Nach der Stichwahl in Frankreich steht die Neue Volksfront plötzlich mit einer relativen Mehrheit da und kann berechtigt die Regierungsverantwortung einfordern. Zu erwarten sind Opportunismus und – bestenfalls – eine Prise Reformismus.
Paris. Die zweite Runde der vorgezogenen französischen Parlamentswahlen haben en orignelles Ergebins erbracht. Nachdem aufgrund des ersten Durchgangs eine Mehrheit für den rechtsextremen Rassemblement National von Marine Le Pen drohte, fanden Emanuel Macrons Liste “Ensemble” und die linke “Neue Volksfront” (NFP) einen Kompromiss: Um eben dies zu verhindern, zog man jeweils wenig aussichtsreiche Kandidaturen zurück und empfahl den entsprechenden liberalen bzw. linken Kandidaten, damit sich dieser in seinem Wahlkreis gegen den RN durchsetzen würde.
Eine solche “republikanische Front” gegen den Rechtsextremismus ist in unterschiedlicher Form seit jeher Macrons Lebensversicherung – und auch diesmal ging der Plan grundsätzlich auf, denn der RN kam auf “nur” 143 der 577 Mandate in der Nationalversammlung, was trotz beachtlicher Zugewinne lediglich den dritten Platz bedeutet. Allerdings hat sich Präsident Macron insofern verkalkuliert, als dass die NFP auf Platz 1 landete (182 Sitze) und “Ensemble” mit massiven Verlusten bloß auf Rang 2 (168). An vierter Stelle folgen die gaullistischen “Republikaner” (45). Das bedeutet: Niemand hat eine Mehrheit, doch die NFP fordert als Wahlsiegerin für sich mit Recht das Amt des Premierministers.
Für Macron wird dies so oder so unangenehm, denn er muss sich als Präsident auf eine Kohabitation mit einer neuen Regierung einstellen, die seine Macht reduzieren wird. Dies kann nun allerdings im unterschiedlichen Ausmaß geschehen. Allenfalls müsste “Ensemble” eine NFP-Regierung stützen, d.h. dulden, damit sie nicht abgewählt wird (eine tatsächliche Koalition zwischen den beiden Fraktionen ist eher unwahrscheinlich). Dieses Druckmittel hat Macron in der Hand, jedoch um den Preis etwaiger Neuwahlen, die schlechter ausgehen dürften als die jüngste Stichwahl.
Gleichzeitig ist man sich innerhalb der NFP nicht einig: Jean-Luc Mélenchon würde natürlich gerne Premierminister werden, was seine eigene Linkspartei FI sowie die kommunistische Partei PCF unterstützen. Doch die Sozialdemokraten (PS) und die Grünen (“Ökologisten”) möchten dies verhindern, denn Mélenchon war ihnen zwar als Stimmenbringer im Wahlbündnis willkommen, aber als Premier ist er ihnen zu unberechenbar. Und da trifft man sich mit Macron, der FI und PCF ohnedies – in Wirklichkeit völlig unbegründet – für zu radikal hält. Eine diesbezügliche Spaltung der NFP läge in Macrons Interesse, sonfern sich dann mit Ensemble noch eine Regierungsmehrheit ausginge.
Sollte es nicht dazu kommen und im Einvernehmen mit Mélenchon ein Sozialdemokrat oder eine Grüne für den Regierungschefposten nominiert werden, so hätten wir eine andere Situation. Auch dann stellt sich aber die Frage nach der Rolle Mélenchons, denn dieser sieht die NFP-Regierung trotz seiner 72 Jahre nur als Übergangsetappe zu seiner Präsidentschaftskandidatur 2027, wo er der logischer Gegner Le Pens wäre. Auch das wäre Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen nicht unbedingt das liebste Szenario.
Man darf also gespannt sein, welche Gespräche und Mauscheleien zu früheren Ergebnissen führen. Einer Tatsache sollte man sich aber bewusst sein: Es sind, neben der Pensionsreform, politisch nur Nuancen, um die es hierbei geht. Denn man sucht eine opportunistische Regierung, die mit Präsident Macron zusammenarbeiten wird – diese Funktion können PS und Grüne ebenso erfüllen wie Mélenchon, denn auch er ist kein Vertreter der Arbeiterklasse und des revolutionären Sozialismus, sondern ein ganz banaler “linker” Sozialdemokrat, wie sie schon so oft entzaubert wurden.
Quelle: ORF