Im Sog der allgemeinen Frontstellung gegen Russland fühlt sich auch Japan zu neuen Expansionen ermutigt: 1945 verlorene Gebiete sollen endlich zurückgewonnen und die Grenzen verschoben werden.
Tokio. Im Schatten der militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine missbraucht die japanische Regierung die Situation, um ihre eigene annexionistische Agenda zu forcieren: Außenminister Yoshimasa Hayashi bekräftigte neuerlich die Gebietsansprüche Japans gegenüber der Russischen Föderation in deren Oblast Sachalin. Konkret geht es um die südlichsten Inseln der Kurilen, die einen Kettenarchipel zwischen Kamtschatka und Hokkaido bilden. Die Inseln Iturup, Kunaschir und Schikotan sowie die Chabomai-Gruppe gehören seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zur UdSSR bzw. nun zu Russland. Die Regierung in Tokio ist jedoch weiterhin der Ansicht, dass dieses Gebiet als „fester Bestandteil Japans“ anzusehen sei, wie vor wenigen Tagen schon Premierminister Fumio Kishida sagte. Dementsprechend bezeichnet Japan die umstrittenen Inseln auch als eigene Verwaltungseinheit mit dem Namen „Nördliche Territorien“, obwohl sie außerhalb des Staatsbereiches liegen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Japan, nach Deutschland imperialistischer Hauptaggressor und Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges, möchte also die Ergebnisse des Krieges und der eigenen Niederlage revidiert wissen. Dass man allerdings auf den Konferenzen der Anti-Hitler-Koalition aus guten Gründen neue Grenzen – freilich zu Ungunsten Deutschlands und Japans – vereinbart hat, gehört offenbar nicht zum japanischen Geschichtsbewusstsein. Die „liberaldemokratische“ Regierung vertritt damit nicht nur einen gewissen Revanchismus, sondern stellt auch die Jahrzehnte alte Friedensordnung in Ostasien in Frage. Möchte man einen Vergleich zu Europa ziehen, so sind die japanischen Forderungen in etwa derart, als würde Deutschland die Oder-Neiße-Grenze nicht mehr anerkennen oder Kaliningrad oder das frühere Sudentenland „zurückfordern“. Darüber würde man ungläubig den Kopf schütteln, aber heutzutage ist ja offenbar fast alles möglich.
Beim Kurilenkonflikt spielt es übrigens keine Rolle, dass sich Japan auf Grenzverträge mit dem zaristischen Russland aus dem 19. Jahrhundert beruft – diese sind durch die eigenen Untaten längst obsolet. Darüber hinaus ist es eine Tatsache, dass die Kurilen – auch die südlichen – heute ausschließlich von Russen bewohnt werden. Die ursprüngliche indigene Bevölkerung der Ainu haben die Japaner schon vor Jahrhunderten faktisch ausgerottet, die japanischen Militärstützpunkte mussten 1945 geräumt werden. Das damalige Vorrücken der Roten Armee der UdSSR gegen Japan war eine wichtige Facette des alliierten Sieges im Pazifikkrieg, das auch von den USA und Großbritannien unterstützt wurde. Als heutiger Verbündeter des US-Imperialismus traut man sich in Tokio jedoch wieder vermehrt aus der „pazifistischen“ Deckung und träumt offenbar von neuen Expansionen – zunächst zulasten Russlands, aber auch gegenüber China, Korea oder sonstigen ehemals japanisch besetzten Gebieten lassen sich freilich Wünsche herbeiphantasieren: Bei der Neuaufteilung der Welt soll der japanische Imperialismus wieder ein größeres Stück erhalten.
Quelle: ORF