HomeFeuilletonGeschichteNovelle des Opferfürsorgegesetzes: Kriminelle mit Widerstandskämpfern auf einer Stufe

Novelle des Opferfürsorgegesetzes: Kriminelle mit Widerstandskämpfern auf einer Stufe

Die Anerkennung sogenannter „Berufsverbrecher“ als NS-Opfer durch eine Novellierung des Opferfürsorgegesetzes verwässert den Opfer- und Widerstandsbegriff. Sowohl Gesetzesänderung als auch die Berichterstattung dazu übersehen notwendige Differenzierungen zwischen tatsächlichem Widerstand gegen das NS-Regime und kriminellen Handlungen, wodurch die historische Integrität und Bedeutung des antifaschistischen Widerstands gefährdet sind.

Die jüngste Anerkennung der sogenannten „Berufsverbrecher“ als Opfer des Nationalsozialismus durch eine Novellierung des Opferfürsorgegesetzes wurde in einem aktuellen ORF-Bericht mit dem Titel „Der ‚grüne Winkel‘ als Tabu“ gewürdigt. Doch beides – die Gesetzesänderung selbst wie auch der Artikel – verkennen die tiefgreifenden und notwendigen Differenzierungen, die in dieser Debatte um Widerstand und Opfer des Faschismus essenziell sind.

Der Soziologe und Politikwissenschaftler Andreas Kranebitter hat in seinem Buch „Die Konstruktion von Kriminellen. Die Inhaftierung von ‚Berufsverbrechern‘ im KZ Mauthausen“ die Geschichte der „Berufsverbrecher“ im Konzentrationslager Mauthausen aufgearbeitet. Diese Gruppe von Häftlingen trug den „grünen Winkel“ auf ihrer Kleidung und galt nach der Ideologie des deutschen Faschismus als „Berufsverbrecher“. Ihre späte Anerkennung als NS-Opfer erfolgte nun am 12. Juni 2024 durch eine Novellierung des Opferfürsorgegesetzes. Diese kommt für die Opfer zwar ohnehin zu spät, ist jedoch von großer wie auch äußerst problematischer Symbolik.

Kranebitter hebt hervor, dass die im Nazi-Jargon betitelten „Berufsverbrecher“ oft fälschlicherweise als zu Recht im KZ inhaftiert galten. Diese Häftlinge seien vielfach vorbestrafte Personen gewesen, die ihre regulären Haftstrafen bereits verbüßt hatten. In der Propaganda der Nazis wurden sie jedoch oft als Mörder und Gewalttäter dargestellt, was das Bild der „kriminellen KZ-Häftlinge“ bis heute in rechten Kreisen prägt.

Die Debatte über die Anerkennung der „Berufsverbrecher“ als NS-Opfer berührt fundamentale Fragen über den Widerstandsbegriff und die Definition von NS-Opfern. Denn die Begriffe „Widerstand gegen den Faschismus“ und „Opfer des Faschismus“ werden dadurch vor allem eines, nämlich verwässert und entpolitisiert. Es ist mehr als fragwürdig, Kriminelle pauschal als Opfer des NS-Regimes zu deklarieren. Natürlich ist es richtig anzuerkennen, dass niemand – auch nicht Kriminelle – die Internierung in einem Konzentrationslager verdient hatten. Dennoch ist es notwendig, eine klare Unterscheidung zwischen bewusstem Widerstand, Opposition, zivilem Ungehorsam und persönlichen Verfehlungen zu treffen, wie auch Historiker wie Wolfgang Benz betonen. Ein Beispiel: Der Attentatsversuch von Georg Elser auf Hitler 1939 ist als klare individuelle Widerstandshandlung zu sehen und auch zu würdigen. Im Gegensatz dazu dienten Delikte wie Schwarzschlachten in der Regel dem Eigennutz und nicht der Absicht, dem Regime zu schaden. Diese Differenzierungen zu verwässern, gefährdet die historische Integrität und den übergeordneten Wert des Opfer- und Widerstandsbegriffs.

Die Novelle des Opferfürsorgegesetzes, wonach sogenannten „Berufsverbrecher“ nun als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt werden, stellt eine problematische Gleichsetzung mit tatsächlichen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern dar. Also jenen Heldinnen und Helden, die einen entscheidenden Beitrag zur Befreiung Österreichs von NS-Terrorregime geleistet hatten, wie es in der Moskauer Deklaration von 1943 gefordert wurde. Diese Deklaration der Alliierten machte deutlich, dass Österreich von der Naziherrschaft befreit werden sollte, und forderte das Land auf, aktiv zu seiner eigenen Befreiung beizutragen. Deswegen ist es auch eine ungeheure Unaufrichtigkeit, Gelegenheitskriminelle oder gar Mörder mit jenen auf eine Stufe zu stellen, die bewusst und organisiert gegen das Naziregime kämpften und dafür verfolgt, drangsaliert und ermordet wurden. Die pauschale Anerkennung aller von der NS-Justiz Verurteilten als „Opfer des Faschismus“ verkennt die Komplexität und die politischen wie moralischen Implikationen des Sachverhalts. Die Aufweichung und Verwässerung des Opferstatus, die faktische Gleichstellung von Kriminellen und Widerstandskämpfern, sind jedenfalls nichts anderes als ein posthumer Schlag ins Gesicht all jener, die aufgrund ihrer Haltung gegen das Hitler-Regime oder weil sie von der NS-Justiz als nicht lebenswert verunglimpft wurden, von den Nazischergen verfolgt und ins KZ gesperrt wurden.

Die SS setzte in den Konzentrationslagern nachweislich willfährige Kriminelle als Funktionshäftlinge ein, um die faschistische Lagerordnung aufrechtzuerhalten und andere Häftlinge zu überwachen. Diese Funktionshäftlinge, oft aus der Gruppe der „Berufsverbrecher“ stammend, waren unter den anderen Häftlingen gefürchtet und verhasst. So zu tun, als wären diese Personen unschuldige Opfer, ignoriert die grausame Realität und die Verbrechen, die innerhalb der Lager begangen wurden. Natürlich ist es richtig, die menschlichen Aspekte und die individuellen Geschichten zu würdigen. Es gab auch unter Kriminellen genug Menschen, die sich „anständig“ verhielten. Aber eine pauschale Anerkennung dieser Gruppe als Opfer, ohne differenzierte Betrachtung ihrer Handlungen und Motive, verzerrt die historische Wahrheit und schmälert die Ehre und das Andenken der echten Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer.

Die durch die Novellierung des Opferfürsorgegesetzes betriebene Aufweichung des Opferbegriffs setzt einmal mehr die historische Bedeutung und die Anerkennung der Heldentaten des politischen Widerstands herab. Eine differenzierte und wissenschaftlich fundierte Debatte über die Begrifflichkeiten ist notwendig, um der historischen Wahrheit gerecht zu werden und das Andenken an die wahren Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer aufrecht zu halten.

Die Parlamentsparteien, die sich für die Änderung des Opferfürsorgegesetzes starkgemacht haben, hätten jedenfalls ebenso wie die Autorin des ORF-Berichts gut daran getan, diese sensiblen Themen differenzierter zu behandeln und die komplexe Realität des Widerstands und der Verfolgung im Nazifaschismus nicht in eine simplifizierende Opfer-Narration zu pressen. Die Anerkennung von NS-Opfern muss stets mit einem tiefen Verständnis der historischen Fakten einhergehen. Eine sorgfältige und auch differenzierte Auseinandersetzung mit einem derart komplexen Thema ist notwendig, um eine angemessene antifaschistische Erinnerungskultur zu bewahren. Die nunmehrige Änderung des Opferfürsorgegesetzes ist vor diesem Hintergrund äußerst befremdlich.

Quelle: ORF

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