Wien. Mit großem Tamtam und inszenierten Pressekonferenzen verkünden Karl Nehammer, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger den Start von Regierungsverhandlungen zu dritt – ein historisches Ereignis, wie sie nicht müde werden zu betonen. Doch wer sich eine echte Zäsur oder gar ein politisches Umdenken erwartet, wird bald eines Besseren belehrt: Die Dreier-Koalition wird, wie jede Regierung davor, die Interessen des Kapitals vertreten und die arbeitende Bevölkerung mit den Kosten ihrer „Reformen“ alleinlassen.
Schon bei der ersten gemeinsamen Erklärung aus dem altehrwürdigen Palais Epstein war klar: ÖVP, SPÖ und NEOS betonen zwar ihre Unterschiede, doch diese sind bestenfalls kosmetischer Natur. Was die Parteien eint, ist ihre unerschütterliche Loyalität gegenüber dem Kapital und der Industriellenvereinigung, die sie als „Standortpolitik“ verklausulieren.
Nehammer schwärmt von „Wachstum und Wohlstand“, einer „Migrationspolitik, die die Bürgerinnen und Bürger nicht überfordert“, sowie Reformen in Gesundheit und Pflege. Babler wiederum redet von „Teuerung, Migration und Klimaschutz“, während Meinl-Reisinger auf Bildung und Wettbewerbsfähigkeit pocht. Die unterschiedlichen Schwerpunkte sollen den Eindruck von Vielfalt erwecken, sind jedoch nur Varianten derselben Melodie: Das Kapital wird geschont, während die Lasten auf die Schultern der Arbeiterinnen und Arbeiter abgewälzt werden.
Karl Nehammer nennt die neue Regierung ein „Bündnis der Vernunft und der politischen Mitte“. Doch was bedeutet diese sogenannte Vernunft in der Praxis? Die Geschichte zeigt: „Vernünftig“ heißt in den Augen der ÖVP, dass Vermögende weiterhin von jeder Belastung verschont bleiben. Bablers SPÖ, die sich großspurig für Vermögenssteuern ausgesprochen hatte, wird diese Forderung – wie so oft – unter dem Druck der Verhandlungen preisgeben. Der NEOS-Katalog, bestehend aus Sparmaßnahmen und neoliberalen Bildungsidealen, sorgt dafür, dass auch in dieser Koalition nur ein Ziel im Vordergrund steht: Die Maximierung der Profite für die Reichen, während die arbeitende Bevölkerung mit leeren Versprechungen abgespeist wird.
Die Prioritäten der drei Parteien lassen keinen Zweifel daran, wer von diesem Bündnis profitieren wird. Bildung wird als Investition in „Wettbewerbsfähigkeit“ beschrieben, nicht in soziale Gerechtigkeit. Migration wird als Problem behandelt, das „die Bürgerinnen und Bürger nicht überfordern“ dürfe – eine Sprache, die in erster Linie Ressentiments befeuert, anstatt Solidarität zu fördern. Und die Wirtschaftspolitik? Wachstum und Standortperspektiven klingen eh nett, doch wer trägt die Kosten? Es sind nicht die Großkonzerne oder die Reichen, sondern wie immer die arbeitende Bevölkerung, die die Zeche zahlen wird.
Andreas Babler hat schon recht, wenn er meint, dass man „über den eigenen Schatten springen“ müsse, doch der Schatten, den die SPÖ auch unter seiner Führung überspringen wird, ist die rote Linie, die sie längst aufgegeben hat: nämlich den Kampf für die arbeitende Klasse. Die SPÖ wird den letzten Rest ihres sozialdemokratischen Anspruchs verraten, um den reaktionären Wirtschaftskurs von ÖVP und NEOS mitzutragen. Vermögenssteuern? Bereits jetzt deutet alles darauf hin, dass diese SPÖ-Forderung nicht einmal das Papier wert war, auf das sie geschrieben wurde. Stattdessen wird die arbeitende Bevölkerung mit neuen Sparmaßnahmen konfrontiert, während Österreichs Millionäre und Milliardäre weiterhin lachend ihre Gewinne einstreifen dürfen.
Eine Anhebung des Pensionsantrittsalters, Verschärfungen für Arbeitslose oder das systematische Kaputtsparen des Gesundheitswesens – die neoliberalen Thinktanks haben zahlreiche fragwürdige Pläne in petto, die mit Sicherheit in irgendeiner Form in die Verhandlungen einfließen werden. Am Ende wird ein Regierungsprogramm stehen, das dem Status quo der kapitalistischen Ausbeutung nichts entgegensetzt. Der Sozialstaat wird weiter ausgehöhlt, prekäre Arbeitsverhältnisse werden sich verschärfen, und die Klimakrise wird in einem Meer von leeren Phrasen untergehen. ÖVP, SPÖ und NEOS mögen sich ihrer vermeintlichen historischen Rolle rühmen, doch in Wahrheit bleibt alles wie es ist: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, und die Politik bleibt Handlanger des Kapitals.
Quelle: ORF