So wie jeden Sommer wird in Wien wieder über die Pferdekutschen debattiert. Die eigentliche Frage ist aber nicht, ab welcher Temperatur die Fiaker hitzefrei bekommen, sondern wann dieser Unsinn endlich abgeschafft wird.
Wien. 24 Fiaker-Unternehmen gibt es gegenwärtig in der österreichischen Bundeshauptstadt, 146 Gespanne sind behördlich zugelassen. Dies bedeutet, dass hierfür also etwas weniger als 300 Pferde benötigt werden. Angesichts der hohen sommerlichen Temperaturen dieser Tage entbrennt nun wieder die Diskussion um die Wiener Pferdekutschen: Festgelegt ist bislang, dass die Tiere ab 35 Grad Celsius Lufttemperatur „hitzefrei“ bekommen müssen. Dieses Limit ist freilich recht hoch angesetzt, denn die „Wohlfühltemperatur“ für Pferde ist spätestens bei 25 Grad überschritten. Immerhin gibt es seitens der Wiener Stadtregierung nun Überlegungen, die Grenze auf 30 Grad zu senken, was aber über die Landesgesetzgebung nicht möglich ist – daher müsste das zuständige Bundesministerium aktiv werden, nämlich jenes von BM Mückstein. Man möchte meinen, dass dieses Thema bei den Grünen auf Gehör stoßen sollte, aber die einstige oder vermeintliche Umweltschutz- und Tierwohlpartei ist längst zum prinzipienlosen Steigbügelhalter der ÖVP mutiert.
Pferde gehören nicht in die Stadt
Eine Herabsetzung der Hitzegrenze ist aber ohnedies nur ein Minimalziel, das Schlimmeres verhüten soll: Pferde, die inmitten einer aufgeheizten Großstadt und in praller Sonne Kutschen ziehen sollen, sind stark gefährdet – es drohen Wärmestau, Überhitzung, Sonnenstich, Hitzschlag, Kreislaufversagen. Selbst bei niedrigeren Temperaturen kommt es immer wieder vor, dass Pferde unter den immensen Anstrengungen kollabieren und auf den Straßen Wiens sterben. Insofern darf und muss man schon die Frage stellen, was Pferdekutschen überhaupt im Wien des 21. Jahrhunderts verloren haben – und die Antwort lautet: absolut gar nichts. Natürlich haben die Mietfiaker schon seit weit über 100 Jahren keinerlei verkehrstechnische Relevanz mehr, sondern sind ausschließlich eine Touristenattraktion. Dass hierfür hunderte Tiere leiden müssen, dass ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel gesetzt wird, erscheint nicht nur anachronistisch, sondern fahrlässig und rücksichtslos. Die Pferde müssen raus aus der Stadt und runter von den Straßen Wiens, auf denen zigtausende Autos unterwegs sind, was allein schon zu erheblichem Stress für die Tiere führt. Die richtige und notwendige Forderung ist daher nicht, dass die Hitzegrenze gesenkt wird, sondern dass die Fiaker gänzlich abgeschafft werden – das kann man von der Wiener SPÖ freilich nicht erwarten.
Schlechte Arbeitsbedingungen für Kutscher
Darüber hinaus darf man auch etwas thematisieren, das bei der Fiakerdiskussion zumeist untergeht, nämlich die Situation der Kutscher, d.h. der Menschen, die hier ihre Arbeitsplätze haben und deren Bedingungen ebenfalls zu wünschen übriglassen. Es gibt in diesem Bereich keine Kollektivverträge und keine Betriebsräte, dafür aber schlechte Bezahlung und lange Arbeitszeiten. Und auch für den Fiakerfahrer selbst ist es – ebenso wie für ihre Zugtiere – überaus belastend, bei großer Hitze im offenen Gefährt durch die zubetonierten Teile der Wiener Innenstadt zu kurven, wobei man auch noch den Ausstößen der Verbrennungsmotoren direkt ausgesetzt ist. Insofern braucht es auch im Sinne der Arbeitenden bei den Fiakerunternehmen ein Umdenken: Touristen können ebenso gut in (elektro-)motorisierten Wägen die Sehenswürdigkeiten Wiens bestaunen, es braucht keine falsch verstandene „Tradition“. Dies würde nicht nur die Überlebenschancen der Pferde verbessern, sondern auch die Bedingungen der betroffenen Menschen. Eine anständige Entlohnung wäre dann freilich auch noch zu erkämpfen, aber das ist natürlich überall im Kapitalismus ein Problem – er steht eben grundsätzlich für die Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt.
Quelle: ORF