Der verstorbene frühere chinesische Präsident und KP-Generalsekretär Jiang Zemin (1926–2022) hat in seiner Amtszeit das Land auf einen kapitalistischen Entwicklungsweg gebracht.
Shanghai. Am gestrigen 30. November verstarb der ehemalige Präsident der Volksrepublik China, Jiang Zemin, im Alter von 96 Jahren. Als Todesursache wurden die Folgen einer Leukämieerkrankung und multiples Organversagen angegeben.
Jiang Zemin, 1926 in Yangzhou geboren, war studierter Ingenieur und ab 1946 Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas. Es dauerte jedoch, bis er politisch in Erscheinung trat, bekannt wurde er als Befürworter von Freihandelszonen. 1985 stieg er zum Bürgermeister von Shanghai und zum regionalen Parteichef auf, ein Jahr später wurde er ins Politbüro der KPCh gewählt. Zu dieser Zeit hatte Deng Xiaoping bereits ein Auge auf ihn geworfen und baute Jiang zu seinem Nachfolger auf. Tatsächlich wurde er 1989 Generalsekretär der KPCh, 1990 Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und 1993 Staatspräsident der VRC. In den Jahren 2002 bis 2004 gab er diese Ämter schrittweise an Hu Jintao ab.
Deng hatte natürlich die richtige Wahl getroffen, denn Jiang führte dessen liberale Wirtschaftspolitik konsequent fort: Die angebliche „sozialistische Marktwirtschaft“ wurde ab 1992 mit weiteren kapitalistischen Reformen bedacht. Staatsunternehmen wurden auf Profitmaximierung festgelegt, einige wurden in Aktiengesellschaften umgewandelt und somit teilprivatisiert. Ab 1997 ging Jiang noch einen Schritt weiter: Er forcierte vollständige Privatisierungen und die Gründung privatkapitalistischer Unternehmen und Konzerne, „patriotische“ Kapitalisten wurden in die Partei aufgenommen. Die weitgehende ökonomische Liberalisierung und die Öffnung der chinesischen Wirtschaft für ausländische „Investoren“, aber auch die Integration von Hongkong und Macau und deren neoliberaler finanzkapitalistischer Systeme brachte China endgültig auf den Kurs der wirtschaftlichen Expansion unter kapitalistischen Bedingungen. Gegen Ende der Amtszeit von Jiang trat das Land folgerichtig der WTO bei.
Und so bleibt im Rückblick auf Jiang Zemins Bedeutung die Einsicht, dass er in aller Folgerichtigkeit Deng Xiaopings Werk fortgesetzt und die Volksrepublik China endgültig auf einen kapitalistischen Entwicklungsweg geführt hat. Der sogenannte „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“, der heute behauptet wird, hat sich längst als banaler und in seiner Logik überaus erfolgreicher Kapitalismus entpuppt, mit bekannten Schattenseiten für die Arbeiterklasse, mit exorbitantem Reichtum für neue Milliardäre sowie mit einer – allerdings recht sanft umgesetzten – imperialistischen Außenpolitik. Hierfür war Jiang Zemin einer der wichtigsten Wegbereiter.
Quelle: ORF