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Ist die Wiener Peterskirche eine Kirche von katholischen Christen oder ein Tempel von Pharisäern?

Gastautor: Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i.R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.

Finanzier der barocken Peterskirche im ersten Wiener Bezirk war Kaiser Leopold I. (1640–1705), der 1670 die Juden aus Wien vertreiben hat lassen. Im Eingangsbereich dieser Kirche wird an drei Persönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts mit großer Intensität erinnert. Mit Gebetszetteln in vielen Weltsprachen wird auf der einen Seite für die Heiligsprechung des in Wehrmachtsuniform abgebildeten habsburgischen Kriegskaisers Karl (1887–1922) geworben. Gegenüber ist der mit bebilderten Gebetszetteln, Folders und Broschüren reichlich bestückte Schaukasten von Opus Dei, das eine Gründung (1928) des 2002 vom polnischen Papst Johannes Paul II. (1920–2005) im Eilverfahren „heilig“ gesprochenen spanischen Priesters Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás (1902–1975) ist und von dem sich ein gemaltes Porträt als Vorsatzbild (!) eines Altars in der Seitenkapelle der „Hl. Familie“ (Jesus von Nazaret mit seiner Mutter Maria und dem Ziehvater Josef) befindet. Noch nicht soweit wie Escrivá gelangt ist dessen Nachfolger Alvaro del Portillo (1914–1994) aus Spanien, für den ebenso Gebetszettel und Informationsblätter speziell für seine anstehende Heiligsprechung aufliegen. Menschen aus vielen Ländern berichten in solchen über aktuelle „Gebetserhörungen“. Was ist eine solche Gebetserhörung? Ein Italiener schreibt, wie sein Schrankschlüssel geklemmt habe. Dann habe er „inständig das Gebet zum privaten Gebrauch zu Don Alvaro“ gerichtet, er möge das Problem lösen. Hernach habe sich der Schlüssel widerstandslos drehen und der Schrank sich öffnen lassen. Die intellektuelle Interpretation, dass es sich um eine Metapher handeln könnte, kann wegen des Kontextes ausgeschlossen werden. Vielmehr sollen solche „Gebetserhörungen“ den Lesern vermitteln, dass Priester von Opus Dei noch im Jenseits sich um die vielfältigen Banalitäten des Alltags in dieser Welt kümmern können. Der Sinn dessen, was die Kirche und ihre Vertreter sagen oder tun, hängt allerdings in der Realität der Welt immer noch mit ihrer Klassenposition in der Dialektik von Reich und Arm zusammen. Diese ist von Opus Dei eindeutig auf der Seite der Reichen. 

Der als offen geltende Kardinal Franz König (1905–2004) hat während des II. Vatikanischen Konzils (1962–1965) in Rom Escrivá näher kennengelernt und war von dessen „faszinierenden“ Persönlichkeit beeindruckt. Im Gefolge dieser Begegnung hat Kardinal König als Wiener Diözesanbischof die Peterskirche zuerst als Pfarrkirche (1970), dann als Rektoratskirche (1976) unter die Obhut von Opus Dei gestellt. Johannes Paul II. hat Opus Dei als Personalprälatur aus Laien und Priestern (1982) angehoben, was Selbstständigkeit und vom Episkopat in den nationalen Diözesen unabhängiges Agieren ermöglicht. 1983 unterstützte Kardinal König die Errichtung des Opus Dei – „Zentrums Petersplatz“ als Bildungseinrichtung für Berufstätige, das eine direkte Konkurrenz zur Katholischen Sozialakademie ist. Im Gegensatz zum „Zentrum Petersplatz“ wird die Katholische Sozialakademie von Österreichs Kirche zur Disposition gestellt. Im Juni 1985 schreibt Kardinal König einen Jubelartikel für das Opus Dei, dieses Werk sei „eine Bereicherung für die gesamte Kirche“.

Opus Dei und die Reaktion

Escrivá ist im spanischen Befreiungskampf (1936–1939) an die Seite der mörderischen Faschistentruppen des Putschistengenerals Francisco Franco (1892–1975) getreten, mit dem er sich mehrfach getroffen hat. George Bernanos (1888–1948) beschreibt in seinem erstmals 1938 publizierten Buch „Les Grands Cimetières sous la Lune“ diese Mordexzesse und es ist gewiss kein Zufall, dass der seit 2013 als Papst Franziskus (*1936) amtierenden lateinamerikanischen Jesuitenpater Jorge Mario Bergoglio diesen katholischen Schriftsteller in seinem ersten Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium (2013) zitierte. Unter dem deutschen Papst Benedikt XVI. wurden hunderte spanische Putschistenpriester, die umgekommen sind, „selig“ gesprochen (2007). Escrivá tolerierte 1973 nicht nur den von den USA gelenkten Militärputsch von Augusto Pinochet (1915–2006) gegen den gewählten chilenischen Präsidenten Salvador Allende (1908–1973), er gab den mörderischen Verbrechen dieses Regimes ebenso die Absolution wie jenen der lateinamerikanischen Militärdiktaturen. Opus Dei-Priester feierten das Abendmahl lieber mit den Verrätern des Christentums, während zur selben Zeit Christen unter der Folter der diktatorischen Regime ihr Leben verloren. Es ist für religionsferne Besucher der Kirche eine Verhöhnung der „Heiligen Familie“, das von Michael Fuchs (*1952) gemalte Porträt von Escrivá vor deren Altar zu platzieren, jener Familie, die zeitlos an die herrschenden Verhältnisse so, wie sie derzeit in Moria öffentlich werden, erinnert. Es ist die „Familie der Armen“, aus welcher der historische Jesus kommt, um für die Befreiung der Entmachteten und von den Reichen Verarmten zu wirken.

Der 2018 von Papst Franziskus, der sich als Internationalist des menschlichen Miteinander so sehr von seinen beiden Vorgängern unterscheidet, ehrenvoll empfangene spanische Theologe José Maria Castillo SJ (*1929) hat 1978 den in der Wiener Peterskirche heute in der xten Auflage aufliegende, 1939 erstmals gedruckten Leitfaden von Escrivá für Opus Dei „Der Weg“ besprochen und hinter die dort angebotenen mystischen 999 Lebensmaxime geblickt. Im Ergebnis würde Opus Dei das Evangelium pervertieren, den christlichen Glauben entfremden und die Person vernichten. Castillo SJ beschreibt, wie dieses Manifest des Gründers von Opus Dei eine „schlecht getarnte Komplizenschaft mit der ›Welt‹ ist, die Jesus bekämpfte und von der auch er bekämpft wurde bis hin zum Kreuz“. Der von Papst Benedikt XVI. gerne empfangene, von Wien aus agierende Zürcher Priester Martin Rhonheimer von Opus Dei hofft, dass die Post-Corona-Welt eine andere wird als die bisherige: „kapitalistischer, unternehmerfreundlicher, innovativer … dies jedenfalls dann, wenn es Ideologen und Staatsgläubigen nicht gelingt, mit ihren moralisch wohlklingenden Umverteilungsrezepten genau das zu verhindern“. Jesus hat solche Pharisäer aus dem Tempel vertrieben.

P.S.: Manfred Matzka nennt in seinem eben erschienenen Buch über die grauen Eminenzen am Ballhausplatz Bernhard Bonelli, der bekanntlich Opus Dei Mitglied ist, als Kabinettschef von Sebastian Kurz, der „die ideologischen Grundsätze der Erzkonservativen in der Kanzler-Crew“ pflegt. 

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