Die Bundesregierung hat kürzlich Maßnahmen angekündigt, die Eltern ins Visier nehmen, deren Zusammenarbeit mit Schulen als unzureichend gilt: Verwaltungsstrafen von bis zu 1.000 Euro sollen zukünftig Eltern treffen, die den Vorgaben der Bildungsinstitutionen nicht folgen. In Oberösterreich, wo die ÖVP gemeinsam mit der FPÖ regiert, fordert man dieses ohnehin schon einschneidende Vorgehen noch zu verschärfen.
Florian Hiegelsberger, Landesgeschäftsführer der ÖVP Oberösterreich, fordert nach deutschem Vorbild sogar Haftstrafen für Eltern, deren Kinder kriminell auffallen oder die nicht an behördlichen Maßnahmen teilnehmen. Das vorgeschlagene Modell umfasst auch den sogenannten „Warnschuss-Arrest“ für Jugendliche, der sie frühzeitig mit den Folgen einer kriminellen Karriere konfrontieren soll – und das, ohne dass diese Jugendlichen als vorbestraft gelten.
Was auf den ersten Blick wie entschlossenes Handeln gegen Verwahrlosung wirkt, offenbart bei genauerem Hinsehen ein politisches Narrativ, das soziale Missstände kriminalisiert, anstatt sie zu lösen.
Die Realität der österreichischen Familien
Während Politiker über Strafen diskutieren, leben in Österreich Hunderttausende Kinder, Frauen und Alleinerziehende in Armut. Rund 14 bis 17 Prozent der Bevölkerung gelten als armutsgefährdet, das entspricht über 1,2 Millionen Menschen. Besonders betroffen sind Kinder: 295.000 von ihnen leben in relativer Armut, fast 79.000 in absoluter Armut. Für diese Kinder bedeutet Armut, dass grundlegende Bedürfnisse wie Ernährung, Kleidung, Freizeitaktivitäten oder Bildung nur eingeschränkt erfüllt werden können.
Armut ist dabei oft unsichtbar. Viele Familien kämpfen im Alltag darum, die Wohnung zu heizen oder pünktlich die Miete zu bezahlen. Kinderarmut hat weitreichende Folgen: Eingeschränkte Bildungschancen, gesundheitliche Probleme und soziale Isolation. Fast die Hälfte der armutsgefährdeten Haushalte kann sich Nachhilfe oder Förderunterricht nicht leisten – die Kosten liegen für viele Familien schlicht außerhalb des Budgets. Strafen für Eltern, die ohnehin überfordert sind, greifen hier vollkommen ins Leere.
Besonders prekär ist die Lage von Alleinerziehenden, die überwiegend Frauen sind. 36 Prozent dieser Haushalte gelten als armutsgefährdet. Frauen tragen häufig den Großteil unbezahlter Sorgearbeit, verdienen weniger und haben geringere Pensionsansprüche. Strafen für Eltern treffen also die sozial ohnehin Benachteiligten besonders hart – eine Realität, die in der politischen Debatte weitgehend ignoriert wird.
Bildungssystem im Brennpunkt
Die Schulen in Österreich bilden die gesellschaftliche Ungleichheit ab. Kinder aus armutsbetroffenen Familien haben schlechtere Chancen auf höhere Bildung. Zu große Klassen, zu wenige Lehrkräfte, unzureichende Schulsozialarbeit und fehlende psychologische Unterstützung verhindern, dass ausgleichende Maßnahmen umgesetzt werden können.
Christian Moser von SOS-Kinderdorf beschreibt die Lage drastisch: „Unser Schulsystem wirkt armutsverfestigend. Es nimmt Kindern Chancen, statt sie zu eröffnen.“ Kinder, die Unterstützung dringend benötigen, erhalten sie oft nicht. Der Mangel an Ressourcen führt dazu, dass Bildung und Förderung in der Verantwortung der Familien liegen – Familien, die häufig ohnehin überlastet sind.
Raphaela Schuhmandl, Schulsozialarbeiterin an einer Wiener Brennpunktschule, schildert die täglichen Herausforderungen eindrücklich. Kinder kommen hungrig in die Schule, viele tragen abgenutzte Kleidung, einige sind Opfer häuslicher Gewalt. Für Schuhmandl bedeutet jeder Tag, mehrere Kinder intensiv zu betreuen, deren Probleme von Gewalt, psychischen Belastungen und sozialen Defiziten geprägt sind. Trotz ihres Engagements bleibt sie nur eine „Feuerwehr“ – strukturelle Ursachen werden durch das System nicht gelöst.
Regierung setzt auf Repression und Populismus
Angesichts dieser Realität wirken die Forderungen nach Strafen und Haft absurd. Geld- oder Freiheitsstrafen für Eltern treffen diejenigen, die ohnehin kaum über Ressourcen verfügen, während die strukturellen Probleme – Armut, überlastete Schulen, fehlende Sozialarbeit – unbehandelt bleiben.
Die Übertragung des deutschen Modells des Warnschuss-Arrests auf Österreich ist nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern auch sozial gefährlich. Sie kriminalisiert Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern, ohne die Ursachen der Probleme zu adressieren. Die politischen Entscheidungsträger scheinen zu übersehen, dass Repression Armut und Bildungsbenachteiligung nicht beseitigt – im Gegenteil, sie verschärft bestehende Ungleichheiten. Tatsache ist aber, dass das ein Ergebnis der kapitalistischen Gesellschaft ist. Eine Gesellschaft, in der der größtmögliche Profit im Mittelpunkt steht und die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen.
Die Regierungspolitik folgt ganz dieser Logik, gesellschaftliche Teilhabe gibt es nur für jene, die es sich leisten können, alle anderen werden unter Druck gesetzt, an der gesellschaftlichen Rand gedrängt und mit Repression bedacht, wenn sie sich nicht fügen. Der jahrzehntelange Sozialabbau und die sich überlagernden Krisen des Kapitalismus haben die soziale Lage für viele weiter verschärft. 2024 waren rund 130.000 Menschen mehr von absoluter Armut betroffen als noch 2022.
Jugendfront fordert mehr Soziale Arbeit
Die Jugendfront der Partei der Arbeit Österreichs betont, dass es in Österreich seit Jahrzehnten an Konzepten zum Schutz vor Gewalt fehlt. Zwar wurden mit dem Maßnahmenpaket 2023 und der Schulordnung 2024 Schritte unternommen, finanzielle Mittel fehlen jedoch. Schulen sollen nun eigenständig Gewaltschutzkonzepte entwickeln, oft ohne fachliche Expertise.
Schulpsychologische Betreuung ist massiv unterbesetzt: Auf einen Schulpsychologen kommen etwa 5.600 Schülerinnen und Schüler. Auch die Kapazitäten der Kinder- und Jugendpsychiatrie reichen bei weitem nicht aus, um psychische Probleme zu behandeln. Die Jugendfront fordert daher ein umfassendes Ressourcenpaket: multiprofessionelle Teams, flächendeckende Schulpsychologie, Ganztagsschulen, Freizeitangebote und präventive Sozialarbeit.
Strafen für Eltern lösen keine Probleme, die tiefer liegen: Armut, Bildungsungleichheit, psychische Belastungen und unzureichende schulische Ressourcen. Wer Kinder in prekäre Lebenssituationen hineinbestraft, verursacht eine Spirale der Benachteiligung. Die Folgen sind nicht nur individuell verheerend, sondern auch gesellschaftlich teuer: geringere Bildungschancen, höhere Gesundheitskosten, soziale Spaltung.
Statt auf Strafen zu setzen, müsse die Regierung die sozialen Ursachen der Probleme angehen – Unterstützung, Prävention und Chancengleichheit statt Repression und Strafandrohungen.
Die Forderungen der ÖVP Oberösterreich, Eltern mit Haftstrafen zu bedrohen und Jugendliche frühzeitig zu kriminalisieren, verfehlen die Realität der betroffenen Familien fundamental. Statt auf Repression muss die Politik auf soziale Gerechtigkeit, Prävention und Bildungsgleichheit setzen. Kinderarmut, Bildungsbenachteiligung und psychosoziale Probleme lassen sich nicht durch Strafandrohungen beheben – im Gegenteil, sie werden dadurch nur verschärft.
Es ist Zeit, den Fokus von Strafen auf Unterstützung zu verlagern. Schulen brauchen Ressourcen, Kinder brauchen Chancen und Familien brauchen Hilfe. Alles andere ist ein politischer Schlag ins Gesicht der sozial Schwachen – und ein Rezept für die Verschärfung der sozialen Ungleichheit in Österreich.
Quelle: ORF/Volkshilfe/SOS-Kinderdorf/Caritas/Standard/Jugendfront