Selbst bei „Kottan“ undenkbar: Weil ein Polizist bei einer Verfolgungsjagd zu Sturz gekommen ist, muss der Flüchtende nun Schadenersatz zahlen – urteilt der OGH.
Wien. Eine alltägliche polizeiliche Amtshandlung im April 2020: Personenkontrolle wegen mutmaßlichem Drogenbesitz. Doch dann geschieht das Unerwartete: Der Verdächtige kooperiert nicht nur nicht, sondern läuft sogar davon. Auf seiner Flucht durchquert er zunächst ein Gebüsch, dann sprintet er über eine Wiese und einen Asphaltweg, schließlich auf einen Schotterweg. Aber so einfach entzieht man sich der österreichischen Polizei nicht: Der Exekutivbeamte Alfred Schrammel (Name von der Redaktion geändert) heftet sich trotz Dunkelheit an die Fersen des flüchtigen Verdächtigen, um ihn zu stellen. Das geht jedoch nur eine Zeitlang gut: Auf dem Schotterweg übersieht der Polizist ein Schlagloch und kommt zu Sturz. Der Verdächtige landet schließlich dennoch in Polizeigewahrsam, der gefallene Beamte in ärztlicher Behandlung.
So weit, so normal: Kann schon mal vorkommen. Aber der verunglückte Polizist will die Sache nicht so leicht hinnehmen, er zieht gegen den Flüchtenden vor Gericht und klagt auf Schadenersatz – denn es sei nur dessen Schuld gewesen, dass er gezwungenermaßen die Verfolgung aufnehmen musste, dabei gestürzt sei und sich verletzt habe. Erstaunlicher Weise gibt das Landesgericht Salzburg dem Kläger zunächst Recht, doch das Oberlandesgericht Linz hebt dieses Urteil wieder auf: Der Verdächtige sei nicht verpflichtet gewesen, sich zu stellen und dadurch selbst zu belasten. Das OLG gesteht ihm also ein gewisses Recht auf Flucht vor der Polizei zu. Der Sturz des Polizisten sei im Rahmen des „allgemeinen Lebensrisikos“ erfolgt, daher bestünde auch keine Haftung seitens des Beklagten. In weiterer Folge landet das Verfahren letztinstanzlich vor dem Obersten Gerichtshof.
Der OGH revidiert die Entscheidung nun abermals und stellt den Spruch des Salzburger Landesgerichts wieder her, wonach „der Flüchtende durch seine Flucht eine besondere Gefahr für den zur Verfolgung verpflichteten Polizisten schuf.“ Das Oberste Gericht kommt zu dem Schluss: „Auch wenn keine Verpflichtung besteht, sich der Strafverfolgung zu stellen, musste der Flüchtende davon ausgehen, dass der Polizist bei der Verfolgung im Dunkeln auf wechselndem und teilweise unebenem Untergrund stürzen könnte. Das mit der Verfolgung verbundene Risiko eines Sturzes ging hier über das mit einem normalen Trainingslauf bei guten Sichtverhältnissen stets verbundene Verletzungsrisiko hinaus. Es ist daher gerechtfertigt, dass der Flüchtende für den Sturz des Polizisten haftet.“ – Der Flüchtende muss also doch Schadenersatz leisten.
Wir lernen somit mit juristischer Unterstützung des OGHs: Wer sich auf der Flucht vor der Polizei befindet, darf seinen Fluchtweg nur im ebenen, wartungstechnisch einwandfreien und gut ausgeleuchteten Gelände anlegen. Es ist für einen etwaigen polizeilichen Verfolger völlig unzumutbar, bei Dunkelheit und auf Schotterwegen hinterherzulaufen, da dann unweigerlich damit zu rechnen ist, dass der Polizist auf die Nase fällt. Und eine derartig bösartige Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit eines Exekutivbeamten ist gänzlich unentschuldbar. Ob es aber ausreichend gewesen wäre, wenn der Verdächtige sich auf seiner Flucht kurz umgedreht und gerufen hätte: „Vorsicht, Herr Inspektor, Schlagloch!“, hat uns der OGH nicht verraten.
Quelle: Der Standard / OGH