Ein Impfstoff gegen HIV, das Virus, das die Krankheit Aids auslöst, galt lange als unerreichbar. Jahrzehntelange Forschung brachte immer wieder Enttäuschungen – zuletzt im vergangenen Jahr, als der Impfstoffkandidat des US-Pharmakonzerns Johnson & Johnson nicht die erhoffte Wirksamkeit zeigte. Doch nun gibt es berechtigte Hoffnung: Der neue Wirkstoff Lenacapavir zeigt in einer entscheidenden Phase-3-Studie („Purpose 2“) herausragende Ergebnisse.
Lenacapavir ist ein sogenannter Kapsid-Inhibitor: Der Wirkstoff stört die Funktion der kegelförmigen Proteinhülle um das HIV-Erbgut und hemmt die Vermehrung des Virus. Und das funktioniert – im Gegensatz zu den meisten antiretroviralen Wirkstoffen – in mehreren Phasen im Leben des HI-Virus.
Astrid Berner-Rodoreda vom Universitätsklinikum Heidelberg bezeichnete die neuesten Daten als „echten Durchbruch“. Wie die Studie, die kürzlich im „New England Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlicht wurde, belegt, bietet eine halbjährliche Injektion mit Lenacapavir einen effektiven Schutz vor einer HIV-Infektion.
Komfortable Alternative zur täglichen Tablette
Bisher müssen Menschen, die sich mit HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) schützen wollen, täglich Tabletten wie Truvada einnehmen. Lenacapavir hingegen wird als Depotspritze verabreicht, die nur alle sechs Monate aufgefrischt werden muss. „Dieser Rhythmus ist für viele Menschen weitaus praktischer als die tägliche Tabletteneinnahme“, erklärte Berner-Rodoreda.
Die Effizienz des neuen Medikaments sei mit herkömmlichen PrEP-Präparaten vergleichbar, so Max von Kleist von der Freien Universität Berlin. Beide bieten einen nahezu vollständigen Schutz vor HIV. Unterschiede in den Studienergebnissen seien darauf zurückzuführen, dass in der Tablettengruppe der Vorgängerstudien („Purpose 1“) die Einnahme nicht immer konsequent erfolgte.
Vorzeitige Beendigung der Studie, weltweite Zulassung und Big Business
Die Ergebnisse der „Purpose 2“-Studie waren so überzeugend, dass die Auswertung vorzeitig abgeschlossen wurde. Dies ermögliche es, allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Medikament zugänglich zu machen, teilte der Hersteller Gilead mit. Lenacapavir soll nun weltweit als HIV-Präventionsmittel zugelassen werden, wobei auch ein besonderer Fokus auf die Versorgung in ärmeren Ländern gelegt wird.
Das Mittel richtet sich speziell an Menschen mit hohem Infektionsrisiko und hemmt den Lebenszyklus des Virus in mehreren Stadien der Infektion. Expertinnen und Experten sehen in Lenacapavir eine vielversprechende Ergänzung im Kampf gegen HIV, die die Prävention revolutionieren könnte.
Aber man muss sich keine Illusionen machen, dass die Versorgung leicht wird oder dass hier rein humanitäre Logiken zum Tragen kommen. Der US-Pharmakonzern Gilead mit einem Umsatz von 27,08 Mrd. $ im Jahr 2022 lässt sich das Mittel fürstlich entlohnen. 40.000 Dollar pro Person und Jahr kostet der Impfstoff aktuell. Es gibt Berechnungen eines Forschers der Universität Liverpool, dem zufolge die Herstellungskosten des Medikaments so gering sind, dass selbst bei einer Gewinnmarge von 30 Prozent ein Jahrespreis von nur 40 Dollar gerechtfertigt wäre. Das ist ein Tausendstel des aktuellen Forderungspreises.
Wegbereiter für die Zukunft
Die Entwicklung von Lenacapavir zeigt, dass die jahrzehntelange Forschung Früchte trägt und echte Fortschritte in der Bekämpfung von HIV möglich sind. Während eine Heilung der Krankheit weiterhin das große Ziel bleibt, könnte dieser neue Impfstoff eine entscheidende Rolle dabei spielen, die Ausbreitung des Virus weltweit einzudämmen.
Quelle: Kleine Zeitung/DW