zunehmend in die Logik des Marktes gezwungen. Spitäler werden in Holdings zusammengefasst, Abteilungen nach Kosteneffizienz bewertet, und Patientinnen und Patienten gelten als „Fälle“, die sich rechnen müssen. Mit der Einführung der Fallpauschalen wurde der ökonomische Druck weiter verschärft: Krankenhäuser erhalten nicht mehr das, was medizinisch notwendig ist, sondern das, was als betriebswirtschaftlich vertretbar gilt. In der Praxis bedeutet das weniger Personal, kürzere Aufenthalte und eine immer höhere Belastung für die Beschäftigten. Wenn Betten gestrichen werden, nennt man das Effizienzsteigerung – wenn Menschen deshalb sterben, spricht man von einem tragischen Einzelfall.
Die strukturelle Aushöhlung ist längst messbar. In den letzten 35 Jahren wurden rund 15 Prozent der Krankenanstalten und 16 Prozent der Spitalsbetten gestrichen, mehr als 12.000 Betten sind verschwunden, während die Bevölkerung altert. Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte arbeiten am Limit, viele verlassen den Beruf, weil sie die Belastung nicht mehr aushalten. Zugleich wächst der private Sektor: Immer mehr Leistungen werden ausgelagert, immer mehr private Anbieter greifen nach den Gewinnen. Über den PRIKRAF-Fonds werden Privatkliniken sogar durch Gelder der gesetzlichen Sozialversicherung mitfinanziert – also von den Beiträgen der arbeitenden Bevölkerung. Gesundheit wird so zur staatlich subventionierten Ware, von der wenige profitieren, während die Allgemeinheit zahlt.
Für jene, die es sich leisten können, steht ein zweiter Gesundheitsmarkt bereit – Wahlärzte, Zusatzversicherungen, private Behandlungen. Wer das Geld nicht hat, wartet. Wochen, Monate, manchmal vergeblich. Im Fall der 55-jährigen Frau war die Wartezeit tödlich. Sie ist Opfer eines Systems geworden, das Gesundheit nach dem Maßstab des Profits organisiert, des Kapitalismus.
Die Reaktionen der Politik auf diesen Fall sind bezeichnend. Man wolle die Abläufe prüfen, aus dem Fall lernen und die Versorgung verbessern. Diese Phrasen sind seit Jahren im Umlauf, jedes Mal, wenn die Grenzen des Systems sichtbar werden. Doch das Problem liegt nicht in einzelnen Abläufen, sondern im Grundprinzip: Gesundheit wird als Kostenfaktor betrachtet, nicht als gesellschaftliche Aufgabe oder auch Recht. Dass Oberösterreich keinen 24-Stunden-Notarzthubschrauber betreibt, ist ebenso Ausdruck dieser Prioritätensetzung wie die Deckelung der Gesundheitsausgaben seit 2013. Anstatt den tatsächlichen Bedarf zu finanzieren, werden Budgets an ökonomischen Kennzahlen orientiert. Statt der Volksgesundheit stehen Bilanzen im Zentrum.
Gesundheitspolitik ist Klassenpolitik. Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Angestellten tragen die Last dieser Politik doppelt. Sie finanzieren das System mit ihren Beiträgen – und sie leiden unter seiner Aushöhlung. Prekäre Beschäftigung, niedrige Löhne, steigende Lebenshaltungskosten und Stress verschlechtern die Gesundheit; gleichzeitig werden soziale Dienste, Prävention und medizinische Versorgung ausgedünnt. Wer krank wird, hat vermehrt Pech, wenn er oder sie kein Geld hat.
Die Pandemie hat diese Widersprüche mit brutaler Klarheit offengelegt. Statt daraus zu lernen, wurden die bestehenden Strukturen verfestigt. Noch immer dominiert die Idee, dass Krankenhäuser wie Unternehmen funktionieren sollen, dass Pflegekräfte Kostenfaktoren sind und dass Gesundheit nur so weit gewährleistet wird, wie sie sich rechnet.
Doch ein Gesundheitssystem, das im Dienste der arbeitenden Bevölkerung steht, kann nicht nach den Maßstäben des Kapitals organisiert werden. Es muss öffentlich, zugänglich und solidarisch sein. Es muss die Gesundheit des Volkes zum Ziel haben, nicht die Profite privater Träger. Dazu gehört der Ausbau öffentlicher Einrichtungen, die Abschaffung von Privatleistungen, die Aufwertung und bessere Bezahlung des Pflegepersonals, die Stärkung der Primärversorgung und eine umfassende gesundheitliche Aufklärung, die diesen Namen verdient.
Die 55-jährige Frau aus dem Mühlviertel hätte gerettet werden können. Ihr Tod ist keine Tragödie des Zufalls, sondern Ergebnis des Systems. Ein System, das nicht im Interesse der Menschen funktioniert, sondern in jenem des Profits.
Quelle: ORF/Partei der Arbeit
Update: 27. Oktober 2025, 8.50 Uhr – Die Salzburger Landeskliniken haben dem ORF gegenüber angegeben zugesagt zu haben die Patientin zu behandeln.



















































































