Weitgehend unbeachtet von der hiesigen Medienlandschaft bastelt die EU gerade an ihrer künftigen Militärdoktrin. Der „Strategische Kompass“ sieht die häufigere Entsendung von Kriegsschiffen in den Indischen und Pazifischen Ozean vor und beschwört das Feindbild Russland.
Brüssel. Ende März soll der „Strategische Kompass für Sicherheit und Verteidigung“ in trockenen Tüchern sein. Dieses 2020 unter Federführung des deutschen Imperialismus initiierte Papier wird nun also unter französischer Ratspräsidentschaft offiziell beschlossen. Hinter für die Öffentlichkeit gedachten Schlagwörtern wie „Autonomie in der Sicherheitspolitik“ und „Bedrohungsanalyse“ steht – wie man seit der Veröffentlichung des Entwurfs im November weiß – eine scharfe Positionierung gegen Russland und indirekt gegen China: Europäische Kriegsschiffe sollen künftig häufiger im Indischen und Pazifischen Ozean präsent sein.
„Soft Power“ ist passé
Zusätzlich zu den ohnehin beträchtlichen nationalen und NATO-Kontingenten der einzelnen Länder ist auch noch eine 5.000 Mann starke Eingreiftruppe vorgesehen, um endlich in der ersten Reihe kriegsführender Mächte mitmischen zu können. Alles in allem schreibt die EU nun auch in ihrer Militärdoktrin – nichts anderes ist der „Strategische Kompass“ – offener und eindeutiger, was ohnehin Haltung und gelebte Praxis von Berlin und Paris ist: Der Rolle in der Weltpolitik wird durch harte Machtdemonstration, durch globale Militärpräsenz und Aufrüstung festgelegt. 2016 war in der „Globalen Strategie“ der EU noch die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zur Erlangung von „soft power“, also Ansehens- und Einflussgewinn ohne militärische Bedrohung, betont worden.
Diese Zeiten sind Brüssel nun endgültig vorbei: Der demokratisch nicht legitimierte EU-Außenbeauftragte Josep Borrell (ein Sozialdemokrat) erinnert in seiner Rhetorik fast ein wenig an den deutschen Imperialismus am Vorabend des 1. Weltkrieges: „Europa kann nicht länger Zuschauer einer Weltordnung sein, die von anderen gestaltet wird.“ Soll heißen: Weil „die anderen“ militärisch expandieren, müssen „wir“ das auch tun, ohne von irgendwelchen friedenspolitischen oder humanitären Rücksichten gebremst zu werden. Vorbei die Zeiten, als man zumindest in Sonntagsreden noch auf einen angeblichen friedlichen Sonderweg des Kontinents verwies.
Berlin will mehr
Insbesondere deutschen Militär- und Wirtschaftskreisen geht das alles noch nicht weit genug. So hinterfragt die einflussreiche „Stiftung Wirtschaft und Politik“ (SWP), weshalb die Eingreiftruppen das schaffen sollten, was die bisherigen „Battlegroups“ nicht konnten: tatsächlich rasch militärisch intervenieren. Überhaupt sei der „Kompass“ eine der Realität nicht gerecht werdenden Sammlung von unterschiedlichen Anliegen ohne klare Priorisierung. Auch in österreichischen Bundesheer-Publikationen wird mehr oder weniger offen angesprochen, dass es in Europa höchst unterschiedliche Interessenslagen gibt, die die Verhandlungen erschweren. So gibt es Kritik an dem von Frankreich betriebenen Ausbau militärischer Präsenz in Frankreich, während viele Staaten andere Regionen für ihre bellizistischen Ambitionen bevorzugen würden. Entsprechend wird in der neuesten Version des Entwurfs noch stärker auf die „östlichen Partner“ verwiesen, ebenso soll die „militärische Mobilität innerhalb und außerhalb (!) der Union in Zusammenarbeit mit der NATO“ verbessert werden. Die Neutralität Österreichs spielt bei solchen Kriegsphantasien schon lange keinerlei Rolle mehr.
EU nur eine Option
Der „Strategische Kompass“ zeigt vor allem das verstärkte Drängen maßgeblicher Kräfte auf eine militärische Durchsetzung der globalen Interessen (Rohstoffquellen, Absatzmärkte, Handelswege). Ob dies am Ende des Tages über das Vehikel Europäische Union erfolgen wird, bleibt angesichts der gravierenden Interessensunterschiede jedoch weiterhin offen.
Quellen: German Foreign Policy, Bundesheer, Euractiv, Tagesschau