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„Halb Judenbalg und halb ein Goj“ – Zu den Erinnerungen von Wolf Biermann

Gastautor: Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i.R. für Geschichte an der Universität Innsbruck

Der 85-jährige Wolf Biermann wird im Deutschland der Gegenwart von seinen Eliten und ihren Medien als Messias angeboten. Dazu braucht es einen starken Glauben, den Deutsche bekanntlich für falsche Messiasse immer wieder aufzubringen imstande waren und sind. Mit seinem von den Nürnberger Gesetzen vorgegebenen Abstammungsnachweis bis hin zur „Judennase“ eröffnet Biermann, dessen Vater als kommunistischer Jude in Auschwitz von den Deutschen ermordet worden ist, seine Erinnerungen (Warte nicht auf bessre Zeiten. Die Autobiographie. Ullstein Taschenbuch, 2017, 546 S.).

1953 ist der mit seinen Testosteronschüben wiederholt prahlende Biermann von Hamburg in die DDR übersiedelt. Dort profilierte er sich in den 1960er Jahren als sehr begabter „Liedermacher“, wobei ihm der zunehmende, von Tantiemen begleitete Applaus aus dem Westen den Eindruck vermittelte, er sei auf dem richtigen Weg. Er konnte „seinem Affen Zucker geben“, wie Biermann verächtlich ein DDR-Publikum heruntermachte. Die DDR sah das mit Biermanns Zugaben anders, im November 1976 bürgerte sie ihn aus. Dieser wusste, was von ihm fortan in der Bundesrepublik auf Abruf ohne Wenn und Aber erwartet wurde. Nur kein deutscher Pazifismus! Längst vergessen waren die in der DDR kolportierten Ratschläge der Propheten Jesaja und Micha, es seien die Schwerter zu Pflugscharen umzugestalten, jetzt galt der Tempelprophet Joel, dass man Pflugscharen zu Schwertern und Sicheln zu Spießen umzuschmieden habe. Und weil Biermann sich auch als Sänger des israelischen Staates versteht, begrüßt er dessen mörderisches Vorgehen gegen das besetzte Gaza, das nach Einschätzung von Noam Chomsky das größte Freiluftgefängnis der Welt ist. Chomsky bezeichnet es als Norm, dass Israel von 2000 bis 2014 mehr als zwei palästinensische Kinder pro Woche tötet. Das Auschwitz der Gegenwart will Biermann nicht zur Kenntnis nehmen.

Die DDR wollte ihrer Jugend insgesamt eine an der Befreiung des Menschen orientierte Kultur vermitteln. „Liedermacher“ konnten und sollten dabei mithelfen, vom Kopf in die Herzen zu dringen. Der tapfere US-amerikanische Liedermacher Paul Robeson (1898–1976) wurde deshalb in der DDR als Vorkämpfer für die Befreiung aller unterdrückten Völker seit den 1950er Jahren in vielfältiger Weise bekannt gemacht. Noch 1988 wurde in der DDR ein Aktionstag für Robeson, der bis zu seinem Tode korrespondierendes Mitglied der Akademie der Künste der DDR war, mit Talentwettbewerb und einem Konzert abgehalten. Der Name von Paul Robeson kommt in den Erinnerungen von Biermann nicht vor, schon deshalb, weil Biermann eine Alternative zu seinen balladesken ideologischen Kultgesängen verschweigen will. Auch der chilenische Songschreiber und Musiker Víctor Jara (1932–1973), der am 11. September 1973 von der von den USA instruierten Soldateska des Augusto Pinochet an der Wand eines Kasernenhofes erschossen wurde, wird in Biermanns Erinnerungen nicht genannt. An seinen eigenen Nachruf denkend hat er Jahre später Jaras letzten Text vor seiner Ermordung im Stadion in seine Sammlung „Fliegen mit fremden Federn: Nachdichtungen und Adaptionen“ (2011) aufgenommen. In der DDR wurde mit sehr viel Empathie und Engagement das Wissen über Víctor Jara und seinen Einsatz für den weltweiten Befreiungskampf der Armen gegen den Reichtum verbreitet. Die Witwe von Víctor Jara, Joan Jara, nahm 1977 an der Eröffnung einer nach ihm benannten Schule in der DDR teil, eine Songgruppe des Volkstheaters Rostock studierte seine zum Kampf aufrufende Lieder ein. Das von der BRD gut honorierte Historikernetzwerk zur Aufarbeitung der „DDR-Diktatur“ könnte gelegentlich eine Aufstellung solcher der BRD fremde Kulturaktivitäten in der DDR ins Netz stellen. Es ist eine nützliche Mär, dass Biermann in seinen Erinnerungen nur Personen erwähnt habe, die ihm persönlich begegnet sind. Das trifft nicht zu, schließlich renommiert er auch mit Kenntnis von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dem er gewiss weder persönlich noch inhaltlich je begegnet ist. 

Im November 1976 hat Biermann in Köln großen Zulauf gehabt. Die Medien vom „Der Spiegel“ aufwärts bis hin zur „Bild“-Zeitung mobilisierten ihrer Funktion zur Manipulation der Menschen angemessen. Das von Karl Marx verallgemeinerte, unter kapitalistischen Verhältnisse wirkende Gesetz von der Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol und der Akkumulation von Unwissenheit und moralischer Degradation auf dem Gegenpol kann immer wieder konkretisiert werden. Mitte der 1970er Jahre fand in der wohlhabenden Metropole Köln nicht nur Biermann beim geistig verelendeten Kleinbürgertum applaudierte Aufnahme. Der aus Indien kommende Bhagwan „erleuchtete“ damals wie Biermann breite, auch mit Marx-Zitaten jonglierende und nach dem Sinn ihres Daseins suchende intellektuelle Schichten, die sich Sannyasins nannten. Sannyasins und Biermannklatscher leben nur in scheinbaren Parallelwelten, gemeinsam ist beiden die Frontstellung zu DDR und die Flucht vor der konkreten Entscheidung, wie mit der gigantischen Aufrüstung und den Kriegsvorbereitungen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Interventionsbündnisses NATO umzugehen ist. Diese Entscheidung war nur für eine Seite der Barrikade möglich. Biermann hat sie für die nur an Profit und Krieg interessierten deutschen imperialistischen Kräfte vorgesungen, die Sannyasins wollten sich dieser Entscheidung nicht stellen und wählten mit dem Wegschauen das komfortable, auf die individuelle Glückseligkeit ausgerichtetes Leben, soferne sie das dazu notwendige Kleingeld hatten. 

In Wien war Biermann bekannt, hatte aber nicht dieselben Groupies wie in Köln oder in der Reichshauptstadt Berlin, dessen Ehrenbürger er verdientermaßen ist. Im Café Hawelka war er, wie der in Wien aufgewachsene Universitätsliterat Thomas Rothschild glaubwürdig erzählt, jedenfalls bekannt. „Als angepasster Trottel“, dem die Nürnberger Rassegesetze an den Hals zu wünschen seien, wurde Biedermann vom marxistischen Ausnahmekünstler Alfred Hrdlicka genannt. Biermann will die zugespitzte Ironie nicht verstehen und rückt Hrdlicka in die nationalsozialistische Weltanschauung. Dessen Restituta–Skulptur im Wiener Stephansdom, die zu den eindrucksvollsten Kunstzeugnissen im Kampf für eine bessere Welt gehört, hat Biermann nicht gekannt, wohl aber die Skulptur bei der Albertina, die ihn beeindruckt hat. Diese erinnert daran, dass in Wien Juden zum Schrubben der Gehsteige gezwungen wurden, „damals johlten und lachten die Wiener, jetzt stehn sie davor und gedenken“. „Die Wiener“ – Biermann verallgemeinert, wie es ihm beliebt. 

Biermann resümiert, „der Glaube an den Kommunismus“ sei ihm mit der Muttermilch „eingepflanzt“ worden. Von einer genetischen Übertragung „kommunistischer Weltanschauung“ wusste die Wissenschaft bisher nichts. Mit Blick auf das alles verwundert es nicht, dass die korrupte deutsche Herrschaftskirche in Biermann das „Göttliche“ entdeckt und ihn als einen ihrer Messiasse stilisiert (Herder Korrespondenz Oktober 2021). Ihre Hoffnung werden die derzeit 40 Millionen Sklaven auf der Welt oder die im Mittelmeer ertrinkenden Kinder nicht im Deutschland der Wolf Biermanns finden. 

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