Die offene Wunde des Rassismus ist Resultat der kapitalistischen Gesellschaft
USA. Knapp ein Jahr ist vergangenen, seit dem die Videos und Bilder durch die Welt gingen, die den Afroamerikaner George Floyd unfreiwillig zum Märtyrer der „Black Lives Matter“-Bewegung (BLM) machten – eine politische Bewegung oder viel mehr, ein politischer Slogan, unter dessen Banner weltweit tausende Menschen sowie fortschrittliche Organiationen Demonstrationen organisierten. So auch in Österreich, wo neben den offiziellen Demonstrationen in mehreren Landeshauptstädten auch die Partei der Arbeit zu einer Kundgebung vor der US-Botschaft aufrief und das rücksichtslose Morden an ethnischen Minderheiten in den USA scharf verurteilte. Seitdem ist Derek Chauvin, jener Polizist der 9 Minuten lang auf Floyds Nacken kniete, in mehreren Fällen strafrechtlich verurteilt worden.
US-Demokraten als heuchlerische Nutznießer
Innerhalb der USA ist die Resonanz rund um George Floyd noch lange nicht verebbt, nicht zuletzt weil Fälle von oftmals tödlicher Polizeigewalt gegen die schwarze Bevölkerung regelmäßig Opfer fordern. Die wirtschaftliche Krise der USA gekoppelt mit der katastroph alen Corona-Situation letzten Sommer zeitigte verschiedene Eskalationen, zu denen die BLM auf unterschiedliche Weise beitrug und von den Herrschenden neutralisiert werden musste. Die Sprengkraft der langanheltenden, jedoch politisch orientierungslosen BLM-Proteste entludt sich nämlich nicht nur gegen die Trump-Regierung, sondern auch gegen demokratisch regierte Großstädte und Bundesstaaten, in denen Polizeirepression und Perspektivlosigkeit an der Tagesordnung stehen. Am effektivsten trugen die Demokraten unter Führung Bidens – damals noch im Rennen um den Platz des demokratischen Präsidentschaftskandidatens gegen Trumps Wiederwahl. Biden genießt als ehemaliger Vize des ersten schwarzen Präsidenten Obamas über eine gewisse Unterstützung in der schwarzen Bevölkerung.
Dieses von den bürgerlichen Medien und der Propagandamaschine der US-Demokraten fein säuberliche gezeichnete Bild des antirassistischen Joe Bidens ist wie schon im Falle Hillary Clintons, aber ein Zerrbild der Realität. War es doch Biden selbst, der 1994 mit der Crime Bill eines der umfangreichsten Strafgesetz- und Gefängnisreformen vorgelegt hatte, welcher zur Masseninhaftierung der schwarzen Bevölkerung sowie zur hohen Gefangenenpopulation in den USA ganz allgemein beigetragen hat und damit mehr zur Verelendung der schwarzen Bevölkerung beigetragen hat, als Donald Trump es sich hätte eträumen lassen können. Kamala Harris, die selbst einen afro-amerikanischen und indischen Hintergrund hat, hat ebenfalls als Generalstaatsanwältin Kaliforniens die rassistische Justizpolitik weitergeführt, in der insbesondere Schwarze in Privatgefängnissen länger als die eigentliche Dauer ihrer Haftzeit gehalten und als billige Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Noch skandalöser: in mindestens einem Fall hat Harris DNA-Proben blockiert, die einen afroamerikanischen Mann vor der Todesstrafe bewahrt hätten. Erst auf Druck von Anwälten, gab sie die Proben frei.
Doch auch die Bewegung selbst litt von Anfang an, an ideologischen Schwächen, deren größte und problematischste wohl die postmoderne Identitätspolitik war und ist. Anders als in den 1960er und 1970er Jahren sind in der Bewegung heute allerdings kaum mehr politische Organisationen und ideologische Anführerinnen und Anführer vertreten, die den Rassismus aus einer materialistischen Perspektive analysieren und ihren Anti-Rassismus ausgehend von einem marxistischen Kapitalismusverständnis formulieren. Das zentrale Problem dieser postmodernen Identitätspolitik ist, dass sie nicht mehr die Analyse der ökonomischen Ausbeutungsstrukturen und der Klassenherrschaft in den Mittelpunkt stellen. Stattdessen konzentriert sie ihre Kritik auf die Sphären der Kultur und des„Diskurses“. Genau diese Schwäche erleichterte es die Proteste zu kanalisieren. Umso wichtiger war die Beteiligung kommunistischer und fortschrittlicher Gruppen an den Protesten, um einerseits den Kampf gegen Rassismus zu unterstützen, andererseits aber auch aufzuzeigen, dass der Rassismus keine Frage des „Diskurses“ oder der Kultur ist, sondern der Klassenunterdrückung und ‑ausbeutung entspringt.
Was wird Floyds Vermächtnis sein?
In jedem Fall ist klar, dass das Vermächtnis Floyds das des gerechtfertigten politischen Kampfes gegen Rassismus, Polizeigewalt und staatliche Repression darstellt. Aber auch die identitätspolitische Vereinnahmung durch die US-Demokraten – von den Bidens, Clintons bis hin zum vorlauten, linken Flügel rund um Alexandria Ocasio-Cortez & Co. – und bürgerlichen Kräften hierzulande, wurde BLM zum Slogan einer klassenblinden Empörung. Eine Empörung, die auf dem Boden des Kapitalismus gedeihen und radikal wirken kann, ohne ihrem eigentlichen Wortsinn nach an die Wurzel des Übels zu gehen. Diese nämlich liegen in der Ausbeuterordnung, dem Widerspruch zwischen der Offensive des Kapitals und einer politisch schwachen, gespaltenen Arbeiterklasse, die ihren Gegenangriff noch organisieren muss.
Quelle: AP