Eine aktuelle Recherche von Declassified UK hat neue Details über die Verbindungen der britischen Regierung zum chilenischen Diktator Augusto Pinochet ans Licht gebracht. Besonders brisant: Bereits in den 1980er-Jahren hatte die damalige Premierministerin Margaret Thatcher dem Despoten medizinische Unterstützung in Großbritannien zugesagt. Diese Abmachung spielte offenbar eine zentrale Rolle, als Pinochet 2000 von der britischen Regierung aus gesundheitlichen Gründen nach Chile zurückgeschickt wurde – nur wenige Tage nach einem umstrittenen ärztlichen Gutachten, das ihn als verhandlungsunfähig erklärte.
Pinochet hatte zuvor 16 Monate unter Hausarrest in Großbritannien verbracht, nachdem Spanien seine Auslieferung wegen Menschenrechtsverbrechen beantragt hatte. Während seiner Herrschaft (1973–1988) waren chilenische Sicherheitskräfte für über 3.000 Morde oder Verschleppungen sowie zehntausende Fälle von Folter und politischer Verfolgung verantwortlich.
Die jetzt freigegebenen Dokumente zeigen, dass hochrangige britische Regierungsbeamte – bis hin zu Premierminister Tony Blair – hinter den Kulissen an einer Lösung arbeiteten, die eine Auslieferung Pinochets verhindern sollte. Ein Memo von Blairs Privatsekretär John Holmes offenbarte bereits 1998: „Es wäre peinlich, wenn das alles bekannt würde.“
Großbritannien unterstützte Chiles Militär schon 1973
Zusätzlich zu den neuen Enthüllungen deckt eine bereits 2023 veröffentlichte Declassified UK-Recherche auf, dass britische Regierungsstellen bereits nach dem Putsch 1973 enge Beziehungen zur chilenischen Militärregierung unterhielten. Das britische Information Research Department (IRD), eine geheime Propagandaabteilung des Außenministeriums, versorgte Chiles Militärgeheimdienst mit Informationen und Ratschlägen zu „Gegenaufstandsstrategien“ – basierend auf britischen Kolonialkriegen in Südostasien.
Besonders brisant: Britische Diplomaten und Militärs trafen sich mit chilenischen Verantwortlichen, um Erfahrungen aus der Niederschlagung des malaiischen Unabhängigkeitskampfes in den 1950er Jahren zu teilen. Dazu gehörten Berichte über „Herz-und-Verstand“-Strategien, die offiziell auf Bevölkerungskontrolle abzielten, tatsächlich aber massive Repression bedeuteten. Geheimdokumente zeigen, dass das Material explizit ohne Herkunftsangabe an die Pinochet-Regierung weitergegeben wurde, um eine direkte Verbindung zu Großbritannien zu verschleiern.
Putsch gegen Volksfront Regierung
Am 4. September 1970 gewann Salvador Allende als Kandidat der „Unidad Popular“ die chilenische Präsidentschaftswahl. Die von Salvador Allende angeführte Regierung verfolgte einen antiimperialistischen und antioligarchischen Kurs mit der Zielsetzung eines Hinüberwachsens vom Kapitalismus in den Sozialismus. Von Anfang war diese neue Regierungen den Angriffen durch die etablierte Oligarchie und das ausländische Kapital konfrontiert. Bei der Parlamentswahl im März 1973 konnte die „Unidad Popular“ ihre relative Mehrheit im chilenischen Parlament weiter ausbauen und erreichte 43,9 Prozent.
Bereits 1970 hatte die Volksfront-Regierung begonnen, den Kohlebergbau und die Textilindustrie zu verstaatlichen, 1971 folgten der Kupferbergbau und die Banken. Das Programm der Regierung sah außerdem eine tiefgehende Landreform auf Kosten des oligarchischen Großgrundbesitzes vor. Die Interessen des in- und ausländischen Kapitals waren also massiv beeinträchtigt durch das Regierungsprogramm. Ab 1971 leiteten imperialistische Staaten einen umfassenden Wirtschaftskrieg gegen Chile ein. Einen ersten Militärputsch im Juni 1973 konnte die Regierung Allendes noch niederschlagen. In der Folge kam Augusto Pinochet als vermeintlich regierungstreuer General an die Spitze des chilenischen Militärs. Am 11. September 1973 putschte Pinochet mit ausländischer Unterstützung schließlich erfolgreich gegen die Regierung der „Unidad Popular“, um eine Volksabstimmung über den Verbleib Allendes an der Spitze des Staates zu verhindern.
Politischer Druck für Pinochets Freilassung
Als Pinochet 1998 in London verhaftet wurde, setzten nicht nur die chilenische Regierung, sondern auch prominente britische Politiker und Institutionen alles daran, seine Freilassung zu erwirken. Ex-Premierministerin Margaret Thatcher schrieb an Tony Blair: „Die richtige Entscheidung ist es, ihn sofort nach Hause zu schicken.“ Auch der Vatikan plädierte für „humanitäre“ Rücksichtnahme.
Chiles Außenminister José Miguel Insulza machte 1998 in der Downing Street klar, dass eine Auslieferung Pinochets die britisch-chilenischen Beziehungen erheblich belasten würde. Der britische Justizminister Charles Falconer betonte in einem internen Memo, dass eine baldige Rückkehr Pinochets „einfacher wäre als nach einem langen Gerichtsprozess, in dem die Gräueltaten detailliert behandelt würden“.
Letztlich gab Innenminister Jack Straw dem Druck nach und erklärte Pinochet für verhandlungsunfähig. Am 2. März 2000 verließ der Ex-Diktator britischen Boden – nur um bei seiner Ankunft in Santiago „überraschend“ gesund zu erscheinen.
Verflechtungen und Vertuschungen
Die neuen Declassified UK-Recherchen belegen, dass Großbritannien nicht nur während der Pinochet-Diktatur eng mit der Junta kooperierte, sondern auch später politisch aktiv wurde, um seinen früheren Verbündeten zu schützen. Die Unterstützung für das Pinochet-Regime ging weit über wirtschaftliche Interessen hinaus – sie war Teil einer geheimen, langfristigen geopolitischen Strategie.
Die Enthüllungen werfen ein neues Licht auf die Rolle der britischen Regierung in Lateinamerika und die langfristigen Konsequenzen solcher verdeckten Allianzen. Während Chile in den letzten Jahren zahlreiche Verfahren gegen frühere Militärs eingeleitet hat, bleibt Großbritanniens Rolle in der Diktaturzeit bislang juristisch und politisch weitgehend unbehandelt.
Quelle. Declassified UK/Declassified UK/ZdA/ZdA