In vielen Ländern Europas konnte man in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Neuformierung sozialdemokratischer Parteien beobachten. In Deutschland wurde in mehreren Etappen die Linkspartei geschaffen. Diese ging aus der Vereinigung der neuen, ostdeutschen Sozialdemokratie, der PDS, und der SPD-Abspaltung WASG hervor. Konnte sie zu Beginn vom Zusammenbruch der SPD nach einer rot-grünen Bundesregierung profitieren, so hat sie sich selbst nach diversen Regierungsbeteiligungen in den Bundesländern und inhaltlichen Anbiederungen an SPD und Grüne abgenutzt. Voraussichtlich wird sie sich jedenfalls mit drei Direktmandaten in den Bundestag retten, ob sie über fünf Prozent der Zweitstimmen kommt, stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest.
In Griechenland formierte sich eine neue sozialdemokratische Partei aus einem Wahlbündnis, das Ende der 1980er Jahre entstand und dem kurzzeitig auch die Kommunistische Partei Griechenlands angehörte. Diese verließ das Bündnis 1991 wieder und bemüht sich um den Wiederaufbau der kommunistischen Bewegung in Griechenland und international. Aus der verbliebenen Allianz bildete sich 1992 die Partei Synaspismos, 1996 gelang ihr erstmals der Einzug in das griechische Parlament. Anfang der 2000er flog sie beinahe wieder raus und kamen nur knapp über die Drei-Prozent-Hürde. 2004 schuf Synaspismos das Wahlbündnis SYRIZA mit anderen linken Gruppen, die nicht im griechischen Parlament vertreten waren, und erreichte 3,26 Prozent. SYRIZAs große Stunde schlug mit der Krise des Kapitalismus ab 2008 und den brutalen Angriffen des Kapitals, für deren Umsetzung ab 2009 die alte sozialdemokratische Partei PASOK als Regierungspartei zuständig war und in der Folge völlig in sich zusammenbrach. In diese Zeit fällt der rasante Aufstieg von SYRIZA, die heute die PASOK als sozialdemokratische Regierungsvariante ersetzt hat und als zweitstärkste Kraft im griechischen Parlament vertreten ist.
Auch in Spanien hat sich eine neue sozialdemokratische Regierungsvariante formiert. Sie ging aus einem Bündnis verschiedener kleinerer, opportunistischer linker Gruppen, darunter die Kommunistische Partei Spaniens (PCE), hervor und nennt sich Unidas Podemos. Ähnlich wie in Griechenland und Deutschland konnte Podemos von der Unzufriedenheit der Arbeiterklasse und der ärmeren Volksschichten mit der sozialdemokratischen Krisenbewältigung profitieren. Anders als in Griechenland kam es aber nicht zu einem völligen Zusammenbruch der sozialdemokratischen Partei PSOE, zugleich profitierte Podemos davon, dass sie sich nicht in verschiedenen Regierungsbeteiligungen abgenutzt hatte, so dass sie heute gemeinsam mit PSOE eine Koalitionsregierung stellt. Dieser Koalitionsregierung gehört auch die PCE mit einem Minister an. Wie sich das Verhältnis der beiden sozialdemokratischen Parteien in Spanien entwickelt, wird sich im weiteren Verlauf der Krise und der Pandemie zeigen.
Die Gemeinderatswahlen in Österreich
Nun zu den jüngsten Wahlen in Österreich. Was die Formierung einer neuen Sozialdemokratie in verschiedenen europäischen Ländern mit dem gestrigen Wahlabend zu tun hat, wollen wir hier erklären. Lange war in Österreich die Meinung vorherrschend, dass neben der SPÖ keine zweite sozialdemokratische Variante Platz hätte. Die SPÖ hat sich zwar in zehn Jahren Regierungsbeteiligung von 2007 bis 2017 zusehends abgenutzt, doch mit der Kontrolle über den ÖGB und die AK erschien sie vielen als unzerstörbar. In den vergangen Jahren haben sich allerdings verschiedene Faktoren herausgebildet, die bei der Formierung einer neuen sozialdemokratischen Regierungsvariante eine Rolle spielen könnten: Da wäre die Gründung des Mosaik-Blogs als Stichwortgeber einer neuen sozialdemokratischen Politik, da wäre die Gründung der Jungen Linken als Abspaltung von der Grünen Partei, da wäre die Formierung von kleineren Wahlbündnissen in verschiedenen Bundesländern wie in Wien oder Tirol. Ungeachtet dessen hat auch die KPÖ beständig daran gearbeitet eine linke Alternative zu etablieren, erfolgreich war sie damit v.a. in der Steiermark und am erfolgreichsten in Graz. Am gestrigen Wahlabend hat sich gezeigt, zumindest in der Steiermark und z.T. auch in Oberösterreich könnte die KPÖ bei der Formierung einer neuen Sozialdemokratie eine wichtige Rolle spielen.
Für die SPÖ hat der Wahlabend in Graz abermals ein (kleines) Minus und ein Ergebnis von unter zehn Prozent gebracht, der Wahlsieger ist eindeutig die KPÖ, die zur stimmenstärksten Kraft wurde. Mit einer klassischen sozialdemokratischen Politik konnte sie nach ganz vorne kommen. Auch im Rest der Steiermark ist die KPÖ in vielen Gemeinderäten vertreten. In Oberösterreich reicht die Stärke der KPÖ zwar nicht an die der steirischen Landespartei heran, allerdings konnte sie in Linz ein zweites Mandat für sich gewinnen und zumindest in zwei neue Gemeinderäte im Innviertel einziehen. Es zeigt sich also, auch in Österreich gibt es gewisse Spielräume für eine neue sozialdemokratische Variante, wenn auch noch kleine. In dem Maße, wie diese größer werden, wird aber auch das Gerangel unter den verschiedensten opportunistischen Gruppen um einen Platz am Futtertrog zunehmen.
Warum braucht es die Sozialdemokratie überhaupt?
Die angeführten Situationen sind jeweils unterschiedlich, eines haben sie aber gemeinsam: Das Verschwinden oder die Schwächung der einen sozialdemokratischen Partei führt nicht zum Verschwinden der Sozialdemokratie an und für sich; an ihre Stelle tritt eine andere sozialdemokratische Formation. Das hat einen einfachen Grund: Die Sozialdemokratie ist die soziale Hauptstütze des Kapitalismus in der bürgerlichen Demokratie. Das heißt nichts anderes, als dass die gesamte Politik darauf ausgerichtet ist, die Arbeiterklasse zu täuschen und in den Kapitalismus zu integrieren. Zentral dafür ist die Ideologie der Sozialpartnerschaft. Diese behauptet, die Angestellten, Arbeiterinnen und Arbeiter wären Partner derjenigen, die ihnen den Lohn kürzen, sie auf die Straße werfen oder gar nicht erst für sich arbeiten lassen. Wie das unter Partnern üblich ist, werden Konflikte im Betrieb natürlich nicht im Arbeitskampf, sondern im Dialog gelöst. Der Arbeiterklasse wird vermittelt, sie könne an ihrer Lage gar nichts ändern, außer zu hoffen, dass es die Sozialdemokratie für sie regeln wird. Ein solches Bewusstsein verschwindet nicht einfach, weil die Wähler enttäuscht sind von der Politik einer sozialdemokratischen Variante, sondern es überträgt sich auf eine andere Partei, die zum neuen Hoffnungsträger und zur Projektionsfläche wird. Wenn Bertolt Brecht im Lied vom Klassenfeind dichtet:
„Da mag dein Anstreicher streichen,
den Riß streicht er uns nicht zu!
Einer bleibt und einer muß weichen,
entweder ich oder du.
Und was immer ich auch noch lerne,
das bleibt das Einmaleins:
Nichts habe ich jemals gemeinsam
mit der Sache des Klassenfeinds.
Das Wort wird nicht gefunden,
das uns beide jemals vereint!
Der Regen fließt von oben nach unten.
Und du bist mein Klassenfeind.“
Dann ist die Sozialdemokratie eben jener Anstreicher. Die Aufgabe der Kommunistinnen und Kommunisten hingegen ist es, die Arbeiterklasse zu organisieren, zu mobilisieren und in den Kampf zu führen für eine Ende der Ausbeutung, dass kein Regen mehr fällt.