Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)
Vergangene Woche kündigte die österreichische Bundesregierung an, das Corona-Impfpflicht-Gesetz wieder abzuschaffen. Damit hat diese Rechtsnorm binnen recht kurzer Zeit viel erlebt, was einigermaßen als legislative (und exekutive) Farce angesehen werden darf.
Die Einführung der allgemeinen Impfpflicht wurde in einer dubiosen Nacht-und-Nebel-Aktion zwischen Bundesregierung und Landeshauptleuten im November des vergangenen Jahres vereinbart und angekündigt, am 20. Jänner dieses Jahres ging das Gesetz durch den Nationalrat, wo nicht nur die Regierungsparteien ÖVP und Grüne, sondern auch die SPÖ-Abgeordneten zustimmten, am 4. Februar 2022 trat sie mehr oder minder in Kraft, ab 16. März sollten bei Nichtbefolgung Geldstrafen erfolgen. Dazu ist es bekanntlich nicht gekommen, denn am 9. März wurde die Impfpflicht ausgesetzt – zunächst bis 1. Juni, dann über den Sommer. Und nun mit 23. Juni verkündeten der grüne Gesundheitsminister und der ÖVP-Klubobmann die vollständige Abschaffung des Gesetzes, was im Juli im Parlament geschehen wird. Das Kapitel Impfpflicht ist geschlossen und soll es auch bleiben.
Fast möchte man meinen, das Ganze wäre wieder nur eine absurde PR-Aktion von Türkis-Grün gewesen, doch der Schuss ging allzu sehr nach hinten los. Zwar beglückte die potenzielle Zwangsmaßnahme gewiss manche autoritären und denunziatorischen Charaktere in ihrem hinterfotzigen Gesellschafts- und verächtlichen Menschenbild, doch generierte sie auch Zweifel bis in die verfassungsrechtliche und wissenschaftliche Diskussion – und die Gegnerschaft wurde sogar angeheizt. Insofern ist es der Bundesregierung v.a. „gelungen“, die Bevölkerung weiter zu spalten und vom eigenen politischen Versagen mittels ausgelagerter Sündenböcke abzulenken. Eine Methode, die von den Bundes- und Landesregierungen seit Beginn der Pandemie bemüht wurde.
Wir haben als Partei der Arbeit Österreichs (PdA) die Einführung einer gesetzlichen allgemeinen Impfpflicht von Vornherein abgelehnt – wie übrigens auch jede indirekte, „versteckte“ Impfpflicht oder unsinnige Repressionen gegen nichtgeimpfte Personen. Wir waren und sind der Meinung, dass die Regierung nicht mit Zwangsmitteln in diesen Bereich der freien und persönlichen Entscheidung über den eigenen Körper einzugreifen hat. Wir haben die Einführung der Impfpflicht als nicht gerechtfertigt, unangemessen und unzweckmäßig kritisiert. Insofern können wir die nun anstehende gänzliche Aufhebung des entsprechenden Gesetzes nur begrüßen. Dies richtet sich nicht gegen die Corona-Impfung oder überhaupt gegen Schutzimpfungen an sich, die sehr wohl ihren messbaren Wert haben und in den meisten Fällen empfehlenswert sind – sie sind Ausdruck des Ringens der Menschheit um wissenschaftlichen Fortschritt.
Die Bundesregierung hat in der Pandemiebekämpfung umfassend versagt – und mit der Impfpflicht wollte sie dies vielleicht umso rigoroser kaschieren. Von daher rührten wohl auch falsche Versprechungen und Fehlinformationen, die gestreut wurden, während man in anderen Bereichen der Eindämmung, der Prävention und des Gesundheitsschutzes untätig oder zumindest nachlässig blieb. Man sollte aber auch nicht dem Irrglauben anhängen, den Herrschenden ginge es tatsächlich um den Schutz der Gesundheit und des Lebens der einfachen Bevölkerung. Von Beginn an ging es ihnen um anderes. Natürlich war und ist SARS-CoV‑2 kein apokalyptisches Killervirus und CoViD-19 keine endzeitliche Todesseuche. Die verheerenden Auswirkungen der Corona-Pandemie waren und sind erst durch die unzulänglichen Bedingungen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft geschaffen worden. Dies einerseits zu vertuschen und andererseits alles beim Alten zu belassen, sind die eigentlichen Ziele und Aufgaben der Herrschenden und ihrer Regierungen.
Daher galt die Sorge der Regierungen zunächst den Kapazitäten des Gesundheitssystems: Dieses wurde über Jahrzehnte kaputtgespart, um nicht „unnötig“ Geld für das Wohlergehen der breiten Bevölkerung ausgeben zu müssen – die aus Steuergeld finanzierten Mittel des Staatsbudgets müssen ja für die Förderung der Konzerne und Banken, für das Militär, für die politischen und wirtschaftlichen „Eliten“, für die Reichen verwendet werden. Und das soll trotz Pandemie und Krise auch so bleiben. Seit dem Frühjahr 2020 ist es der Regierung nicht gelungen, die Probleme im Gesundheitssystem zu beheben oder auch nur anzugehen. Es gibt immer noch zu wenige Ärzte und Ärztinnen, zu wenig Pflegepersonal, das schlecht bezahlt und überlastet ist, zu wenige Krankenhausbetten und Intensiveinheiten, weiterhin werden Stationen und Standorte geschlossen, weiterhin wird staatlicherseits bei Infrastruktur, Gerätschaft und Medikamenten gespart, während sich private Einrichtungen durch Profite mit der Gesundheit bereichern können. Es gibt die viel zitierte „Zwei-Klassen-Medizin“ deshalb, weil der Kapitalismus eben eine Klassengesellschaft ist: Die Minderheit der Kapitalisten und ihre Lakaien leben im Luxus, während die Masse der arbeitenden Bevölkerung auf das Nötigste reduziert wird – dies betrifft nicht nur das Gesundheitswesen, sondern z.B. auch Bildung, Wohnen, Mobilität, Energie, Kultur oder Lebensmittel. Die Gesundheitskrise wurde bewusst und lange herbeigeführt – die Corona-Pandemie hat sie nicht verursacht, sondern nur aufgedeckt. Die Regierung wollte daher niemals vorrangig Leben retten, sondern bloß das strukturelle und systemische Versagen der kapitalistischen Herrschaft verschleiern.
Die zweite Sorge galt dem reibungslosen Funktionieren der kapitalistischen Ausbeutung und Profitmacherei. Trotz Pandemie sollten die Menschen möglichst weiter arbeiten, denn nur hier wird Mehrwert für das Kapital produziert. Daher war es mit den Schutzmaßnahmen in den Betrieben nie weit her, um jeden Preis musste Schaden von „der Wirtschaft“ abgewendet oder minimiert werden. Rücksicht auf die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie deren physische und psychische Gesundheit stand und steht nie auf der Agenda der Kapitalismusverwaltung, sondern nur die maximale Ausschöpfung der Arbeitskraft – bis zur Erschöpfung. Tritt diese ein, so bleiben ja immer noch hunderttausende Arbeitslose, die als billiger und williger Ersatz bereitzustehen haben. Dieser Teil der „Normalität“ wird nie ausgesetzt, nicht in der Pandemie, nicht in der Krise, nicht im (Wirtschafts-)Krieg.
Angesichts der Teuerungs‑, Armuts- und Pleitewellen, die nicht erst mit dem Ukrainekrieg begannen, sondern schon zuvor mit der kapitalistischen Krise initiiert wurden, verkommen Pandemie und Impfpflicht zum Nebenschauplatz. Man soll und darf aber die Zusammenhänge nicht übersehen: Die Herrschenden des kapitalistischen Systems gestehen der einfachen Bevölkerung kein sicheres und selbstbestimmtes Leben zu – nicht im medizinischen Bereich, nicht bei den persönlichen und gesellschaftlichen Rechten und Freiheiten, aber eben auch nicht bei den Löhnen, bei den Preisen, ja nicht einmal hinsichtlich der bloßen Existenz. Daher gibt es noch vieles abzuschaffen: Die Impfpflicht war eine punktuelle Sache, weitere wären etwa die medizinische Unterversorgung und die Bildungsmisere, größere wären Armut, Wohnungsnot oder Arbeitslosigkeit, am Ende sind es die Geißeln des Krieges und der Wirtschaftskrisen.
Die Wahrheit ist, dass all diese Probleme, die im Sinne der Menschheit abgeschafft gehören, dem kapitalistischen System entspringen. Die Abschaffung des Kapitalismus ist daher die eigentliche Aufgabe – nur dies wird die Grundlage sein, um eine globale menschliche Gemeinschaft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg zu schaffen. Doch ist es ebenso eine Wahrheit, dass die Abschaffung des Kapitalismus im Gegensatz zu jener der Impfpflicht nicht im bürgerlichen Parlament erfolgen wird, sondern nur im revolutionären Klassenkampf gegen die Herrschenden. Die sozialistische Gesellschaft wird nicht immun sein gegen Viruspandemien, aber gegen das krankhafte Systemversagen des Kapitalismus, um dessen Intensivbett sich alle etablierten Parteien versammeln.