In der Steiermark ist am Donnerstag eine 61-jährige Frau tot aufgefunden worden, nachdem sie nicht zur Arbeit erschienen war. Kolleginnen und Kollegen schlugen Alarm, die Polizei fand die Frau leblos und nahm ihren Partner am Tatort fest. Der Einzelfall ist keiner: Er reiht sich in eine erschütternde Statistik ein, die besonders ältere Frauen betrifft – und ein System offenlegt, das Gewalt normalisiert, ökonomische Abhängigkeiten konserviert und Hilfsangebote genau dort versagen lässt, wo sie am dringendsten gebraucht würden.
Michaela Gosch, Geschäftsführerin der Frauenhäuser Steiermark, benennt das, was Behörden und Politik zu oft umschreiben: „30 Prozent der Frauenmorde in Österreich betreffen die Altersgruppe ab 55 und höher. Und das ist natürlich schon eine große Zielgruppe, die wir nicht wirklich gut erreichen mit unseren Angeboten.“ Wer mit offenen Augen hinsieht, erkennt die Mechanik dahinter. Jahrzehntelang eingeübte Rollenteilungen, geringere eigene Einkommen, niedrigere Pensionen, Care-Arbeit ohne Lohn und Anerkennung – all das bindet viele Frauen im höheren Alter enger an Partner und Wohnumfeld und macht einen Ausstieg aus gewalttätigen Beziehungen riskant, teuer und sozial schwierig. Wenn Beratungsstellen dann noch unterfinanziert sind, die Wege lang, die Wartezeiten real und die Scham groß, bleiben Türen geschlossen, bis es zu spät ist.
„Immerhin schlägt er sie nicht.“ Mit diesem Satz, den Gosch zitiert, wird alles unterhalb sichtbarer Hämatome zur „Aushaltbarkeit“ erklärt – Kontrolle, Eifersucht, Überwachung, ökonomische Entmündigung und Drohkulissen eingeschlossen. Dass es Frauenmorde gibt, „ohne dass es vorher auch nur einen einzigen körperlichen Übergriff gegeben hat“, ist strukturelle Realität. Gewalt beginnt lange vor dem ersten Schlag: „Überall dort, wo Kontrolle übermächtig ist, wo Eifersucht übermächtig ist, wo Angst in der Beziehung erzeugt wird“, so Gosch, zeige sich die Dynamik; „Angst hat in einer Beziehung nichts verloren.“
Auch jüngere Frauen nehmen Hilfe oft zu spät an, weil niemand sich als „Opfer“ sehen will, weil Autonomieerzählungen und digitale Informiertheit Stärke simulieren, wo reale Schutznetze fehlen. Gosch erinnert daran, dass Gewalt nicht nur körperliche Gewalt ist und dass es kostenlose, vertrauliche Beratungsangebote gibt – Wissen, das „künftig noch verstärkter vermittelt“ werden müsse. Genau hier liegt der politische Skandal: Wenn staatliche Stellen diese Aufklärung an zivilgesellschaftliche Trägerinnen delegieren, aber deren Budgets kürzen, wenn Polizei und Justiz Verfahren verschleppen und Wegweisungen ohne konsequente Kontrolle bleiben, wenn Wohn- und Einkommensarmut älterer Frauen als „Privatsache“ gilt, dann ist das keine Naturkatastrophe, sondern Klassen- und Geschlechterpolitik.
Ein Frauenmord ist keine „Tragödie“, keine „Familiensache“ und kein „Töten aus Liebe“, sondern Ausdruck einer Produktions- und Reproduktionsordnung, die männliche Verfügungsgewalt materiell und symbolisch absichert. Wer Löhne drückt, prekäre Teilzeit normalisiert, Pensionen klein hält und Care-Arbeit privatisiert, erhöht das Erpressungspotenzial im Privaten. Wer Beratungsstellen nach Projektlogik finanziert und Täterarbeit zur Kür erklärt, vergrößert die Lücke zwischen Gefahr und Hilfe. Und wer Gewalt erst dann ernst nimmt, wenn Blut fließt, sorgt dafür, dass Kontrolle, Demütigung und Angst als Alltag durchrutschen. Die Folge sind klar: Jüngere Frauen schämen sich, ältere Frauen schweigen, und beide Gruppen stoßen auf Strukturen, die ihre Abhängigkeit festigen.
Die Fakten dieses Falls – eine 61-Jährige, deren Kolleginnen und Kollegen ihr Leben retten wollten und nur noch die Polizei rufen konnten; ein Partner, der als tatverdächtig festgenommen wurde; Beratungsangebote, die besonders Frauen über 50 nicht ausreichend erreichen – sind nicht bloß tragisch, sie sind politisch. Wer ernsthaft verhindern will, dass Frauenmorde Schlagzeilen bleiben, muss Gewalt als Kontinuum begreifen, frühe Warnsignale wie Kontrolle und Angst gesellschaftlich sanktionieren, kostenlose und niederschwellige Hilfe massiv ausbauen, existenzsichernde Einkommen und Wohnzugang garantieren und Täterarbeit verpflichtend und überprüfbar machen. Solange jedoch die Lasten der Reproduktion von Leben den Frauen und die Kosten der Prävention der Zivilgesellschaft aufgebürdet werden, wird der Staat weiter zählen, was das patriarchale Strukturen zerstören – und Frauen zahlen am Ende den Preis, mit ihrem Einkommen, ihrer Gesundheit und in zu vielen Fällen mit ihrem Leben.
Quelle: ORF