Der Autor arbeitet seit 20 Jahren in einem Oberstufengymnasium und ist dort gewerkschaftlich aktiv.
Die Schulen und der Lern- und Arbeitsalltag geraten seit Beginn der Corona-Pandemie in Bewegung und unter Druck.
Lehrerinnen und Lehrer als Arbeitskräfte
Der von der Regierung verordnete Fernunterricht bedeutet für die meisten Lehrerinnen und Lehrer mehr Arbeit als gewöhnlich. Damit haben sie eine ganz andere Ausgangslage als viele andere Werktätige, die in Kurzarbeit sind oder gar ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Die Mehrarbeit der Lehrkräfte besteht in:
- technischen und organisatorischen Vorarbeiten,
- im Erstellen neuer Konzepte,
- in der Betreuung der Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen.
Der Lehrer und die Lehrerin muss in diesen Zeiten seine private Handynummer für die Elterngespräche zur Verfügung stellen. Jetzt sind sie besonders wichtig, und gerade jetzt lassen sie sich kaum von der Schule aus führen. Zu den üblichen Schulproblemen, mit denen die Lehrpersonen sonst schon zu tun haben, kommen nun jene Jugendlichen, die von der gegenwärtigen Situation überfordert sind.
Schade nur, dass Lehrerinnen und Lehrer in Österreich keinen Arbeitsplatz steuerlich geltend machen können. So können sie nur hoffen, dass sie sich zu Hause die passenden Räumlichkeiten leisten können. Aber nicht wenige arbeiten wohl am Küchentisch, damit der Partner und die Partnerin in Ruhe Homeoffice machen kann. Dabei können sie dann auch gleich die Kinder beaufsichtigen.
Selbstverständlich muss sich eine österreichische Lehrerin auch die technische Ausstattung selbst besorgen. Nicht wenige mussten ihr WLAN aufrüsten, den Computer erneuern oder mit Zusatzgeräten ergänzen (Mikrofon, Kamera, Scanner…). Dass sie diese Dinge von der Steuer absetzen dürfen, dafür zu kämpfen hat die Gewerkschaft gerade in einem Rundschreiben angekündigt. Es ist offenbar nicht selbstverständlich.
Ab und an überlegte man im Ministerium, Lehrerinnen und Lehrern einen Laptop oder ein Tablet zur Verfügung zu stellen. Wohl als Ersatz dafür, dass sie den Kolleginnen und Kollegen keinen Arbeitsplatz bieten können (jedenfalls in Gymnasien), der arbeitsrechtlich zulässig wäre. Lehrerinnen und Lehrer, die über das Stadium des Ausprobierens und Suchens (z.B. in den umfangreichen, aber auch sehr inhomogenen Sammlungen der „Eduthek“) hinausgelangt sind, stehen vor dem Problem, dass sie kein Konzept haben, weder für den Unterricht, aber schon gar nicht für die Benotung, die schon unter normalen Umständen schwierig ist.
Die Schülerinnen und Schüler
Schülerinnen und Schüler (vor allem der Oberstufen) sind in mehrfacher Hinsicht in einer schwierigen Lage: Sie sind in einer Lebensphase, in der sie sich von ihrer Familie lösen wollen, mit dieser eingeschlossen. Schlimmer kann es kaum kommen. Familienkrisen verschärfen sich in dieser Situation. Nicht nur Konservativen gilt die Familie als Ort des Friedens und der Sicherheit. Nur ist sie das leider allzu oft nicht. Und für einen Jugendlichen und eine Jugendliche schon gar nicht.
Volksschülerinnen und ‑schüler sind so gesehen in einer günstigeren Lebensphase. Sie können die Familie genießen, wenn sie denn als harmonische gegeben ist. Jedenfalls, sofern die Eltern Zeit für sie haben und nicht wegen Geldsorgen oder Perspektivenlosigkeit zu deprimiert sind, um die Tage schön zu gestalten.
In den Volksschulen sitzen wegen der Betreuungspflicht zum Teil die halben Klassen und nutzen die Zeit, um Lernrückstände aufzuholen. Ob das vom Bildungsministerium so intendiert war, ist nicht klar. Aber es könnte funktionieren, wenn tatsächlich die Kinder mit Rückständen in den Klassen sitzen.
Als eine Stärke des österreichischen Schulsystems sehe ich immer noch das Konzept, Lernen als gemeinsames zu organisieren. Darin fehlt noch die andernorts schon realisierte Wettbewerbsmentalität. In Österreich gibt es noch keinen Numerus Clausus oder ein Ranking der Besten eines Jahrgangs. Die jungen Leute müssen nicht um die besten Plätze konkurrieren, jedenfalls nicht in der Schule (aber ich denke, man arbeitet daran). Das bietet die Möglichkeit, im Klassenverband gemeinsam zu lernen. Man lernt miteinander und voneinander, nicht gegeneinander. Das fällt beim Fernunterricht weg und ist wohl für viele Jugendliche (und auch Kinder) am Schmerzlichsten. Die häufigste Klage bei den Befragungen von Schulkindern ist denn auch, dass sie ihre Schulfreunde und ‑freundinnen am meisten vermissen würden.
Das Schulsystem
Das österreichische Schulsystem ist bekannt dafür, dass es – ähnlich wie das deutsche – soziale Ungleichheit verstärkt und nicht ausgleicht. Im europäischen Vergleich nehmen wir auf diesem Gebiet einen der schlechtesten Plätze ein.
Der gegenwärtige Schul-Lockdown verstärkt diese Schieflage noch. Das österreichische Schulsystem ist wesentlich darauf angewiesen, dass Eltern die Lernaktivitäten der Schülerinnen und Schüler außerhalb der Unterrichtszeiten organisieren bzw. betreuen. Oder sie an Nachhilfelehrerinnen und ‑lehrer auslagern. Abhilfe könnte eigentlich nur eine Ganztagsschule schaffen (wenn sie entsprechend organisiert ist).
In der gegenwärtigen Situation des Fernunterrichts sind Kinder und Jugendliche im Vorteil, deren Eltern Zeit und andere Ressourcen bieten können. Zwar hat das Bundesministerium nicht wenige Laptops angeschafft und verteilt. Aber selbst wenn sie allen Schülerinnen und Schülern einen Laptop zur Verfügung stellen könnten: Ein Laptop ist noch kein Arbeitsplatz! Und keineswegs ist in allen Haushalten ein leistungsfähiger Internetzugang gegeben, nicht zu reden von einem eigenen Schreibtisch oder Zimmer und Ruhe vor den Geschwistern oder Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern.
Aber selbst wo diese Bedingungen gegeben sind, fehlt oft noch Unterstützung durch die Eltern selbst. Nicht alle Eltern können diese Unterstützungsfunktion wahrnehmen, denn oftmals gilt:
- sie müssen selbst arbeiten,
- sie haben selbst nicht die erforderlichen Kapazitäten oder Kenntnisse,
- sie haben einen kulturellen oder sozialen Hintergrund, in dem das nicht üblich ist.
Oft genug haben die Lehrerinnen und Lehrer aber keinen Einblick in die tatsächlichen Lebensverhältnisse der jungen Leute, weil sie von den Eltern oder Schülerinnen und Schüler aus Scham oder anderen Gründen (Unwissenheit…) nicht informiert werden.
Die Eltern haben in manchen Situationen vielleicht sogar recht, wenn sie von den in der bürgerlichen Mittelschicht sozialisierten Lehrerinnen und Lehrer nur wenig Verständnis erwarten! Beengte Wohnverhältnisse, prekäre Einkommen oder soziale Perspektivlosigkeit sind manchen Kolleginnen und Kollegen wirklich unbekannt.
Die Schulschließungen sind bis heute relativ umstritten. Dass gegenwärtig so viele Gruppen den Wert der Bildung einfordern, dürfte allerdings in vielen Fällen nur ein vorgeschobenes Argument sein:
- Die Wirtschaftsverbände treibt eher die Sorge um ihre Arbeitnehmer um, deren Kräfte durch die Kinderbetreuung gebunden werden.
- Die Elternvertreterinnen und ‑vertreter haben Angst um die Karriereaussichten ihrer Kinder und davor, dass die jungen Leute sich im wenig strukturierten Alltag verlieren.
- Die Lehrerinnen und Lehrer fürchten die zentralen Prüfungen und die unklare Benotungssituationen.