HomeInternationalesInnerimperialistische Widersprüche: Interview mit Bruno Le Maire

Innerimperialistische Widersprüche: Interview mit Bruno Le Maire

Kurz nach Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine und dem Übergang des seit 2014 schwellenden innerimperialistischen Konflikts in der Ukraine zwischen Russland auf der einen Seite und der NATO und der EU auf der anderen Seite in einen offenen Krieg erschien es so, als handle es sich bei der NATO und der EU um einen einheitlichen Block.

Dieser Schein trügt, denn der Imperialismus ist heute ein komplexes, weltumspannendes System aus Abhängigkeit und Dominanz. Innerhalb dieses Systems konkurriert das Finanzkapital um Märkte, Rohstoffe, Transportwege, Technologien, Kommunikation und Energiequellen. Die Folge sind Allianzen und Bündnisse auch auf staatlicher Eben, um Interessen durchzusetzen, aber es bestehen eben auch innerimperialistische Widersprüche, die sich nicht nur auf Widersprüche zwischen den Bündnissen und Allianzen beschränken, sondern auch innerhalb dieser Bündnisse und Allianzen existieren.

Diese Interessenswidersprüche traten sehr bald auch innerhalb des euro-transatlantischen Blockes zu Tage. Sei es das zeitweilige Veto Ungarns gegen das erste Sanktionspaket der Europäische Union gegen Russland oder die Sonderregelungen für griechische Reedereien, die den Transport russischen Öls in den Sanktionspakten der EU betreffen oder die belgische Enthaltung bei der Abstimmung über das jüngste Sanktionspaket der europäischen Union.

Die EU in Konkurrenz mit den USA und China

Nach dem Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland in Energie- und Sicherheitsfragen wurde nun ein neuer innerimperialistischer Konflikt innerhalb des euro-atlantischen Blocks sichtbar. Bruno Le Maire, der französische Wirtschafts- und Finanzminister, gab vier Zeitungen ein exklusives Interview. In diesem interview erklärt Le Maire, dass das die größte Herausforderung, vor der die Europäische Union heute stehe, die Tatsache sei, dass sie in der Weltwirtschaft von China und den USA abgehängt werden könnte. Er konkretisiert, dass die EU dem Risiko eines technologischen, industriellen und wirtschaftlichen Rückfalls ausgesetzt sei. Als zentrale Ursache dafür macht er die stark subventionierten Energiepreise für Konzerne in den USA und die Subventionierung von Konzernen in China aus.

Le Maires Hauptstoßrichtung geht dabei nicht gegen China, er konzentriert sich viel mehr auf die USA. Er fordert von der EU-Kommission bei Importen strenger auf die Interessen der EU „beim Umweltschutz zu achten“, ebenso wie Regeln zur Bevorzugung von Produkten aus der Europäischen Union einzuführen. Dem fügt Le Maire hinzu, dass man gegenüber Drittländern verstärkt eine Gegenseitigkeit bei Wettbewerbsregeln und Marktzugängen geltend machen müsse. Absolut notwendig ist für den französischen Minister die Senkung der Energiepreise in der EU, daran führe kein Weg vorbei.

Geht es nach Le Maire muss die Europäische Union über eine Klage gegen die USA vor der Welthandelsorganisation nachdenken, um die seiner Meinung nach viel hohen Subventionen der USA für ihre Konzerne zu bekämpfen. Die Subventionen der USA lägen ihm zu Folge teilweise vier- bis zehnmal über dem, was die EU-Kommission an maximalen Förderungen erlaube. Für die Europäische Union müsse es um die Frage gehen, ob sie auch im 21. Jahrhundert eine der drei großen Wirtschaftsmächte bleiben wolle, dann müsse man geschlossen gegenüber den USA und China auftreten. Von keinem der beiden würde der EU etwas geschenkt.

Die deutsch-französischen Beziehungen

Angesprochen auf die deutsch-französischen Beziehungen führte Le Maire aus, dass Deutschland und Frankreich noch nie dieselbe Idee von der deutsch-französischen Partnerschaft gehabt hätten. Diese Partnerschaft wäre immer getragen gewesen vom politischen Willen zur Partnerschaft. Dieser Wille sei in Paris und in Berlin ungebrochen vorhanden. Diese Partnerschaft trete allerdings in ein „neues geopolitisches Universum“ ein. In dieser Situation müssten Positionen und die Grundlage der Basis in „Energie‑, Sicherheits- und Handelspolitik“ erst neu ausgelotet werden.

Im Zentrum seiner Argumentation stand eine einheitlicher agierende Europäische Union sowohl gegenüber Konkurrenten wie China und den USA als auch in energie- und finanzpolitischen Fragen. So bekundete er im Kontext der Beratungen der EU-Finanzminister über neue Schuldenregelungen und den Zinsanhebungen der Europäischen Zentralbank, dass eine restriktive Sparpolitik und expansionistische Finanzpolitik unvereinbar miteinander seien und die EU-Lösungen dafür finden müsse. Außerdem plädierte er für gemeinsame Investitionen in die Energieunabhängigkeit der EU und koordinierte Energieeinkäufe.

Quelle: Handelsblatt

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