Das Budget für 2022 behauptet eine Steigerung der Entwicklungshilfe auf 0,87 Prozent des BIP, womit erstmals das UNO-Ziel erreicht würde. Dies ist einerseits ein Buchhaltungstrick, andererseits unterstützt man indirekt einen Militärputsch.
Wien. Im Oktober 1970 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen, dass die reichen, hoch entwickelten Mitgliedsstaaten mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für offizielle Ausgaben zum Zwecke der Entwicklungshilfe aufwenden sollen. Ein entsprechender Budgetposten sollte im Staatshaushalt verankert sein, um Projekte in den abhängigen Ländern der „Dritten Welt“ zu unterstützen. Freilich hat diese Zielmarke bislang, nach über 50 Jahren, noch kaum jemand erreicht – die wenigen Ausnahmen bilden Dänemark, Großbritannien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen und Schweden.
Österreich ist seit einem halben Jahrhundert weit davon entfernt, diesen von der UNO geforderten Mindestbeitrag zu garantieren, und zählt sogar zu den Schlusslichtern unter den Industrieländern. Der bisherige Höchststand bei der öffentlichen, d.h. staatlichen Entwicklungshilfe (ODA) aus Wien wurde im Jahr 2005 erreicht, mit gerade einmal 0,52 Prozent des BIP. Im vergangenen Jahr belief sich der Prozentsatz auf beschämende 0,29 Prozent. Nun aber weist der neue Budgetvoranschlag der türkis-grünen Regierung für 2022 plötzlich einen ODA-Wert von erstaunlichen 0,87 Prozent aus. Das UNO-Ziel ist erreicht und übertroffen – scheinbar.
Denn wer glaubt, die ÖVP und die vermeintlich EZA-affinen Grünen hätten nun endlich Geld in die Hand genommen, um den ärmsten Ländern Investitionen in Ernährungsprogramme, Gesundheit oder Bildung zu ermöglichen, ist natürlich am falschen Dampfer. Keinen einzigen zusätzlichen Cent machen Schallenberg, Blümel, Linhart und Kogler locker. Sie erreichen den vermeintlichen Höchstwert der EZA-Ausgaben nur mittels eines erbärmlichen Budgettricks: Man hat einfach Schuldenerlässe gegenüber abhängigen Ländern in die ODA-Summe hineingerechnet. Konkret geht es um den Sudan, dem die österreichische Bundesregierung im kommenden Jahr zwei Drittel seiner Schulden nachsehen wird – dies sind rund 1,7 Milliarden Euro. Gewiss großzügig, aber definitiv keine Form der Entwicklungszusammenarbeit. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Regierung schummelt wieder mal, um die UNO-Ziele zu erreichen und gut dazustehen.
Tatsächlich ergibt sich für 2022 sogar eine Reduzierung der ODA-Ausgaben: Budgetiert sind knapp 3,8 Milliarden, wovon aber nur 2,1 übrigbleiben, wenn man die sudanesische Schuldenreduzierung abzieht. Stellt man dies in Relation zu 2021, so ergibt sich somit sogar ein Minus von 400 Millionen. Kurz gesagt: Die Regierung kürzt in Wahrheit die Budgetmittel für Entwicklungshilfe, behauptet aber das Gegenteil. Und 2023 sinkt der Prozentsatz dann natürlich wieder auf „normale“ 0,26 Prozent.
Dass man zudem ausgerechnet jetzt dem Sudan Schulden erlassen möchte, ist an außenpolitischer Ignoranz und diplomatischer Idiotie kaum zu übertreffen: Vielleicht hat man es im Wiener Außenministerium ja nicht mitbekommen, aber gerade erst kam es in Khartum zu einem blutigen Militärputsch – es ist eine brutale Armeejunta, die die Zivilregierung gestürzt und dutzende Menschen ermordet hat, die hier von der österreichischen Regierung in finanzieller Hinsicht überaus kulant behandelt wird.
Es ist wirklich schwer zu sagen, was bei ÖVP und Grünen momentan am empörendsten ist: Frechheit, Ahnungslosigkeit, Dummheit oder Rücksichtslosigkeit?
Quelle: Der Standard