In Österreich ist laut Volkshilfe rund jede sechste Person armutsgefährdet – in Wien sogar jede fünfte. Besonders betroffen sind Alleinerziehende, Kinder und Menschen mit niedrigem Einkommen. NGOs warnen vor steigender Wohnungslosigkeit und Energiearmut und fordern entschlossene Maßnahmen wie Kindergrundsicherung, leistbares Wohnen und stärkere soziale Sicherheitssysteme.
Wien. In Österreich leben laut der Volkshilfe rund 1,5 Millionen Menschen in Armutsgefährdung – das entspricht 17 Prozent der Bevölkerung. Besonders betroffen ist die Bundeshauptstadt Wien, wo etwa jede fünfte Person als armutsgefährdet gilt. Die aktuellsten Daten stammen aus dem Jahr 2023 und zeigen: Am höchsten ist das Risiko bei Menschen mit AMS-Einkommen.
Unter den am stärksten gefährdeten Gruppen finden sich Alleinerziehende, nicht-österreichische Wienerinnen und Wiener sowie junge Erwachsene und Minderjährige. Im Jahr 2024 bezogen fast 150.000 Wienerinnen und Wiener Mindestsicherung, über die Hälfte davon ohne österreichische Staatsbürgerschaft.
Soziale Sicherung als Schlüssel
NGOs betonen, dass stabile soziale Sicherheitssysteme entscheidend sind, um Armut zu verhindern. Martin Schenk von der Armutskonferenz erklärte:
„Staaten, die ihre präventiven Instrumente in Gesundheit, Bildung, Sozialversicherungssysteme und Wohnbau erfolgreich ausrichten, haben die geringste Armut.“
Trotz politischer Zielsetzungen steige insbesondere bei Alleinerziehenden das Armutsrisiko seit Jahrzehnten überdurchschnittlich stark, so Doris Pettighofer, Geschäftsführerin der Plattform für Alleinerziehende. Sie forderte gezielte solidarische Maßnahmen wie den Erhalt und Ausbau der Familienbeihilfe sowie eine Familienrechtsreform, die Sozialleistungen leichter zugänglich macht. Derzeit erhalte ein Drittel der Kinder von Alleinerziehenden keine Unterhaltszahlungen.
Kinder besonders betroffen
Auch Kinderarmut bleibt ein drängendes Problem. Laut Hanna Lichtenberger von der Österreichischen Volkshilfe sind 21 Prozent der Kinder in Österreich armutsgefährdet. Die Folgen seien gravierend: geringere Bildungschancen, häufigere Krankheiten und ein erhöhtes Risiko, auch als Erwachsene arm zu sein.
„Wir machen es Kindern sehr schwierig, sich aus Armut zu befreien“, so Lichtenberger.
Sie bezifferte die jährlichen Kosten der Kinderarmut auf 18 Milliarden Euro und forderte eine Kindergrundsicherung, Ganztagsschulen mit Mittagessen sowie ein verbessertes Gesundheitssystem, vor allem für chronisch kranke Kinder.
Wohnungslosigkeit und Energiearmut nehmen zu
Zunehmend betroffen sind auch junge Menschen ohne festen Wohnsitz. Laut Alexander Machatschke, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, sei die Zahl der Delogierungen 2024 um 13 Prozent gestiegen. Derzeit seien österreichweit rund 20.500 Menschen obdachlos.
„Leistbares Wohnen ist die zentrale Forderung“, betonte Machatschke, und sprach sich zusätzlich für Präventivmaßnahmen gegen Delogierungen und unbefristete Mietverträge aus.
Neben leistbarem Wohnraum verlangen die Wohnungslosenhilfe und die Caritas auch günstige Energietarife für Menschen mit geringem Einkommen. Caritas-Generalsekretärin Anna Parr warnte vor einem harten Winter: „Energiearmut ist Realität.“
Rund 358.000 Menschen in Österreich könnten ihre Wohnung nicht ausreichend heizen. Parr begrüßte deshalb den geplanten Energiesozialtarif zur raschen Entlastung einkommensschwacher Haushalte.
Prävention und soziale Verantwortung
Wie wichtig Prävention sei, betonte auch Marlene Korsin, Leiterin der Telefonseelsorge. Viele Anruferinnen und Anrufer befänden sich in einer akuten Krise: „Das ist gelebte Prävention. Denn wer sich gehört und ernst genommen fühlt, der schöpft oft neue Kraft.“
Korsin warnte davor, an niederschwelligen Angeboten wie der Telefonseelsorge zu sparen. Zum Abschluss appellierte Christine Sallinger von der Armutskonferenz, die selbst Armutserfahrung hat, an die politische Verantwortung: „Es liegt in der Verantwortung der Gesetzgeber, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass niemand zurückgelassen wird und in Armut abstürzt.“
Die Zahlen und Stimmen zeigen deutlich: Armut in Österreich ist kein Randphänomen, sondern ein Symptom eines Systems, das nur auf Profitmaximierung fußt und sich nicht um die Konsequenzen schert.
Quelle: ORF