Freispruch in Graz und die marxistische Kritik von Jagd, Recht und Klassenmacht. Ein Essay von Daniela Noitz, PdA-Mitglied und Autorin.
Graz. Am 18. Dezember 2025 sprach das Straflandesgericht Graz den Lenker eines Tierschutzfahrzeugs des VGT (Verein gegen Tierfabriken) frei, dem zwei Jäger Nötigung vorgeworfen hatten. Die Behauptung, Tierschützerinnen und Tierschützer hätten die Jäger mit ihrem Auto bedroht, erwies sich dank lückenloser Videoaufnahmen als frei erfunden. Das Gericht stellte fest, dass keine Bedrohung stattgefunden hatte; den beiden Jägern drohen nun selbst Anzeigen wegen Falschaussage und Verleumdung.
Der Freispruch ist mehr als ein juristischer Einzelfall. Er macht sichtbar, wie der bürgerliche Rechtsstaat als Klassenstaat funktioniert – und wo seine Repressionsversuche scheitern, wenn Aktivismus organisiert, dokumentiert und öffentlich wird.
Recht schützt Eigentum, nicht Gerechtigkeit
Karl Marx analysierte das Recht nicht als neutrale Instanz, sondern als Teil des gesellschaftlichen Überbaus, der bestehende Eigentums- und Machtverhältnisse absichert. Bereits in seinen frühen Schriften hielt er fest:
„Das Gesetz ist nichts anderes als der politische Ausdruck der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.“
Im Grazer Fall zeigt sich dieser Zusammenhang exemplarisch. Tierrechtsaktivistinnen und ‑aktivisten dokumentieren eine mutmaßlich illegale Jagd in einer Auenlandschaft – also eine Praxis, die tief in Besitz- und Zugangsverhältnisse eingeschrieben ist. Die Reaktion der Jägerschaft besteht nicht in inhaltlicher Auseinandersetzung, sondern in der Mobilisierung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht. Kritik wird kriminalisiert, nicht geprüft.
Dass eine Anklage auf Grundlage falscher Aussagen überhaupt erhoben wird, ist kein Zufall, sondern Ausdruck struktureller Parteinahme zugunsten privilegierter Interessen.
Jagd als Klassenprivileg
Marx’ bekannte Kritik an Jagd- und Holzrechten entstand im Kontext der preußischen Holzdiebstahlgesetze. Dort zeigte er, wie feudale Privilegien in bürgerliches Recht überführt wurden – und wie die Landbevölkerung kriminalisiert wurde, um Eigentum zu schützen:
„Das Holz, das der Arme sammelt, wird zum Diebstahl erklärt, weil das Gesetz nicht das Bedürfnis, sondern das Eigentum schützt.“
Auch die Jagd war für Marx keine kulturelle Tradition, sondern Ausdruck exklusiver Verfügungsmacht über Land und Leben. Seine Forderung nach einem allgemeinen Jagdrecht zielte nicht auf die Verteidigung der Jagd als Praxis, sondern auf die Aufhebung eines Klassenprivilegs. Die Verallgemeinerung war Mittel der Kritik, nicht ihr Ziel.
Der Kapitalismus hat diese Verhältnisse nicht aufgehoben, sondern transformiert. Jagd bleibt ein Privileg – heute vermittelt über Eigentum, Landzugang, Waffenbesitz und staatliche Genehmigungen. Sie ist Teil jener Ordnung, in der Natur und Leben zur Ressource werden.
Tiere als verdinglichte Natur
Im Kapital beschreibt Marx, wie die kapitalistische Produktionsweise „die springenden Quellen allen Reichtums – die Erde und den Arbeiter“ erschöpft. Tiere erscheinen in dieser Ordnung entweder als Produktionsmittel (industrielle Tierhaltung) oder als symbolisch aufgeladene Ressource (Jagd, Tradition, Trophäe). In beiden Fällen werden sie verdinglicht.
Der moderne Tierrechtsaktivismus knüpft hier an: Er kritisiert nicht bloß individuelles Verhalten, sondern die strukturelle Unterordnung nichtmenschlichen Lebens unter Eigentum und Verwertung. Damit steht er nicht im Widerspruch zum Marxismus, sondern entwickelt dessen materialistische Kritik weiter.
Marx schrieb: „Die Natur ist der unorganische Leib des Menschen.“ Eine zeitgemäße materialistische Analyse muss diesen Gedanken radikalisieren – und anerkennen, dass kapitalistische Ausbeutung nicht an der Grenze der menschlichen Arbeitskraft endet.
Repression gegen Kritik
Der Prozess in Graz folgt einem bekannten Muster. Während Anzeigen gegen illegale Jagd, Tierquälerei oder industrielle Tierhaltung häufig eingestellt werden, richtet sich die Härte des Rechtsstaates gegen jene, die diese Gewalt sichtbar machen. Der Staat verfolgt nicht strukturelle Gewalt, sondern deren Kritik.
Dass es hier zu einem Freispruch kam, ist kein Beweis staatlicher Neutralität, sondern Ergebnis von Gegenmacht: Beweisführung, Öffentlichkeit und politischer Organisierung.
Dialektische Perspektive
Eine marxistische Position kann heute nicht in der Forderung nach einem „Recht auf Jagd für alle“ bestehen. Dialektisch geht es nicht um die Verallgemeinerung einer gewaltförmigen Praxis, sondern um ihre Aufhebung. Die emanzipatorische Perspektive liegt nicht in der Demokratisierung des Tötens, sondern in der Überwindung jener Verhältnisse, in denen Töten als selbstverständlich gilt.
Der Freispruch in Graz ist ein kleiner Sieg im Klassenkampf. Er zeigt, dass die juristische Absicherung von Jagd und Tierausbeutung angreifbar ist. Doch solange Eigentum über Leben steht, bleibt jeder Erfolg prekär – und jede Kritik notwendig.
Quelle: VGT





















































































