Wien. Während weltweit Hunderttausende gegen den Genozid in Gaza auf die Straße gehen, während Arbeiterinnen und Arbeiter in Italien und Griechenland Waffenlieferungen blockieren und Hilfsflottillen unter Lebensgefahr versuchen, einen humanitären Korridor zu öffnen, während Hunger und Bomben die palästinensische Zivilbevölkerung auslöscht – steht das offizielle Österreich eisern an der Seite Israels. Es ist die bekannte „Staatsräson“, die im Klartext bedeutet: bedingungslose Rückendeckung für einen Apartheidstaat, koste es, wen es wolle. Das offizielle Österreich bleibt standhaft – aber nicht an der Seite der Unterdrückten, sondern an der Seite seiner imperialistischen Partner.
Die Inszenierungen österreichischer Außenpolitik sind in diesen Tagen besonders grotesk. Außenministerin Beate Meinl-Reisinger inszeniert sich bei der UNO als moralische Stimme, die „zwei Staaten innerhalb anerkannter Grenzen“ fordert – während sie gleichzeitig jede konkrete Konsequenz verweigert. Palästina anzuerkennen? „Zu früh.“ Israel Konsequenzen aufzuerlegen? „Nicht zielführend.“ Die systematische Zerstörung von Gaza zu verurteilen? Nur in Form unverbindlicher Floskeln. Stattdessen der immer gleiche Doppelsprech: Hamas verurteilen, Israel mit Floskeln zur Einhaltung des Völkerrechts mahnen – und faktisch alles laufen lassen wie bisher. Dass im Gazastreifen Kinder verhungern, dass internationale Organisationen längst eine Hungersnot ausrufen, dass Israel den Zugang zu Lebensmitteln blockiert – all das wird höflich übergangen, um die Beziehungen zu den geopolitischen Partnern und den Wirtschaftsinteressen Österreichs nicht zu gefährden.
Denn das ist der Kern: Die „Staatsräson“ ist keine moralische Position, sie ist Klassenpolitik. Österreichs politische Elite schützt nicht „jüdisches Leben“, wie sie gerne behauptet, sondern die militärisch-industriellen Verflechtungen des Westens, die Energieinteressen, die Handelsverträge und die geopolitische Linie der EU und der USA. Für das Kapital in Österreich ist Israel Partner, Absatzmarkt, Technologiezentrum – für die Palästinenserinnen und Palästinenser bedeutet das, dass ihr Leiden im besten Fall gleichgültig ignoriert, im schlimmsten Fall aktiv gerechtfertigt wird.
Noch deutlicher wurde Meinl-Reisinger im ESC-Streit. Während Länder wie Irland, Spanien oder Slowenien offen über einen Boykott nachdenken, sollte Israel teilnehmen, warnt die Ministerin in einem pathetischen Brief vor einer „Spaltung“ der Europäischen Rundfunkunion. Das Blutbad in Gaza soll die große Party in Wien nicht vermiesen – Kunst dürfe nicht „politisiert“ werden. Dieselbe Ministerin, die wenige Tage später in New York erklärt, Österreich sei „bereit, Verantwortung zu übernehmen“, will ausgerechnet beim größten Genozid der Gegenwart keine „Polarisierung“. Zynischer geht es kaum. Hier tritt die Funktion der Kulturpolitik einmal mehr klar hervor: Nicht als Ort der Kritik, sondern als Feigenblatt, das den Schein von Einheit und Dialog bewahren soll, während im Hintergrund koloniale Gewalt tobt.
Auch Kanzler Stocker spielt dieses Spiel mit. Mit ernster Miene erklärt er, die Anerkennung Palästinas sei „der nächste Schritt“, aber eben nicht jetzt. Diese Verschiebung ins Nirgendwo ist nichts anderes als die Absicherung des Status quo – und dieser Status quo bedeutet Bomben, Hunger und Vertreibung für Millionen Palästinenser. Stocker und Meinl-Reisinger wissen das genau und sie wissen, dass ein palästinensischer Staat unter den heutigen Bedingungen von Israel verhindert wird – und sie machen diese Realität zur Voraussetzung ihrer Politik.
Während die Straßen von Berlin, London, Madrid und auch hierzulande in Wien von Solidaritätsdemonstrationen gefüllt werden, während Hafenarbeiter in Italien und Griechenland Rüstungstransporte blockieren, während Aktivisten ihr Leben riskieren, um Hilfsgüter nach Gaza zu bringen, bleibt das offizielle Österreich auf der falschen Seite der Geschichte: beim Apartheidstaat, bei der westlichen Doppelmoral, beim Kalkül der geopolitischen Loyalität.
Es sind nicht „die Österreicher“, die auf der falschen Seite der Geschichte stehen, es sind die herrschenden Klassen und ihre politischen Vertreterinnen und Vertreter. Gegen diese Politik braucht es eine klare Antwort: internationale Solidarität der Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich nicht spalten lassen von Grenzen, Religionen oder Regierungspropaganda. Die Demonstrationen gegen den Genozid in Gaza sind dafür ein Anfang.
Wenn Meinl-Reisinger ihre UNO-Rede mit der Rolle als „dreifache Mutter“ schmückt, ist das ein besonders bitterer Zynismus. Denn während sie von „Werten“ spricht, die sie ihren Kindern mitgeben will, sterben in Gaza Tausende Kinder an Bomben, Hunger und Seuchen – legitimiert durch genau jene Politik, die Österreich mitträgt.
Die österreichische Außenpolitik zeigt damit einmal mehr, was sie ist: eine Politik der Eliten, die lieber die Interessen des Westens und die Kapitalverflechtungen mit Israel schützt, als sich mit der Realität kolonialer Gewalt auseinanderzusetzen. Für die lohnabhängige Mehrheit hierzulande bleibt nur die Scham, dass dieses Land in einem der größten Verbrechen unserer Zeit schweigend – oder mit schönen Worten getarnt – mitmacht.
Quelle: junge Welt / Heute / Heute / ORF