Die Europäische Union verliert seit Jahren an Einfluss in Süd- und Mittelamerika. Nun soll eine „Offensive“ dem EU-Kapital wieder eine mächtigere Position in den Staaten Lateinamerikas verschaffen.
Brüssel. Aus einem Dokument des Europäischen Auswärtigen Dienstes wird ersichtlich, dass die Europäische Union derzeit eine „diplomatische und handelspolitische Gegenoffensive“ in Lateinamerika vorbereitet. Hintergrund ist der in den letzten Jahren konstant sinkende Einfluss der EU in Süd- und Mittelamerika. Längst ist China wichtigster Handelspartner Südamerikas und nach den USA zweitgrößter Handelspartner ganz Lateinamerikas. Auch die chinesischen Investitionen auf dem Subkontinent sind massiv gewachsen.
Die Verschiebung des Kräfteverhältnisses auf ökonomischer Ebene lässt sich gut am Beispiel Deutschlands und Brasilien, dessen wichtigstem Handelspartner in der Region, veranschaulichen. Vor 20 Jahren war Deutschland mit einem Anteil von 9,4 Prozent drittgrößter Warenlieferant in Brasilien. Heute liegt es mit nur noch 5,8 Prozent weit hinter China (22,1 Prozent) zurück. Das EU-Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur kann seit drei Jahren nicht ratifiziert werden. Geplante Freihandelsabkommen mit Mexiko und Chile verschleppen sich ebenso. Währenddessen gelang es China 21 der 33 Staaten Lateinamerikas und der Karibik zur Teilnahme an der Belt and Road Initiative zu überzeugen.
Dieser sinkende ökonomische Einfluss der EU wird auch politisch sichtbar. Zwar verurteilen die meisten Staaten in Süd- und Mittelamerika den russischen Einmarsch in die Ukraine, die Sanktionen gegen Russland werden jedoch, abgesehen von einigen Ausnahmen, weitgehend nicht mitgetragen.
Das letzte der 1999 gestarteten Gipfeltreffen der EU mit der CELAC, dem Zusammenschluss der Staaten Lateinamerikas und der Karibik, ist sieben Jahre aus. Vorgesehen wäre eigentlich ein Zweijahresrhythmus.
Nun soll die geplante „Gegenoffensive“ dem entgegenwirken. Eine führende Rolle will dabei Spanien spielen, ehemalige Kolonialmacht auf dem Subkontinent und traditionell ein wichtiger Handelspartner und Investor Lateinamerikas. Spanien möchte dazu wohl die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2023 nutzen. Bereits jetzt ist Ministerpräsident Pedro Sánchez zu einer Reise nach Lateinamerika aufgebrochen, um Vorbereitungen für einen neuen EU-Lateinamerika-Gipfel zu treffen. Er besucht Kolumbien, Ecuador und Honduras.
Der Schauplatz Lateinamerika ist für den EU-Imperialismus durchaus bedeutsam. Zwei Drittel der weltweit vorhandenen Lithiumreserven, also einem der wichtigsten Rohstoffe der Energiewende, befinden sich in einem südamerikanischen Gebiet, welches Teile Argentiniens, Boliviens und Chiles umfasst. Dort sind aktuell vor allem US-Konzerne (Albemarle) und chinesische Unternehmen (Ganfeng Lithium) präsent. Zuletzt übernahm Ganfeng Lithium für eine knappe Milliarde US-Dollar den argentinischen Konzern Lithea. Zwischen 2018 und 2020 investierten chinesische Konzerne etwa 16 Milliarden US-Dollar in Bergbauprojekte der Region. Der Einfluss der EU in der Region hingegen ist vergleichsweise gering. Zuletzt scheiterte ein Joint Venture zur Lithiumförderung im bolivianischen Hochland, welches vom deutschen Unternehmen ACI Systems aus Baden-Württemberg mit dem bolivianischen Staatsunternehmen YLB geschlossen worden war.
Quelle: Junge Welt